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Helga Maria Wolf

Jugendkulturen#

Jugendliche Teilnehmerinnen am Währinger Faschingszug. Foto: Doris Wolf, 2013
Jugendliche Teilnehmerinnen am Währinger Faschingszug. Foto: Doris Wolf, 2013

"Die Jugend bedarf der Stütze und Leitung, sie ist unerfahren und sie ist in ihrer sorglosen Frische und wachsenden Kraft die Freude der bedachtsam gewordenen Jahre," liest man im Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens, und weiter: "Diese können in die Jugend alles Wünschenswerte und Gute hineindenken und sie tun es auch". Als erstes Beispiel wird der "Angang" genannt. Wenn man am Neujahrstag als erstem einem jungen Menschen begegnet, bringt es Glück. Auch von Mythen ist die Rede, von der Sehnsucht nach ewiger Jugend. Man denkt an den "Jungbrunnen" (Lucas Cranach, 1546) oder die "Altweibermühle". Sie findet sich noch bei vielen Faschingsumzügen, die im beginnenden 19. Jahrhundert aufkamen.

Fasching - Zeit der Jugendlichen

Der Fasching war in den traditionellen Gemeinschaften eine wichtige Zeit im Jahreslauf der männlichen Jugendlichen. Von Faschingburschen oder Faschingnarren ist in Niederösterreich einiges überliefert: In Horn ging der Faschingnarr mit seinem Gefolge "phantastisch herausgeputzt", das Gesicht mit Ruß verschmiert mit einem Strohmann auf dem Rücken, heischen. In der Neunkirchener Gegend bezeichnete man den Brauch der Faschingsburschen als Fähnrichstanz. In Lichtenwörth bei Wiener Neustadt veranstaltete der Burschenklub einen Umzug mit Reitern, Prinz Karneval und "humoristischen Gruppen". Leopold Schmidt (1912-1981) fand die Vorbilder solcher Umzüge in den Vorstädten und in der Stadt.

In Wien gab es für die verschiedenen Gesellschaftsschichten spezielle Ballveranstaltungen. Der Hofball, in allen Sälen der Burg, war das große Repräsentationsfest für die gute Gesellschaft. Anlass für die jungen Herren, den anwesenden jungen Damen standesgemäß "den Hof zu machen". Die Herren - in bunten Uniformen - standen an der rechten Wand, die in noble Roben gekleideten Damen an der linken. "In vielen Diamanten spiegelten sich die Lichter der Kronleuchter", erinnerte sich der spätere Theaterdirektor Ernst Nadherny. Ein gesellschaftlich eingeführter junger Mann besuchte oft an einem Abend drei bis vier Tanzveranstaltungen, die in bekannten Sälen oder als Hausbälle stattfanden. "Ein junges Mädchen der höheren Stände durfte nicht allein auf die Straße gehen. Mit einem jungen Mann allein ins Kino oder gar in ein Gastlokal zu gehen, wäre unmöglich gewesen, ihr Begleiter hätte sich sofort als Bräutigam betrachten müssen." (E. Nadherny: Erinnerungen aus dem alten Österreich)

Auf dem Land galten andere ungeschriebene Gesetze. Man müsse sich im klaren sein, dass es bei einer Hochzeit "nicht um Liebe im städtischen Sinn geht," schrieb Schmidt. Er zitierte einen Pfarrer, der 1864 bedauerte: "Hat die Braut oder der Bräutigam Geld, so ist das für den Marchfelder die Hauptsache. Alles andere ist von geringerer Bedeutung." Über die Dorfgrenzen hinaus verbanden gemeinsame Feste wie der Kirtag die Jugendlichen, doch auch unter dem religiösen Mantel der Wallfahrt konnte man jemanden kennenlernen. Die Frauen in der Nachbarschaft wussten und beredeten alles. "Dieses in jegliche Intimsphäre reichende Dauergespräch bedeutet auch eine Art von Sittenkontrolle", stellte der Volkskundler fest, und betonte die Rolle der dörflichen Burschenschaft, der Altergruppe zwischen Schulabschluss und Militärzeit. Nach der Arbeit kamen die Burschen auf der Gasse zusammen, führten ihre "gar nicht feinen Reden", machten Späße und sangen Lieder. Wenn sich die Gruppe dann spät abends auflöste, "verschwand der eine oder andere Bursche und ging zum Fenster seines Mädchens. Die Burschenschaft deckte diese Art des Nachtbesuches sozusagen im allgemeinen dörflichen Einverständnis." Die Burschenschaft bestimmte das Verhalten der Mädchen. Sobald diese 16, 17 Jahre alt geworden waren, warfen ihnen die jungen Männer z.B. vor Allerheiligen hübsch geschmückte Strohzöpfe oder Striezel in den Hof und die Beschenkten wussten, dass sie nun "dazu gehörten".

