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Helga Maria Wolf

Markierte Landschaft#

Das Rote Kreuz in Drosendorf, Foto: Alfred Wolf, 1937

Anno 1654 begann der Wiener Neustädter Prälat Christoph Guntzinger (1614-1673) seinen Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Nach fast einem Jahr und 6.000 km Reise durch sechs Länder gestaltete sich seine Rückkehr - an die, wie er schreibt, "kaum jemand glaubte" - zu einem Fest. Die "wohlerwürdige Priesterschaft und viele andere redliche Bürger" empfingen ihn.

Guntzinger hat seine Erfahrungen in einem Büchlein festgehalten, demnach hat er sich - mangels Markierungen - des Öfteren verirrt. Er freute sich, in einsamen Gegenden bewohnte Häuser zu finden, wo er nach dem Weg fragen konnte, "Denn auf der Straße waren nit immer Leute unterwegs, sodass man manchmal, wenn man falsch ging, mühsam wieder zurück musste. Einmal sind wir dann auch auf einen weitschichtigen Irrweg geraten." 360 Jahre nach der abenteuerlichen Pilgerreise hat der österreichische Jakobsweg-Experte Peter Lindenthal die Publikation - überarbeitet, kommentiert und illustriert - herausgegeben. Er lächelt über "die Jakobspilger des 21. Jahrhunderts … die erwarten, dass sich jede Wegmarkierung in Sichtweite der vorhergehenden befindet … und sich beschweren, wenn dem nicht so ist…"

Lindenthal war es auch, der um die Jahrtausendwende den rund 800 km langen Hauptast des Österreichischen Jakobsweges festgelegt hat, von dem mehrere Etappen durch Niederösterreich führen. Touristisch interessant geworden, hat man sie im Rahmen von regionalen öffentlichen und privaten Projekten beschildert, an Literatur und Wanderkarten herrscht kein Mangel mehr. Freilich gibt es "den" Jakobsweg nicht, vielmehr handelt es sich um ein Wegenetz, das teilweise historischen Fernverbindungen folgt.

Vor allem bedeutsam waren die gepflasterten Römerstraßen, die sich durch ihre massive Bauart von den zuvor üblichen Naturwegen unterschieden. Die Limesstraße verlief entlang des befestigten Grenzweges durch Europa. Die als Bernsteinstraße bekannten Handelswege führten von der Ostseeküste, u. a. durch das Marchfeld, zum Mittelmeer. "Römische Bernsteinstraße" bezeichnet die winterfeste Verbindung zwischen Carnuntum, der Hauptstadt der Provinz (Ober-)Pannonien und Aquilea in Italien.

Zur Orientierung standen - seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert - Distanzsäulen (Milaria) an den Römerstraßen. Die bis zu drei Meter hohen, halbmeterdicken Steinsäulen trugen Orts- und Entfernungsangaben. Kaiser und Statthalter nützen sie auch zu Propagandazwecken. Archäologen schätzen die Zahl der erhaltenen Meilensteine auf 7.000- 8.000. In Niederösterreich fand man Milaria z. B. in Gemeinlebarn, einer Katastralgemeinde von Traismauer (aus den Jahren 217/218 und 313 n. Chr.), Klosterneuburg (244–249, 249–251), Schwechat (Mitte des 3. Jahrhunderts) und Tulln (235/239). Straßen, Flüsse, Städte und Landmarken waren auf einer Karte verzeichnet. Ihre mittelalterliche Kopie, die Tabula Peutingeriana aus dem 12. Jahrhundert, in der Österreichischen Nationalbibliothek zählt zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Entlang römischer Straßen befanden sich Votivsteine, Altäre und Grabmäler. Der Gedanke des Erinnerns, das Motiv "Dank und Bitte" findet sich auch, viel später, bei den Marterln oder Bildstöcken. Sie waren in unverbauten Gegenden kleine Landmarken und Orientierungspunkte. Ihre Entstehungszeit reicht von der Gotik bis in die Gegenwart. Bildstock im engeren Sinn bezeichnet einen Pfeiler oder eine Säule mit "Tabernakel" zur Aufnahme eines Lichtes. Dessen Außenseiten können mit Reliefs und/oder Schrift versehen sein. Darüber befindet sich meist ein Dach mit einem Kreuz. Im weiteren Sinn zählen auch andere Freiplastiken, mit Heiligenstatuen (Marienbildstock), Breitpfeiler (mit rechteckigem Grundriss und einer Nische für Figuren bzw. Bilder) Kapellen, Wegsäulen, Kreuze und Lichtsäulen dazu. Weiters sind so genannte rote (aus rot gestrichenem Holz), weiße (gemauerte), grüne, braune und schwarze Kreuze Flurdenkmale.

