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Gedenken an Schoa und Wiener Gesera#

Ein theologisches Forschungsprojekt will der Wiener Gesera, der Ermordung der Wiener Juden 1421, auf den Grund gehen#


Von der Wochenzeitung Die FURCHE (Donnerstag, 28. Oktober 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Otto Friedrich


Mittelalter „...do warden die iuden...mit gepürlicher peen des tods gestraft...“ So werden die Pogrome in der Schedel’schen Weltchronik aus 1493 beschrieben, Foto: commons.wikimedia.org (2)
Mittelalter „...do warden die iuden...mit gepürlicher peen des tods gestraft...“ So werden die Pogrome in der Schedel’schen Weltchronik aus 1493 beschrieben
Foto: commons.wikimedia.org (2)

„Durch die Fluten des Jordan wurden die Leiber von Schmutz und Übel gereinigt. Alles weicht, was verborgen ist und sündhaft. So erhob sich 1421 die Flamme des Hasses, wütete durch die ganze Stadt und sühnte die furchtbaren Verbrechen der Hebräerhunde. Wie damals die Welt durch die Sintflut gereinigt wurde, so sind durch das Wüten des Feuers alle Strafen verbüßt.“

Dieser Text findet sich – in lateinischer Sprache – am Südostende des Wiener Judenplatzes unter einem Bild von der Taufe Jesu am sogenannten „Jordanhaus“. Die antijüdische Inschrift berichtet der planmäßigen Vernichtung der jüdischen Gemeinden im Herzogtum Österreich 1420/21 unter Albrecht V. Nach der Inhaftierung aller Juden im Lande wurden die mittellosen des Landes verwiesen, die anderen wurden zur Zwangstaufe gebracht oder kamen durch die Haftbedingungen oder durch eigene Hand ums Leben. Alle noch Überlebenden (92 Männer, 120 Frauen) wurden am 12. März 1421 in Erdberg vor den Toren der Stadt durch Verbrennung hingerichtet.

Schlimmste Verfolgung#

Die Wiener Gesera, so der hebräische Ausdruck für die Ereignisse von 1421 (sowie gleichfalls der Name der wichtigsten jüdischen Chronik dazu), zählt zu den schlimmsten Auswüchsen der Judenfeindschaft im Habsburgerreich. Ausgelöst wurden die Ereignisse einerseits durch die grassierende Ritualmordlegenden, andererseits gab es handfeste politische Interessen. Karl-Heinz Steinmetz, Privatdozent mit Schwer punkt mittelalterliche Spiritualität an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, weist im Gespräch mit der FURCHE auf den Zusammenhang zwischen den Hussitenkriegen und der Judenverfolgung hin: Albrecht V. und seine Gefolgsleute argwöhnten, die Juden würden gemeinsame Sache mit den Hussiten machen. Steinmetz arbeitet zurzeit an einem Forschungsprojekt über die Wiener Theologische Fakultät und die Wiener Gesera.

Der theologische Mittelalter-Forscher will sich in dem auf zwei Jahre angelegten Projekt den Quellen zu den Ereignissen rund um die Judenvernichtung von 1421 auf den Grund gehen. Steinmetz Marhat bis dato keine unmittelbaren Belege für eine direkte Involvierung der Theologen in die Wiener Gesera gefunden. Da das theologische Niveau jener Tage gerade an der Universität Wien sehr hoch war, hätten auch der volkstümliche Antijudaismus, wie er in den Ritualmord und Hostienschändungslegenden gang und gäbe war, wenig gegriffen.

Wien. Eine antijüdische Inschrift am sogenannten Jordanhaus am Judenplatz erinnert in lateinischer Sprache an die Ereignisse der Wiener Gesera von 1421 (l.)., Foto: Die Furche
Wien. Eine antijüdische Inschrift am sogenannten Jordanhaus am Judenplatz erinnert in lateinischer Sprache an die Ereignisse der Wiener Gesera von 1421 (l.).
Foto: Die Furche

Aber die Auseinandersetzung mit dem Vorwurf einer jüdischen Hussiten-Kollaboration sei auch in den theologischen Zirkeln der Universität diskutiert worden. Steinmetz weist jedoch auch auf gegenläufige Entwicklungen hin. So habe Heinrich von Langenstein, der 1397 verstorbene Reformer der Universität, die Kenntnis des Hebräischen als fürs Bibelstudium notwendig erachtet. Andererseits, so Steinmetz, wäre auch bei Langenstein das antijüdische theologische Allgemeingut des Mittelalters zu finden. Die Juden wären demnach in der Heilsgeschichte „steckengeblieben“ und die mittelalterlichen Theologen hätten sich gefragt: „Warum haben sie das Christusereignis nicht angenommen?“

Steinmetz weist darauf hin, dass in der katholischen Kirche jener Zeit generell eine ambivalente Haltung gegenüber den Juden festzustellen ist: Judenfeindschaft und Judenschutz seien zwei Pole dieser Entwicklung, dessen grausiger Höhepunkt die Ermordung der Juden 1420/21 war. Dem entgegen stand jedoch eine ausdrückliche Anweisung von Papst Martin V., dass – unter Androhung der Exkommunikation – keine Kinder unter 12 Jahren der Zwangstaufe zugeführt werden dürften. Diese Anweisung belegt, dass es solche Zwangstaufen im habsburgischen Österreich gegeben haben muss.

