!!!Kasten in unserer Gesellschaft

!!Wilfried Daim

Dieser Aufsatz behandelt einen Teilaspekt der in dem Buch des Autors „Die kastenlose Gesellschaft" — erschienen bei Manz, München 1960 — behandelten Problematik.

!Die indischen Kasten
Das Wort Kaste kennen wir vor allem aus dem Sprachgebrauch der traditionellen Hindugesellschaft. Es bezeichnet dort im Rahmen einer im übrigen festgefügten und metaphysisch überbauten Sozietät gleichsam eine Untergruppe, die mit der übrigen Gesellschaft keinerlei Intimkontakte pflegt. Das Fehlen der Intimkontakte zwischen den Kasten bedeutet vor allem, dass Heirat, Kindererziehung und körperliche Berührungen, wie Händegeben, nur innerhalb der Kaste erfolgen. Dabei ist, mit Ausnahme der Berührung der untersten Kaste der „Unreinen", der „Paria", die Berührungsangst nicht so groß. Aber Heirat und Erziehung der Kinder erfolgen „unter sich".


Bestimmte qualifizierte Berufe höherer Art sind nur Angehörigen oberer Kasten vorbehalten, so haben diese bedeutende Privilegien. Die niedrigsten Dienste hingegen, wie Leichenverbrennen, sind nur Angehörigen der untersten Kaste zugeteilt.
Die Kasten haben spezifische Lebensformen, die die Kluft noch unterstreichen. So dürfen sich nur bestimmte Oberkasten auf Elefanten — dem vornehmen Reittier — fortbewegen, während dies anderen Kasten verboten ist. Solch niedere Personen gehören einfach nicht da „hinauf".

Sie unterscheiden sich weiter durch direkte Kastenabzeichen (Punkte auf der Stirn usw.. Diese Kasten sind im heutigen Indien offiziell abgeschafft, existieren aber weiter in der Gesellschaftsmoral. In der modernen Industriegesellschaft entstehen für den Kastengeist Schwierigkeiten durch neue Berufe, die in der alten Kastenordnung nicht vorgesehen sind, wie etwa der Ingenieur. Aber das kastengemäße Verhalten stört sogar den normalen Ablauf einer Industrieproduktion. So kommt es vor, dass in Betrieben an laufenden Bändern Arbeiter beschäftigt sind, die aus hochkastigen Familien stammen. Auch der Industriearbeiterberuf ist in den alten Kastenordnungen nicht vorgesehen, seine Funktion dürfen also Angehörige jeder Kaste ausüben. Es ist jedoch „unter der Würde" eines Brahmanen, etwas, das ihm hinunterfiel, auch selbst aufzuheben. Wenn nun ein Teil, der einem Werkstück hinzugefügt werden sollte, einem solchen Arbeiter hinunterfällt und er es nicht aufhebt, läuft das Werkstück eben ohne diesen Teil weiter, was gegen jedes Gesetz der Industrie ist. Daher gibt es in solchen Fabriken fliegende Pariakolonnen, die solche Werkstücke aufheben müssen.

Ohne Zweifel gereicht die Kastenordnung den oberen Kasten zum Vorteil, da für sie nicht die Gefahr besteht, dass die unteren in ihre privilegierten Domänen einbrechen und etwa ihre Hände nach jenen Berufen ausstrecken, die ein besseres Leben garantieren.

Die Kastenordnung wurde nun in Indien in besonderer Weise stabilisiert. Dies durch eine, vom Standpunkt der Oberkasten besonders geschickte metaphysische Verankerung: die Lehre von der Seelenwanderung. Ist ein Paria besonders fromm, das heißt, erfüllt er das Gesetz seiner Kaste vorbildlich — womit er natürlich die sozialen Verhältnisse stabilisiert —, kommt er im nächsten Leben als Kind einer gehobeneren Kaste zur Welt. Die soziale Dynamik wird so ins Jenseits verlegt, dadurch werden stabile diesseitige Verhältnisse gewährleistet — und dies dient wieder den Oberkasten.