Hier fällt die positive Bedeutung des Materials Stroh auf, das normalerweise ist ein Symbol der Schande ist. "Sitzen gelassene" Frauen in Deutschland bekamen zum Schaden auch noch den Spott: Strohbrezen auf dem Hausdach. In Niederösterreich wurden zwischen den Häusern von Liebespaaren Stroh und Dreschabfälle gestreut und in der kalten Jahreszeit mit Wasser begossen, damit die Spur unter dem Eis tagelang zu sehen war - eine Parallele zum Maistrich, wobei der Kalk mit Öl haltbarer gemacht wird.

Spaß statt Rüge ?

Rügebräuche waren ehrenrührig. Heute werden sie, wie der Maistrich, als Spaß verharmlost. Seit etwa drei Jahren wandert ein neuer Rügebrauch vom Norden Deutschlands in den Süden: wer bis zum 30. Geburtstag nicht verheiratet ist, muss Treppenfegen oder Klinkenputzen. Die Geburtstagskinder haben in der Öffentlichkeit unsinnige Aufgaben zu erfüllen. Karnevalesk maskierte Männer kehren mit untauglichen Hilfsmitteln die Stiegen eines Rathauses, wo Freunde und Kollegen immer wieder Kronenkorken ausstreuen. Frauen putzen mit WC-Besen die auf einer präparierten Tür befestigten Schnallen. Wollten sie sich dem Spektakel entziehen, würden sie als Spielverderber gelten oder sogar aus der Clique ausgestoßen werden. Da scheint es doch besser, wenn sie ihre öffentliche Bloßstellung als Spaß bezeichnen. "Ich will Spaß," charakterisiert eine Marketingexpertin das Lebensgefühl der Teens, die es als einheitliche Gruppe natürlich nicht gibt. "Spaß ist so etwas wie ein Lebenselexier, die Clique wird als zweite Familie angesehen." Die Rituale der Jungen zeigen sich globalisiert, urban und technisch. Schon Kinder feiern Geburtstagsparties nicht daheim, sondern nach US-Vorbild im Fast-Food-Restaurant, das mit bunten Requisiten spielt. Karaoke, in den 1970 er- Jahren in Japan erfunden, brauchte rund zwei Jahrzehnte, um den deutschsprachigen Raum zu erobern.

Das Internet ermöglicht Identität in virtuellen Welten. Wie das Mobiltelefon eröffnet es neue Formen der Kommunikation und "Gemeinschaft". Ein Flashmob (Blitzauflauf) wäre ohne diese Medien undenkbar: Teilnehmer, die einander nicht kennen, kommen zu einer bestimmten Zeit zu einem öffentlichen Platz, um dort für nur wenige Minuten kollektiv "einer gänzlich sinn- und inhaltslosen Tätigkeit nachzugehen" (Wikipedia). 2003 in New York erstmals durchgeführt, verbreitete sich der Brauch blitzschnell. Schon im selben Jahr gab es Aktionen in Wien. Die Vielfalt der Jugendkulturen scheint unübersehbar, die Szenen, ihre Rituale und Bräuche ändern sich ständig.

Erschienen in der Zeitschrift Schaufenster.Kultur.Region