Oft stehen sie an Unglücksstellen, bei Ortsrändern oder Gemeindegrenzen. Anlässe für die Errichtung gab es viele. Die Gläubigen dankten Gott für das Erlöschen von Seuchen, wie Pest oder Cholera. Das Ende kriegerischer Ereignisse, wie Kuruzzeneinfälle oder Türkenkriege, wurde festgehalten und der Opfer gedacht. 1598 ließ Kaiser Rudolph II. in Niederösterreich (z. B. Korneuburg, Leobendorf, Harth) eine Reihe von Bildstöcken errichten, die an die Rückeroberung der Festung Raab (Györ, Ungarn) am 29. März erinnern:"Sag Gott dem Herrn Lob und Dank, dass Raab wieder kommen ist in der Christen Hand." Ganze Zünfte oder einzelne ihrer Angehörigen, wie Bäcker oder Tischler, stifteten Bildstöcke (z. B. Bäckerkreuze). Auch Einzelpersonen dankten mit Votivsäulen für himmlische Hilfe. Häufig versammelten sich die Katholiken bei Freiplastiken, besonders solchen des heiligen Johannes Nepomuk oder in Marienkapellen zu Andachten. Sie schmückten die Heiligenfiguren mit Blumen und entzündeten Kerzen.

Andererseits haftete den Markierungen in der Landschaft oft etwas Unheimliches an. Zahlreich sind die Gespenstergeschichten, die von Kreuzen an Weggabelungen und Grenzsteinen erzählt werden. Grenzfrevel galt im Mittelalter als schweres Vergehen und die Verrücker sollen nach ihrem Tod so lange keine Ruhe gefunden haben, bis sie den Stein an die ursprüngliche Stelle zurückbrachten. Voraussetzung war aber, dass jemand dem "feurigen Mann" oder schwarzen Hund den richtigen Platz zeigte. Aus Lunz am See wird von einem Wilderer berichtet, der mit dem Teufel im Bunde war und mit seinen unfehlbaren Kugeln auf ein Marienmarterl schoss. Das Blut der Muttergottes soll ihn gerettet haben. Ein Bild auf dem Marterl zeigte die Begebenheit. In Gunersdorf bei Aschbach stand am Ortseingang ein hölzernes Pestkreuz. Nach der Überlieferung erinnert es an die Seuche von 1679. Ein Fuhrmann brachte die Toten auf seinem Wagen zur außerhalb des Dorfes gelegenen Pestgrube. Auf der holperigen Straße bemerkte er nicht, dass er einen Mann verloren hatte. Auf dem Rückweg fand er ihn an jener Stelle lebend wieder.

In den letzten Jahrzehnten fielen viele Bildstöcke Verkehrsrücksichten und Unverständnis zum Opfer. Aufgrund von Dorferneuerungsprojekten, Pfarr- oder Gemeindeinitiativen hat man etliche wieder instandgesetzt oder rekonstruiert. Ein aktuelles Beispiel dafür findet sich in der Wiener Stadtrandgemeinde Strebersdorf. Das historische Pestmarterl, dessen Erhaltung vertraglich fixiert war, war dennoch mit einem Haus demoliert worden. Es wurde im Oktober 2013 durch einen Nachbau ersetzt. Die vier Bilder am Tabernakel (Madonna und Passionsszenen) hat der akademische Maler Alfred Rossi, inspiriert von der Tradition, in zeitgemäßer Form geschaffen.

Erschienen in der Zeitschrift "Schaufenster Kultur.Region"