!Der europäische Adel

Auch in Österreich — und nicht nur hier — gab es eine gesellschaftliche Situation, in der offizielle Kastenschranken existierten, nämlich bis zur (natürlich wiederum nur offiziellen) Abschaffung des Adels 1919. Über der mehr oder weniger amorph gedachten Basis der sogenannten „Gesellschaftspyramide" — das Bürgertum, die Bauern, Intellektuellen und das Proletariat — erhob sich die Stufenpyramide des Adels, vom „Edlen von" bis zum Kaiser (1). Wie jedes einfache Pyramidenmodell eine Illusion ist, so auch dieses. Denn die Bewertung der einzelnen ging nicht nur nach einem einzigen Gesichtspunkt, nämlich der Rangreihe der Titel, vor sich.

Die Höherrangigen können nämlich einen „weniger alten" Adel verkörpern, ja es konnte sich um „uralten" oder „ganz jungen" Adel handeln. Daneben spielte natürlich die Größe der Güter einer Familie, unter Umständen sogar persönliche Tüchtigkeit und Intelligenz bei der Bewertung einer Persönlichkeit eine Rolle.

Allerdings war der europäische Feudalismus, besonders durch seine Verknüpfung mit dem Christentum, das ihm ein schlechtes Gewissen verschaffte, hinsichtlich des Auf- und Abstiegs zwischen den Kasten nie so starr wie das indische System — aber auch nicht so stabil. Denn die bestehende Möglichkeit, durch besondere Leistungen durch die „Gnade" eines besonders hohen Herren „geadelt" und damit in eine andere Menschenkategorie eingeordnet zu werden, bestand immer in irgendeiner Weise. Nicht im Jenseits, sondern schon im Diesseits fand also eine gesellschaftliche Bewegung statt.

Am zähesten lebt der britische Feudalismus. Er entwickelte die leistungsfähigste und tüchtigste Aristokratie. Dies deshalb, weil er es verstand, das Leistungsprinzip in die Aristokratie einzubauen und ihr so eine ungewöhnliche Kraft zu verleihen. Der Titel eines Herrn wurde nur auf einen Sohn übertragen, die anderen Söhne mussten, so sie einen Titel wollten, ihn durch Leistungen verdienen. Sie erlangten ihn sicher leichter als Söhne aus anderen Familien, doch führte dieses Gesetz zu einer Dynamisierung des Adels.

Auch bei uns hatte der Adel ähnliche Distanzsymbole, Heirats- und Erziehungsgesetze wie in Indien die Oberkasten. Ob man einen bestimmt gefärbten Punkt auf der Stirne trägt oder bei bestimmten Gelegenheiten eine Krone mit einer genau abgezählten Zahl von Zacken, ist nicht wesentlich. In beiden Fällen handelt es sich um die Demonstration   der   Zugehörigkeit   zu   einer   Menschenkategorie. Es gibt nun im Grunde nichts unindividuelleres und „kollektivistischeres" als den Adel, da der Persönlichkeitswert primär durch die Zugehörigkeit zu einer geburtsmäßig fixierten Kategorie bestimmt wird und zu einer vorgeschriebenen Verhaltensweise zwingt. 

Man muß, will man die Kastenmentalität zur Gänze erfassen, sie in ihrer Vollausprägung — nur so kommen wir zur „Idealtypik" im Sinne Max Webers — betrachten, nicht etwa zu einer Zeit, in der bereits ein ideologischer Rückzug angetreten wurde. Im gleichsam ungehemmten Feudalismus, der ja eine Brücke zur Sklavenhaltergesellschaft besitzt, heiratet eine Kaste nur „unter sich", erzieht ihre Kinder getrennt von der übrigen Gesellschaft, zeichnet sich durch besondere, nur ihr zukommende Merkmale (Titel, Zeichen, wie Wappen, Kronen, Sprechweise, Wortschatz) und eine nach unten streng Abstand haltende Lebensform aus. Zur letzteren gehören spezifische Speisen, Essgewohnheiten, Hobbies, wie etwa spezielle Sportarten, wobei die besonders vornehmen jene zu sein pflegen, die mit den Funktionen des Rittertums traditionsgemäß zusammenhängen: das „edle Waidwerk", Reiten, Fechten, Trabrennen und dergleichen. Daher gelten auch Darstellungen, Trophäen, Kleidungsstücke und Geräte (Waffen) dieser Sportarten als „vornehm" oder „nobel". So Stiche von Fuchsjagden, Hirschgeweihe, Stiefel, Säbel (die Vorliebe hiefür zeigt uns der Sekundärfeudalismus der sogenannten Nationalsozialisten) und ähnliches.

