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Tracht#

Tracht

Tracht kommt von tragen und bedeutete jede Art von Kleidung, nichts Besonderes. Den Bedeutungswandel brachte die Romantik des 19. Jahrhunderts mit ihrer Suche nach "Volkstum" und "Volksgeist". Idealistisch und ideologisch suchten die Bürger - wie bei den Bräuchen - das vermeintlich Reine, Alte, Unverdorbene, Ursprüngliche auf dem Lande. Ende des 19. Jahrhunderts entstanden zuerst in Bayern Vereine, die Trachten und Volkstänze pflegten. Tirol, Salzburg und Kärnten folgten. Um 1870 bemühten sich die Heimatschutzbewegungen um "Volkskunst auf dem Gebiet der beweglichen Gegenstände, Sitten, Gebräuche, Feste und Trachten". Damals entstanden in Skandinavien die ersten Heimatwerke, um im Traditionsbereich arbeitende Gewerbe zu unterstützen. Nach diesem Vorbild richtete Prof. Viktor Geramb (1884-1958) 1934 in Graz als erstes in Österreich das Steirische Heimatwerk ein, did Institution legte auf Beratung im Sinne des "Echten" Wert. Der Museumsdirektor nahm Kontakt mit der Textilindustrie auf, vermittelte Vorlagen aus den Sammlungsbeständen und zeichnete die so erzeugten Waren mit einem Qualitätssiegel aus.  

Leopold Schmidt beschrieb Hängetrachten, die im späten Altertum von Männern und Frauen aller Bevölkerungsschichten getragen wurden: Ein Leibrock (Tunika, Kittel) aus grobem, darunter ein Hemd (Pfaid) aus feinerem Leinen, darüber ein Umhängemantel (Fleck) aus Loden, alles ungefärbt. Der einzige Unterschied zwischen Männer- und Frauenkleidung war die Länge. Mit dem Zerfall des römischen Reichs setzte die "große Trachtenwende" ein. Während sich in den Oberschichten die Männerkleidung völlig veränderte und die körperbetonte Frauenmode durchsetzte, zeigen noch Bilder aus dem 15. Jahrhundert Bäuerinnen mit altmodischen Leibröcken. Um 1500 ersetzte bei der Kleidung (wie in der Architektur) die Querbetonung die Höhe. Die so genannte "altdeutsche Tracht" der Männer zeigte die ständische Bedeutung der Gewandung. Nur Bürger, nie Bauern, trugen die neue Schaube, einen vorne offenen, hüftlangen Mantel. Für Bürgerinnen wurde die Haube zum Statussymbol, während Bäuerinnen noch lange bei den mittelalterlichen Kopfbedeckungen blieben. Die Kleiderordnung Ferdinand I. (1552) gab den fünf Ständen unterschiedliche Möglichkeiten. Dies drückte Machtverhältnisse aus und sollte dem Luxus Einhalt gebieten. Der untertänige Bauer und Taglöhner durfte nur Kleider aus billigem Stoff tragen. Dem Bauernstand wurde die sparsame Verwendung der Farben Rot und Grün gestattet.

Der große Wandel kam durch die Aufklärung (Josephinische Reformen: Einschränkung der Robot, Aufhebung der Leibeigenschaft, 1781) und den Zeitgeist der Französischen Revolution ("Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"). Um 1800 trennte sich die Mode vom "Gewand" (Tracht). Franz Lipp stellte fest, dass "zwischen 1780 und 1830 die … Regional- manchmal auch Lokaltrachten sich erst richtig entwickelten und formierten." Es war die Zeit, in der die Reiseschriftsteller ausschwärmten, um Land und Leute kennen zu lernen (z.B. Friedrich Anton Reil 1835) und die Biedermeiermaler (z.B. Ferdinand Georg Waldmüller, 1793-1865) Feste und Alltag naturalistisch darstellten. Es war aber auch schon die Zeit industriell erzeugter Textilien, vorfabrizierter Tücher und modischer Muster. Erzherzog Johann(1782-1859), der die steirischen Trachten von seinen Kammermalern dokumentieren ließ, führte den "grauen Rock" ein und trug ihn selbst gerne, "um ein Beispiel der Einfachheit zu geben". Seinem Großneffen, Franz Joseph (1830-1916), schenkte er zur Taufe einen Steirerhut, und als er den 16-jährigen zur Jagd einlud, sollte dieser in steirischer Tracht kommen. Bekanntermaßen trug der Kaiser dann bei seinen Sommeraufenthalten in Bad Ischl Tracht und gab damit dem Adel und der eleganten Welt ein Vorbild. Für die weiblichen Jagdgäste entstand das Trachtenkostüm, aus der Lodenjoppe der Männer und einem bequemen Rock.

