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Gschwandner#

Zwischennutzung 2013, Wäschermädelball. Foto: Doris Wolf

Die außerhalb der Verzehrungssteuergrenze des Linienwalls gelegenen Vororte entwickelten sich seit dem Biedermeier zu beliebten Ausflugszielen der Wiener. Speisen und Getränke waren gut und billiger als in der Stadt, Zeisel- und Stellwagen sorgten für den Transport der Gäste und Volkssänger für Unterhaltung. In Hernals (Wien 17) zählten dazu das "Casino Unger" (1820), das Grand Etablissement Stahlehner (1863) und das Etablissement Klein (1868, heute "Metropol").

Eines der bekanntesten war das "Grand Etablissement Gschwandner". "Beim Gschwandner und Stalehner, da lernt man si' kenna…", reimte der populäre Volkssänger Carl Lorens. Der Betrieb begann um 1840 mit einem Heurigen für 250 Personen in der Hernalser Hauptstraße 41 und benachbarten Parzellen, die bis zur Ottakringer Straße reichten. Konsequent erweitert und umgebaut, diente er bis 1960 den Wienern als Vergnügungslokal.

Der Gründervater Johann Gschwandner (1802-1861) war der Sohn eines Hauers. Seine Mutter starb bei der Geburt, und er wuchs bei der Großmutter im benachbarten Vorort Weinhaus auf. Mit 20 Jahren heiratete er eine Hauerstochter, das Ehepaar lebte vom Obst- und Weinhandel und schenkte Heurigen aus. 1838 kauften Johann und Franziska Gschwandner die Liegenschaft in der Hernalser Hauptstraße 41 und in der Folge angrenzende Grundstücke. 1846 war die Eröffnung eines Schank-Salons für 500 Gäste beim Gschwandner eine Sensation. Zwei Jahre später brach in Wien die Revolution aus. Als kaisertreue Truppen von Hernals aus die Nationalgarde auf dem Linienwall beschossen, schützte Johann Gschwandner seine Keller mit Bergen von Trester vor den Kanonenkugeln. Zwei Jahre vor seinem Tod erwarb er den als Doblhoff-Palais bekannten Besitz Weinhaus Nr. 1 (Währinger Straße 188-196). Der Gründervater hinterließ ein beachtliches Vermögen und zahlreiche Immobilien. Seine Töchter waren "gut verheiratet" und sozial engagiert, die Söhne Realitätenbesitzer und Gemeinderäte.

Johann Nepomuk Gschwandner (1827-1920) wurde Architekt. Er baute nicht nur öffentliche Einrichtungen wie das Hernalser Rathaus, sondern auch für private Auftraggeber und selbstverständlich für die eigene Familie. Georg (1832-1901) trat in die Fußstapfen seines Vaters. Nachdem zuerst seine Mutter, dann die Brüder gemeinsam die Wirtschaft betrieben hatten, übernahm der mit einer Wirtstochter verheiratete Georg Gschwandner 1870 die Leitung. Fünf Jahre zuvor hatte die erste Pferdetramway Wiens den Betrieb nach Hernals aufgenommen und hielt an der Ottakringer Straße, wo der Heurigengarten endete. 1873 fand die Wiener Weltausstellung statt, und Wien war auf dem besten Weg zur Weltstadt. Der Bauboom der Gründerzeit erfasste die noch nicht eingemeindeten Vororte. Zwischen 1870 und 1890 verdoppelte sich die Bevölkerungszahl von Hernals auf fast 75.000 Personen. Davon profitierten auch die Vergnügungslokale. 1877 plante Johann Nepomuk Gschwandner für seinen Bruder einen fast 400 m² großen Säulensaal. In dem "modernen Prachtbau" spielten u.a. "die tüchtigsten Orchester-Mitglieder" des kurz zuvor in Konkurs gegangenen Theaters an der Wien. 1894 folgte der Abbruch des Straßentraktes in der Hernalser Hauptstraße 41. An die Stelle eines der ältesten, durch einen turmartigen Aufbau charakterisierten, Häuser von Hernals trat ein viergeschossiges Zinshaus, an dem man noch die Aufschrft "Etablissement Gschwandner" entdecken kann. in der Zwischenzeit war Hernals ein Teil von Wien geworden und Johann Gschwandner Wiener Gemeinderat. Der Abbruch des Linienwalls hatte begonnen.

Die dritte Generation kam mit Georg Gschwandner jun. (1865-1947) zum Zug. Auch er leitete das Unternehmen zunächst gemeinsam mit seiner Mutter, führte große Adaptierungsarbeiten durch und Neuerungen ein. Er ließ bereits 1907 einen Kinematografen einbauen und veranstaltete neben den traditionellen Konzerten und Bällen sportliche Attraktionen. Nachrufe betonten, dass sein Lokal zu den bekanntesten Unternehmungen des Bezirks zählte, doch der Inhaber "der einfache, bescheidene Hausvater, der auf das Wohl seiner Gäste bedacht war und sein Geschäft nach den erprobten Grundsätzen führte", blieb.

Mit Karl Gschwandner (1907-1972) übernahm zum letzten Mal ein Familienmitglied das Unternehmen. Er trat jedoch nicht mehr als Veranstalter auf, sondern vermietete die Räume. Damals brachte man es in drei Sälen und zwei Stüberln auf 150 Tische und 1150 Sessel. Bis 1960 traten bekannte Künstler wie Hermann Leopoldi, Heinz Conrads, Pirron und Knapp oder Fritz Muliar auf. Danach war zwei Jahrzehnte die Radiofabrik Ingelen Mieter, dann nutzte die Firma Schmiedl-Filmausstattung 30 Jahre lang die Räume. Seit 1991 steht das frühere Etablissement unter Denkmalschutz. Ein halbes Jahrhundert nach der Schließung wurde es temporär wiederbelebt. Als Zwischennutzung fanden verschiedenste Veranstaltungen statt, wie Wienerliedabende, ein "Wäschermädelball", eine Vintage-Verkaufsausstellung, entwicklungs- und umweltpolitische Aktivitäten. Eine erste geplante Revitalisierung als Veranstaltungszentrum scheiterte im Sommer 2014.

2017 begann der Neustart als Kulturzentrum „Reaktor“. Der Filmschaffende Bernhard Kammel hatte das Gebäude gekauft und umgebaut. Auf 1.200m² Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche werden in drei Sälen unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen in Verbindung gebracht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Fokus liegt dabei auf Film, bildender Kunst, Literatur, Musik sowie Tanz. "Der REAKTOR gibt Themen am Ereignishorizont der Gesellschaft transdisziplinär eine Bühne. Genres und Formate werden zu neuen Kunsterfahrungen verschmolzen", heißt es auf der Homepage. Als autonome Institution wird das Haus gänzlich privat finanziert."


Quellen:
Erich Bernard, Astrid Göttche (Hg.): Das Gschwandnder. Ein legendäres Wiener Etablissement. Wien 2012
Reaktor

Bild:
Zwischennutzung 2013, "Wäschermädelball". Foto: Doris Wolf