!Feudale Jagd, feudaler Krieg

Die Jagd ist ein besonders feudales Vergnügen, daher zahlen auch Großbürger viele tausend Mark in den Volksdemokratien und in Österreich für das Abschießen von Hirschen und anderem Wild. Wer einen Hirsch in Ungarn schießt, fühlt sich als Magnat. Uns erscheint dies alles freilich ein bisschen unwirklich. Doch die Tiere des Waldes sind verschiedenwertig. Für Feudale sind dabei bestimmte Tiere standesgemäß, andere nicht. So durften bis zur Französischen Revolution nur die Herren „Hochwild" jagen, also Hirsche, Bären und dergleichen. Die Bauern konnten jedoch Hasen und Kaninchen fangen. Als besonders feudal gelten die mächtigen Raubtiere, die ja auch in den Wappen auftauchen. Das sind neben Fabeltieren (Greif usw.) und exotischen Tieren, die den Fabeltieren nahekommen (Löwen, Tiger, Panther), größere Raubtiere unserer Gegenden, also Adler — weniger Habichte und Falken —, Bären und Wölfe, aber nicht mehr so sehr Füchse. Da es nur noch wenige Adler gibt oder gab, bleibt als teuerstes Abschußtier der Hirsch, dessen Jagdwert wieder von der Zahl der Geweihenden abhängt.

Es gibt einen internationalen feudalen Ehrenkodex. Alle Ritter, die französischen, britischen, deutschen, polnischen und japanischen, achteten die Tapferkeit — nur diese und das Waffenhandwerk garantierte ihre Herrschaft — aber es gab doch Differenzen. Der Ehrenkodex der Ritter hat sich ins Offizierskorps auch moderner Armeen hinübergerettet. (Kein Wunder, früher stellte ja vor allem der Adel die Offiziere der stehenden Heere.) Auch die nationalen Unterschiede in den Ehrbegriffen bleiben erhalten. Von dem dramatischen Aufeinanderprallen zweier solcher Ehrenkodizes lebte der Film „Die Brücke am Kwai". Nach dem britischen feudalen Ehrenkodex muss sich ein Offizier, der den entsprechenden Befehl erhält, ergeben — das taten die Briten — während nach dem Bushido-Ehrenkodex der Samurai ein Offizier, der sich ergibt, ehrlos ist. Da sich nun die Briten ergaben, waren sie für die Japaner ehrlos. Als sich aber herausstellte, dass der führende britische Offizier trotz dieser Vorurteile Charakter besaß, beging der japanische Harakiri.

!Der Kastengeist lebt weiter

Die Tatsache, dass 1919 bei uns der Adel abgeschafft wurde, bedeutet ebensowenig wie die offizielle Abschaffung der Kasten in Indien, dass Kastengeist und Herrenmenschentum, dass die Leitbilder des „Noblen" und „Vornehmen" nun völlig ihre Wirkung verloren hätten. Davon kann keine Rede sein, im Gegenteil, wir erleben gleichsam eine tertiär-feudale Welle. Und dies bedeutet, dass selbstverständlich auch in unserer Gesellschaft all jene — vom vernünftigen, echt rationalen Standpunkt aus — unsinnigen Dinge mit einem geringen Bewußtseinsgrad, aber doch sehr wirksam weiterbestehen.
Ja, auch in der kommunistisch-sozialistischen Gesellschaft gibt es vieles davon — verdeckt, aber doch. So ist es in Jugoslawien nur hohen Funktionären erlaubt, amerikanische (großkapitalistische) Autos zu fahren — so wie in Indien die Elefanten den Vornehmen vorbehalten waren.

Es ist üblich, dass die aristokratische „Elite" auf die anonyme „Masse", auf das „Kollektiv", hinuntersieht, wobei völlig naiv angenommen wird, dass sich die „gesichtslose" Masse, in der man „nicht Mensch, nur Nummer" ist, uniform, einheitlich, egalitär verhält, während sich die „Elite" jeweils von ihrer „individuellen" Seite zeigt. In ihr hat angeblich jeder sein eigenes Profil.