In der Zwischenkriegszeit engagierten sich die Besucher der Salzburger Festspiele (ab 1920) für das Trachtentragen ("Dirndl"). Die Trapp-Familie, die in Amerika in Dirndl, Lederhose und Lodenanzug auftrat, und besonders der Hollywood-Film (1956, einer der erfolgreichsten Nachkriegsheimatfilme) und das Broadway-Musical "Sound of music" (1959) machten das Dirndl international bekannt.

Dr. Gesine ("Gexi") Tostmann, Volkskundlerin und Inhaberin eines renommierten Trachtenhauses, schrieb 1998: "Historische, soziale und politische Entwicklungen drücken sich stets in der Tracht aus. Bei der erneuerten Tracht zeigt sich aber vorwiegend die persönliche Note des Erneuerers … " Während man zunächst nur geschmackliche Hilfestellung gegen "Touristen-Trachtenkitsch" geben wollte, wurde in der Nachkriegszeit die "erneuerte Landschaftstracht" erfunden. Tostmann nennt es einen Irrglauben, dass jede Gegend ihre eigene Tracht gehabt habe. Sie nennt als Gemeinsamkeiten:

  • Der blaue Baumwollleiblkittel, hochgeschlossen oder mit rundem Ausschnitt - in ganz Österreich zu finden.
  • Der karierte Leiblkittel, hochgeschlossen oder ausgeschnitten, mit einem Rock aus demselben Material, aus blauer Baumwolle, mit Streumuster oder aus schwarzem Wollstoff. Er ist in NÖ, OÖ, S, T und K unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt.
  • Das Wollbrokatleibchen mit schwarzer Samtverzierung, Rüschen oder Goldborten. Meist Rot, Grün, Blau mit schwarzem Rock und blauer, goldener oder rosa Schürze. Ebenfalls in ganz Österreich zu finden.
  • Vor allem in Westösterreich, aber früher in allen Bundesländern vertreten, ist das Mieder mit Verschnürung, z.B. aus rotem Wollbrokat mit Seiden-, Woll- und Samtbändern (T, K), dazu schwarzer Wollstoff. Schnürmieder aus Brokat kommen aus der Barock- und Rokokomode.
  • Bürgerkleider
  • Dazu gibt es verschiedene Spenzer, aus Wolle gestrickt, Loden-, Leinen oder Samtjanker
  • Seidenbrokatspenzer, hochgeschlossen oder ausgeschnitten, prunkvoll in Schnitt und Verzierung. Mit einem Rock aus demselben Material ergibt sich ein Vorläufer des Bürgerkleides, mit einer Schürze das bäuerliche Spenzerkleid.
  • Historisch gab es eine Vielfalt an Kopfbedeckungen, Hüten und Hauben etc.; Accessoires wie Seiden- und Wolltücher, Schmuck etc.

In Österreich kam es um die Jahrtausendwende zu einer neuen Trachtenwelle. 2004 riefen die Salzburger Heimatvereine erstmals zum "Dirndlgwand-Sonntag" auf. Er sollte den Sinn für das „schöne Gewand“ wecken, das traditionell zu einem Fest und zum sonntäglichen Kirchgang dazugehört. Termin ist um den 13. September, den Gedenktag der hl. Notburga von Eben, die in Tracht dargestellt wird. Zahlreiche Veranstaltungen finden, auch in Zusammenarbeit mit katholischen und evangelischen Pfarren, zu diesem Anlass statt. Andere Bundesländer sind dem Beispiel gefolgt, wie Niederösterreich 2009. Dafür engagiert sich die Volkskultur Niederösterreich, ein Teilbetrieb der Holding Kultur.Region.Niederösterreich. Ihre Aktion "Wir tragen Niederösterreich" feierte 2017 das Zehnjahresjubiläum. Die Trachtenmappe stellt regionale Bekleidung vor, u. a. den Niederösterreich-Anzug, das Niederösterreich-Kostüm und den Kalmuck-Janker. Frauen aus Gresten (Niederösterreich) waren die ersten gewesen, die ihre Goldhauben wieder entdeckten. 1956 traten die Goldhaubenfrauen beim Wiener Opernball auf. Ein Jahr später fand die erste Goldhaubenwallfahrt statt, die seither immer am 15. August abgehalten wird. In Oberösterreich entstand in den 1970er- Jahren "ein wahres Goldhaubenfieber" (Gexi Tostmann).

