David Weiss, Gerd Schilddorfer: Die Novara#
David Weiss, Gerd Schilddorfer: Die Novara. Österreichs Traum von der Weltmacht. Amalthea Signum Verlag Wien 2010. 318 S. € 24,95
Mehr als eineinhalb Jahrhunderte galt die Weltumseglung mit der Fregatte „Novara“ (1857-1859) als wissenschaftliche Großtat der Donaumonarchie. Die kaiserlichen ethnographischen und naturhistorischen Museen verdanken dem Forschungsprojekt wichtige Exponate. Das Naturhistorische Museum legitimiert seine Existenz u.a. durch die Teilnahme seiner Gründer an dieser Expedition. Das Museum für Völkerkunde bewahrt die weltweit bedeutendste Kulturgüter-Kollektion der Nikobaren. Karl Scherzers dreibändige Reisebeschreibung (1861) stand an zweiter Stelle der meistverkauften deutschsprachigen Bücher.
Nun haben sich zwei Journalisten vorgenommen, den Ursprungsmythos österreichischer Forschung zu zerstören. Ihre Recherchen dauerten etwa gleich lang wie die Expedition. Die Darstellung von David G. L. Weiss und Gerd Schilddorfer konzentriert sich auf die federführende Beteiligung der k. k. Kriegsmarine und die politischen Hintergründe der Weltumseglung. Die Autoren verstehen ihr Buch als "Diskussionsanregung und Einladung zur privaten und wissenschaftlichen Hinterfragung", es hat in kurzer Zeit seine 2. Auflage erreicht. Sie bezweifeln, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse das oberste Ziel der Expedition waren. Vielmehr hätte Österreich als damals zweitgrößter Staat Europas wenige Jahre nach der Eröffnung des Suezkanals versucht, in Ostasien eine Kolonialmacht zu werden. Weiss und Schilddorfer interessierten sich für die Ungereimtheiten, die bei genauerem Vergleich von Archivalien und dem Bestseller der offiziellen Reisebeschreibung zutage kommen.
„Ein österreichisches Kriegsschiff segelt rund um die Welt, bis an die Zähne bewaffnet, mit einigen Wissenschaftlern, einer Einheit Marineinfanteristen an Bord und mit einer so großen Anzahl an an Matrosen vollgestopft… In einer Zeit, in der bereits die Dampfer drauf und dran sind, die Weltmeere zu übernehmen…“ Der Verdacht drängt sich auf, dass die Weltreise mit einem Kohledampfer zu teuer gekommen wäre, und es dauerte nicht lange bis zum unrühmlichen Ende des legendären Schiffes. Das einst seetüchtigste Segelschiff der österreichischen Marine wurde 1861 bis zur Unkenntlichkeit zur Propellerfregatte umgebaut und sogar die Galionsfigur ausgetauscht. Nur der Name blieb bis zur Außer-Dienst-Stellung und Abwrackung 1898.
Aus der Distanz von eineinhalb Jahrhunderten erscheint vieles, was im Umfeld der Weltumseglung geschah, nicht nur politisch unkorrekt, sondern unmoralisch und bedenklich. Etwa die anthropometrischen Messungen der "halbwilden Insulaner" und diesbezügliches Anschauungsmaterial. So wurde "ein komplettes Buschmann-Skelet, das einzige Exemplar in ganz Europa" nach Wien geschickt. Die Daten sollten der Unterscheidung und Klassifikation der "Menschenrassen" dienen, um eine Entwicklungsreihe abzuleiten - von der untersten Stufe jener "Menschart", deren Körperform die größte Ähnlichkeit mit Menschenaffen aufwies, bis zur höchsten der Europäer.
