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Ratsche#

Schubkarrenratsche aus dem Marchfeld (Niederösterreich). Foto: Alfred Wolf, 1985

Der kirchliche Lärmbrauch findet in der Karwoche statt, wenn Kinder mit Klappern die Gebetszeiten anzeigen. Vermutlich schon im Mittelalter standen in den Kirchtürmen große hölzerne Schallgeräte mit Hämmern ("Karfreitagsglocken"). Die Turmratsche in der Wiener Michaelerkirche, die größte ihrer Art in Österreich, ist 1,81 Meter lang, 69 Zentimeter breit, 32 Zentimeter hoch und verfügt über 20 Hämmer. 2007 wurde das Instrument aus dem Jahr 1901 revitalisiert. Für seine Heimatgemeinde St. Kathrein am Offenegg verfertigte Franz Ederer, "der Ratschenbauer aus der Steiermark" 2022 eine Turmratsche mit acht Hämmern. Sie besteht aus Eschen-, Birn- und Kirschholz und ertönt am Karfreitag (29.3.2024) um 7, 12 und 19 Uhr sowie am Karsamstag (30.3.2024) um 7 und 12 Uhr. Am Karfreitag um 11.30 Uhr findet ein Umzug statt. Leopold Schmidt meinte, dass die Turmratschen möglicherweise nach dem Konzil von Trient (1545-1563) durch die kleinen Ratschen abgelöst wurden, mit denen die Ministranten umherzogen. "Mit abnehmender Frömmigkeit wuchs die Freude am Lärm, an der Gruppe … ein auch auf anderen Gebieten immer wiederkehrender Vorgang." Zunächst waren wohl Hammerklappern in Gebrauch. Drehklappern - hölzerne Ratschen mit Drehwalzen und federnden Aufschlagbrettchen - wurden als Ganzes mit der Hand oder mithilfe einer Kurbel gedreht. Neben den kleinen Fahnenratschen gab es fahrbare Schubkarrenratschen.

Das Ratschen erinnert die Bewohner an die Gebetszeiten für den "Engel des Herrn", auch Englischer Gruß oder Angelus genannt, um 6, 12 und 18 Uhr. Normalerweise riefen die Glocken zum Gebet. Wenn diese wie man sagt, in den Kartagen "nach Rom fliegen", um sich den Segen des Papstes zu holen, übernehmen die Ratschen ihre Funktion. 1571 erfand Papst Pius V. die heute übliche Form des Angelus, der aus mehreren Gebeten besteht. Darauf nehmen die Sprüche Bezug, welche die Ratscherkinder in einer Art Sprechgesang rufen: “Wir ratschen, wir ratschen den Englischen Gruß, den jeder katholische Christ beten muss. Kniet's nieder, kniet's nieder, fallt's auf die Knie, bet's ein Vater Unser und drei Ave Marie”. Oft variierten die Sprüche nach dem Zeitpunkt. So lauten sie mancherorts am Gründonnerstag "Wir ratschen die Todesangst Christi", am Karfreitag "Wir ratschen das bittere Leiden und Sterben unseres Herrn Jesu Christi". Die Geräte, die am Donnerstag mit Heiligenbildern, Buchszweigen und Bändern aus buntem Krepppapier geschmückt waren, erhielten am Todestag schwarze Schleifen.

Als Ratscher gingen früher nur die Ministranten und andere Buben. Ihr Anführer war der Natter (von lat. Gubernator). Der Obernatter oder Meister teilte die Gruppen ein und gab den Einsatz, indem er sein Gerät oder einen Stab hob. Die Subkultur der Buben sah gemeinsames Nächtigen und eine Hierarchie vor. Je nach dem Alter gliederten sie sich in "kleine", "mittlere" und "große" Ratscher, dann stiegen zum "Nachsteher" (Unternatter) und Obernatter auf. Der Dienst begann mit 14 und endete mit 16 Jahren, wenn sie in die Gruppe der Burschen wechselten. Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert üben auch Mädchen den Brauch aus.

Ein Brauchelement war vor Ostern das Abklappern der Häuser. Mit einem geschmückten Korb heischten die Buben Lebensmittel, die sie aufteilten, gemeinsam verkochten und aßen oder einen Teil der Eier beim Händler verkauften. Beim Bitten um den Ratscherlohn gab es eindeutige Aufforderungen, wie "Wir ratschen, wir ratschen zur Pumpermetten, alte Weiber stehts auf und backt's Osterflecken!" oder "Die Ratscherbuben täten bitten um Geld, Eier, Flecken und einen goldenen Wecken". In Neunagelberg im Waldviertel ging die Gruppe am Karsamstag zu einem Teich, wobei die Kleinen die Ratschen trugen. Die großen Buben warfen die Geräte ins Wasser, die jüngeren mussten sie herausholen und für das nächste Jahr aufbewahren.

Ratschen in einem Geschäft für liturgische Ausstattung, Wien 1, Foto: Doris Wolf, 2015

Seit 2015 steht der vorösterliche Lärmbrauch auf der UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes. Der Antrag kam vom Tischlermeister Franz Ederer aus St. Kathrein am Offenegg, dem "Ratschenbauer aus der Steiermark". In der Karwoche 2024 (Mittwoch bis Freitag, 12 bis 17 Uhr) lehrt er auf dem Grazer Hauptplatz, wie man eine einfache Flügelratsche herstellen kann. In der Pfarre Mauer (Wien 23) wurde nach 30 Jahren wieder geratscht. Die Idee kam von einem ehemaligen Ministranten, der vor 54 Jahren den Brauch ausübte (damals berichtete das ORF-Fernsehen). Er erinnerte sich, dass die 100 Jahre alten Lärmgeräte seit drei Jahrzehnten auf dem Kirchendachboden lagerten. Mit seinen Kollegen von damals belebte er jetzt wieder den Brauch.

Im übertragenen Sinn meint "ratschen" so viel wie tratschen, ausgiebig miteinander reden. Im Buch "Heroica" von Claudius Pradinus (Antwerpen, 1562) heißt es: "Ungelegenes und leeres Geschwätz kann einer Ratsche und ihrem Klange bestens verglichen werden."

Beim jüdischen Purimfest darf mit einem Ratscheninstrument Lärm gemacht werden.


Quellen:

Werner Galler: Ostern in Niederösterreich, 1975
Gustav Gugitz: Das Jahr und seine Feste im Volksbrauch Österreichs. Wien 1950 (2 Bände), I/169
Leopold Schmidt: Volkskunde von Niederösterreich. Horn 1972. Bd. 2/S. 204 f., 539
Kronen-Zeitung 20.3. und 6.4. 2014
Turmratsche, publiziert 17.4.2014
Ratschenbauer

Bilder:
Schubkarrenratsche aus dem Marchfeld (Niederösterreich). Foto: Alfred Wolf, 1985
Ratschen in einem Geschäft für liturgische Ausstattung, Wien 1, Foto: Doris Wolf, 2015


Siehe auch:

--> Essay Ratschen
--> Heimatlexikon Ratschen in: Verschwundene BräucheDas Buch der untergegangenen RitualeHelga Maria WolfBrandstätter VerlagWien2015jetzt im Buch blättern