Seit 2006 findet das "Dirndlfliegen" mehrmals jährlich in verschiedenen Orten Österreichs, zudem in Deutschland und Italien statt. In Dirndl gekleidete Frauen und Männer hüpfen dabei von einem mehrere Meter hohen Sprungbrett in einen See oder ein Freibad. Eine Jury bewertet: "Je ausgefallener die Figuren im Fall, desto besser". Zum Neustifter Kirtag 2011 erstmals veranstalteten - Wiener Wiesn-Fest, jetzt "Kaiser Wiesen", im Prater sollten die Gäste in Dirndl oder Lederhose kommen. Supermärkte und Trachtenoutlets decken den Bedarf an "Wiesendirndln", wie sie Tostmann nennt. 2016 trat bei der Eröffnung und bei der Schlussfeier der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro die österreichische Delegation, Damen und Herren, in Lederhosen auf. Die Sportlerinnen hatten für Ziegenvelours-Lederhosen und gegen Dirndl gestimmt. Dazu trugen die AthlethInnen rot-weiß-rote Laufschuhe. Der steirische Volks Rock'n'Roller und Hitparadenstürmer Andreas Gabalier (* 1984) ist ein Musterbeispiel für Crossover, in der Musik wie in der Kleidung. Modisch gestylt tritt er mit seiner Harmonika in der Lederhose auf.

Besonders markant ist die Bregenzerwälder Frauentracht (Bild). Kathrin Pallestrang, Kuratorin der Textilsammlung des Österreichischen Museums für Volkskunde, schreibt: Die Herstellung einer Bregenzerwälder Frauentracht erfordert viele Handgriffe von Spezialistinnen und Spezialisten. Jede ist ein Einzelstück und an die Trägerin angepasst. Der Leinenstoff für ein Miederkleid erhält nach dem Färben eine Appretur aus Lederabfällen, Eisenoxid, Kristallsoda und Leim. Damit sie glänzt, wird der Stoff mit einer Glättmaschine mechanisch bearbeitet. Mittels Plissiermaschine wird er schließlich kunstvoll in Falten gelegt. … Bereits im Biedermeier wurden die zwei großen Nationaltrachtengebiete des heutigen Vorarlberg festgeschrieben: neben dem Bregenzerwald auch das Montafon. Wie in anderen Regionen lag der Grund dafür zunächst in den Schilderungen von Reisenden, die ihre eindrücke schriftlich niederlegten und publizierten. Die davon angelockten Touristen und Touristinnen kamen in Erwartung von Einheimischen mit ursprünglichen Lebensformen, zu denen auch die örtlich korrekte Kleidung gehörte. Inzwischen trugen die Einheimischen jenes zur Tracht gewordene an sich veraltete, statusanzeigende Gewand absichtlich als bewusstes Zeichen der örtlichen Verbundenheit, der "Heimatliebe" und "Heimattreue", weil sie gelernt hatten, dass dies zu ihrer eigenen "Tradition" gehöre.

Die Herstellung verschiedener Trachten(bestandteile) hat in der Kategorie "traditionelles Handwerk" Aufnahme in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes gefunden. 2021 waren dies Garnierspenzer, Hut und Steppmieder aus Salzburg, die seit ca. 1850 zu den Festtrachten der Salzburger Gebirgsgauen (Pinzgau, Pongau und Lungau) gehören, und die Bregenzerwälder Juppe, die als festliche Frauentracht zur regionalen Identität beiträgt. Sie geht auf das ausgehende 16. Jahrhundert zurück und wird in einigen Spezialwerkstätten angefertigt. Eine davon ist als Museum gestaltet.


Quellen: 
Annemarie Bönsch: Formengeschichte europäischer Kleidung. Wien 2001. S. 78
Franz C. Lipp, Elisabeth Längle, Gexi Tostmann, Franz Hubmann (Hg.): Tracht in Österreich. Wien 1984. S. 12
Leopold Schmidt: Volkskunde von Niederösterreich. Horn 1972. Bd. 2/S. 13f.
Schaufenster Volkskultur. Heft 3/2009
Gexi Tostmann: Das alpenländische Dirndl. Wien 1998
Tostmann Trachten
Olympia 2016
Nachrichten aus dem Volkskundemuseum Wien 3/2019
Ware Dirndl

Bild: 
"Kranzjungfer (Schäppelmeiggi) aus dem Montafun, Vorarlberg". Aus: Lipperheide: Blätter für Kostümkunde. Berlin 1879


Siehe auch:
--> Heimatlexikon
--> Museen Tracht in: Verschwundene BräucheDas Buch der untergegangenen RitualeHelga Maria WolfBrandstätter VerlagWien2015jetzt im Buch blättern