!!!"Missbräuche"

[{Image src='Missbrauche.jpg' alt='Kreuzzieher, 18. Jh.' class='image_left' height='250' width='200'}] 


Was als ["Brauch"|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Brauch] und was als "Missbrauch" beurteilt wird, ist einerseits eine Frage der Deutungs- und Definitionsmacht, andererseits zeitgebunden. __Kirchenbräuche__ kommen und gehen in einer Wellenbewegung: Den prächtigen spätmittelalterlichen Umgängen mit [Reliquien|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Reliquie], Fahnen etc. folgte die Strenge der Reformation. Angehörige katholischer Orden nützten Bräuche für alle Sinne, um mit barockem Pomp die Gläubigen zu beeinflussen. Der Gegentrend kam in der Aufklärung, als Kaiser Josef II. (1741-1790) und andere Herrscher die inzwischen als übertrieben empfundenen Formen zurückdrängten. Schriftsteller, wie der als Verfasser der Eipeldauer-Briefe bekannte Joseph Richter (1749-1813), kritisierten die "katholischen Missbräuche" In der Romantik fanden [Kerzen|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Kerze], [Blumen|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Blumen], Statuen, gemütvolle Lieder etc. neue Wertschätzung. Exponent dieser Richtung war der spätere Wiener Stadtpatron, [Clemens Maria Hofbauer|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Clemens_Maria_Hofbauer,_hl.] (1751-1820). Das Zweite Vatikanische [Konzil|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Konzil] bereinigte u.a. die Liturgie und den Heiligenkalender. Es wurde dafür als "Konzil der Buchhalter" kritisiert. Papst Benedikt XVI. erlaubte wieder die vorkonziliare Gottesdienstfeier. \\ \\
 
Bräuche sind nicht nur schön, idyllisch, nostalgisch. Der deutsche Theologe und Brauchforscher Herbert Rauchenecker (1939-2014) hat einige __Negativaspekte__ herausgearbeitet: Angstauslöser [Krampus|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Krampus], Zwangsinstrument Silvesterfeier ("Keine Verabredung zu haben ist für einen Heranwachsenden das Äußerste an Tragik"), Spaßverderber Festredner, Stressfaktor Weihnachtszeit, Fluchtanlass Feiertage, Aggressionsauslöser Karneval, Ankläger Rügebräuche … Der Augsburger Volkskundler Günther Kapfhammer (1937-1993) hat in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf die "kontrovers zu diskutierende Innenansicht" hingewiesen: ''"Wer sich mit Brauch beschäftigt, wird feststellen müssen, dass Zwang ausgeübt wird, Fremdbestimmung zur Regel gehört ... und damit durchaus nicht immer dem verbreiteten Klischee entspricht, mit Brauch ließe sich besser und intensiver leben." ''\\ \\
 
Beobachtungen zeigen, dass ehrenrührige und persönlich verletzende Sanktionen keineswegs überholt sind. Sie werden oft "Spaß" genannt, die Betroffenen müssen gute Miene zum bösen Spiel machen. Bräuche sind gruppendynamische Prozesse. Wie in jeder Gruppe gibt es nicht nur Anführer und Mitläufer, sondern auch Außenseiter. Bei [Rügebräuchen|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Rügebrauch], die Individualisten stigmatisieren, hört sich der Spaß auf. Eine Dorf"gemeinschaft", die unverheirateten Frauen dürre [Maibäume|Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_Österreichs/Maibaum] oder Strohstriezel aufstellte und ledige Mütter diskriminierte, wird von den Betroffenen kaum als hilfreiche Gruppe erlebt worden sein. Oder: Wo verläuft die Grenze zwischen harmlosen Schabernack und boshafter __Sachbeschädigung__ in der Unruhnacht ? So ist man heute geneigt, manches frühere "Brauchtum" als "Missbräuche" einzustufen.  Andererseits werden neue Bräuche, die Einzelne verächtlich machen (in Deutschland z.B. öffentliche Strafen für ledige Dreißigjährige) als "Spaß" deklariert. \\ \\


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__Quellen:__ \\
Alfred Lorenzer: Das Konzil der Buchhalter. Frankfurt/M. 1984\\
Herbert Rauchenecker: Heil(ig)es Brauchtum? München 1998. S. 35-40\\
Joseph Richter: Bildergalerie katholischer Mißbräuche. Wien 1784.\\
Helga Maria Wolf: Das BrauchBuch. Alte Bräuche, neue Bräuche, Antibräuche. Wien 1992. S. 300 f.\\ \\

__Bild:__ \\
"Kreuzzieher in Hernals" aus der Kritik von J. Richter, Kupferstich von J. Mansfeld

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