Warum beschäftigt sich Karl-Heinz Steinmetz mit diesen Ereignissen vor mehr als 600 Jahren? Der Wissenschafter antwortet, die Wiener Gesera sei ein „Schlüsselereignis“ der österreichischen Geschichte. Dieses Pogrom sei das Ergebnis „eines Diskurses von Religion und Politik, das in auffälliger Analogie zu Machtdiskursen der Gegenwart stehe“. So haben, argumentiert Steinmetz, die fernen Ereignisse auch mit heute zu tun. Und was die (Leidens-)Geschichte der Wiener Juden angeht gehöre zum Gedächtnis nicht nur die Schoah, also die Judenvernichtung im Dritten Reich, sondern eben auch die Wiener Gesera, die er als katholischer Theologe erforschen will.

Ein Schlüsselereignis#

Martin Jäggle, der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät stößt ins gleiche Horn: 2015 feiert die Universität Wien ihr 650-Jahr-Jubiläum: „Und das können wir als Fakultät nur begehen“, so Jäggle zur FURCHE, „wenn unsere Rolle bei der Wiener Gesera erforscht, beleuchtet und aufgearbeitet wird.“

Dazu sollen die Arbeiten von Karl-Heinz Steinmetz dienen. Wermutstropfen ist für den Dekan zurzeit noch, dass die Finanzierung des Forschungsprojekts noch nicht vollständig gesichert ist. Jäggle, der als Vizepräsident des „Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ auch im Gespräch zwischen Christen und Juden stark involviert ist weiß, dass dieser Dialog nur dann weitergehen kann, wenn Erinnerungsarbeit geleistet wird – nicht nur, aber eben auch auf wissenschaftlicher Grundlage.

Am 9. November jähren sich die Pogrome der sogenannten „Reichskristallnacht“ 1938 zum 72. Mal. Christliche Organisationen laden an diesem Tag zu einem ökumenischen Gottesdienst in die Wiener Ruprechtskirche ein. Der Dekan Jäggle von der Katholischen Fakultät wird dort in diesem Sinn Worte der Erinnerung und der Auseinandersetzung sprechen

Die FURCHE, 28. Oktober 2010


Das Forschungsprojekt ist ein echtes Desiderat, es sollten dabei aber auch alle von dem Edikt Herzog Albrechts V. betroffenen siebzehn landesfürstlichen Orte mituntersucht werden, da die Judenverfolgung eine gesamtösterreichische -erst dies legitimiert den treffenden Vergleich mit dem Grundgedanken der Schoah wissenschaftlich- war und mit einem angeblichen Hostienfrevel in Enns begründet wurde. Für Herzogenburg und Krems stünde ich gerne zur Verfügung, wenn es die Quellenlage erlaubt...;

Ein Forschungsprojekt wäre sicher auch für die Akademie der Wissenschaften und die jüdische Gemeinde in Österreich hochinteressant, die siebzehn Orte werden im wp-artikel über die Wiener Gesera angeführt.

Der Vergleich zwischen Schoah und Gesera im Titel ist sehr treffend, wenn auch die Gesera infolge des geringen Judenanteils in der Bevölkerung keine vergleichbare Quantität hatte sondern eine qualitative: Ausrottung a l l e r österreichischen Juden durch eine konzertierte Verhaftungsaktion am selben Tag.

Wäre es möglich den vorliegenden Kommentar an die Projektleitung zu übermitteln ? Eine Beschränkung auf Wien würde nämlich den Charakter der Geserah doch sehr verharmlosen und den Grundgedanken der totalen (!!!) Vernichtung aller Juden im damaligen Österreich doch sehr verkürzen.

Für Krems wäre natürlich die Donau-Uni erste Adresse für ein derartiges Forschungsprojekt, das von hochrangigen Institutionen durchgeführt werden sollte, um der Relevanz des Themas gerecht zu werden.

Die Finanzierung eines derartigen Projekts wäre angesichts der Sensibilität des Themas nicht schwierig, weil sich die Länder NÖ. und OÖ. sowie die betroffenen 17 österreichischen Städte da kaum zurückhalten könnten. die Steiermark war damals selbständiges Herzogtum, unterstand nicht dem Habsburger Albrecht, sodass es dort keine "Geserah" gab. --Glaubauf Karl, Mittwoch, 9. Februar 2011, 07:58