Aufschlussreich ist der Blick hinter die Kulissen des Prestigeprojekts, das nicht die "erste österreichische Weltumseglung" war. Diese hatte der Seefahrer Giovanni Visin mit nur elf Mann Besatzung bereits 1851 begonnen, doch reiste er mehr als acht Jahre lang und kehrte vier Tage nach der "Novara" heim. Geplant war eine solche Expedition - nach dem Vorbild von James Cook - schon zur Zeit Kaiser Joseph II., doch kam man nicht über das Planungsstadium hinaus. Die Expedition mit der "Novara" ging in mehrfacher Hinsicht bis an die Grenzen der Belastbarkeit, bei der Beladung des 50 m langen Holzschiffes ebenso wie bei seiner Besatzung von 352 Mann. Wegen des Platzmangels durften die Matrosen nur im 4-Stunden-Turnus in Hängematten schlafen. Organisation und Streitigkeiten waren nur mit militärischer Disziplin in den Griff zu bekommen. Unter den Forschern sorgte eine Zweiklassengesellschaft für Konflikte. Während unter den Akademikern von einer "Expedition im Glashaus" gesprochen wurde und sie die Einladungen der österreichischen Konsulate genossen, ging es dem wissenschaftlichen Hilfspersonal schlecht. Ein bezeichnendes Licht darauf werfen die erst vor kurzem entdeckten Briefe des späteren Hofgärtners Anton Franz Jelinek. Er musste eine Kajüte mit einem Forscher und einem Tierpräparator teilen. Für seine Fundstücke billigte man ihm knapp 2 m³ zu, wo aber ein Mitreisender Spirituosen einlagerte. Während der offizielle Botanik-Beauftragte, der Mediziner Eduard Schwarz, Liebkind der Schiffsleitung war, sah sich Jelinek massivem Mobbing ausgesetzt. Sozial isoliert wurde er "von müssigen Cadetten und Offiziren gestört, gehindert und confus gemacht." Man erlaubte ihm nicht einmal mehr, wichtige Gärten zu sehen. Die Missachtung ging so weit, dass man ihn und seine Erkenntnisse nicht einmal mehr erwähnte. Dieses Schicksal teilte er mit anderen Nicht-Akademikern. In der 1000-seitigen propagandanahen Reisebeschreibung ist nur vom "Gärtner", "Zoologen" und "Maler" die Rede. Letzterer, Franz Selleny hatte aber 2000 Bilder angefertigt. Gänzlich vergessen war bis zu den Recherchen von Gerd Schilddorfer auch der Urheber der verschollenen Fotografien, Wenzel Lehmann.
Das Buch enthüllt viele Details, die man in der Schule nicht lernt, wie zwischenmenschliche Konflikte oder den Alltag an Bord, wobei die Herren allerdings auch Feste zu feiern verstanden. Nicht alle der 352 Weltreisenden sind heimgekehrt - "Die Wissenschaftler verließen die Novara wie Ratten das sinkende Schiff" -, viele Männer desertierten, etliche wurden Opfer von Unfällen oder Krankheiten. Davon war freilich keine Rede, als die Novara am 26. August 1859 nach 551 Tagen an denen sie 51.686 Seemeilen zurückgelegt hatte, in Triest heimkehrte. Man bereitete ihr einen triumphalen Empfang. Ein Marsch wurde komponiert, die meisten Teilnehmer ausgezeichnet und danach im Augarten ein eigenes Novara-Museum eröffnet. (Heute sieht man Exponate wie die Aquarellstudien von Josef Selleny und ein Schiffsmodell im Marinesaal des Heeresgeschichtlichen Museums.) Das Karltheater führte das Volksstück "Um die Welt auf", das indirekt auf die Unternehmung Bezug nimmt und die Bereisten als menschenfressende Wilde charakterisiert. Die wissenschaftlichen Resultate der Reise erschienen 1861-1876 im 21-bändigen Werk "Reise der österreichischen Fregatte Novara um die Erde" der Akademie der Wissenschaften. Die ersten drei Bände von Karl Scherzers wurden zum Bestseller der Reiseliteratur. Dass das Thema Novara noch immer aktuell ist, zeigt das Interesse an der Kritik. Die erste Auflage des Buches war in kürzester Zeit vergriffen.