Tatsächlich handelte jedoch niemand so kollektivistischuniform wie die Aristokratie. Wenn es „zum guten Ton" gehört, dass die Männer der britischen „high society" an gewissen Tagen mit Zylinder und Frack mit dem Fernglas dem Rennen zusehen, so unterwerfen sie sich damit einer ungleich strengeren Norm, die viel weniger individuelle Varianten zulässt als die der „low society", deren Männer beim Fußball nach Herzenslust individuelle Bekleidungsunterschiede zeigen dürfen. Es ist also ganz falsch, anzunehmen, dass es hier nur Kollektivität, dort nur Individualität gäbe. Nun ist die Aristokratie heute zwar weitgehend an den Rand der Gesellschaft abgedrängt, ihre Allüren bestehen jedoch weiter.

!Das "Akademische"

Ein besonders naheliegendes Beispiel für kastenhaftes Verhalten liefern bei uns viele „Akademiker". Man vergleiche die Assoziationen, die einerseits das Wort „Akademiker", andererseits das Wort „Intellektueller" erweckt. Zwar hat man das Gefühl, dass beide miteinander etwas zu tun haben, dass sich die Begriffsumfänge jedoch keineswegs decken.

Das „Akademische", das Assoziationen des Hoheitsvoll-Überlegenen, gleichzeitig Blutleeren erweckt, bedeutet in Österreich eine Kombination von Spätfeudalismus und Intellektualität. Ein entsprechendes Symbol dafür sind die Katheder der alten Hörsäle: Über dem Pult des Professors ist ein hölzerner Baldachin angebracht, so, als ob man ihn vor potentiellen Gewittern schützen müsste. Von dort oben werden dann den Studenten gnädig „Brosamen" ewiger Weisheit verabreicht, die jene „ehrfürchtig", mit der Demut der k.u.k. Untertanen, anzunehmen haben. Das ist die gedachte Grundrelation. Nichts deutet auf das Bewusstsein hin, dass „der Geist weht, wo er will", dass im Studenten da unten etwa geniale Blitze auftauchen könnten, die den Professor vielleicht nie beunruhigten oder heimsuchten. Oben wird Geist zelebriert.

Vor dem Ersten Weltkrieg war der „Akademiker" gleichsam ein Unteraristokrat in der Bevölkerung, eine Art von Mannschaftsdienstgrad wie ein Unteroffizier bei der Armee. Hanns Sachs erzählt, dass der Ober in seinem Stammcafé, getreu der Wiener Regel, dass es höflich ist, jemanden hinaufzutitulieren, ihn mit „Herr Doktor" anredete, solange er Student war, ihn jedoch vom Tage der Promotion an mit „Herr von Sachs" titulierte.

Das „Elite"-Bewusstsein der „Akademiker" ist ebenso weitverbreitet, wie es unsinnig ist. Sie halten sich für "etwas Besseres", glauben sich im Urteil über Fragen von allgemeinem Interesse, einschließlich der Politik, dem gewöhnlichen Sterblichen „überlegen". Weder die Empirie noch sachliche Kalkulation können dieses Urteil bestätigen.

Vergleicht man nämlich die politische Einstellung der Studenten, ja der Hochschulprofessoren vor 1938 und dann bis 1945 mit jener der Durchschnittsbevölkerung hinsichtlich ihres praktischen Urteils, so zeigt sich die Überlegenheit der Durchschnittsbevölkerung klar und eindeutig: Das „Elite"-Gefühl verführte zum Rassismus.

Weiter ist der Akademiker im allgemeinen ein Spezialist, dem auf Grund des Aufgehens in seinem Fach — dem Sitzen im Elfenbeinturm — nur selten eine tiefere Einsicht in die bestimmenden Kräfte der Gesellschaft gegeben und damit in die Determinanten des politischen Geschehens oft verwehrt ist. Gerade das bildet er sich jedoch gern ein. Im Grunde lernt er viel von sehr wenig und schnürt sich durch eine kastenhafte Tendenz häufig vom allgemeinen Geschehen ab. Fachliche Denkschemata aus seinem Spezialgebiet überträgt er auf die Gesellschaft — der Arzt solche vom Organismus, der Ingenieur von der Maschine usw. Er wird aber außerhalb seines Fachgebietes ebenso von übernommenen Vorurteilen und gefühlsmäßigen Annahmen geleitet wie die übrige Bevölkerung, nur weiß diese meist mehr, dass sie „nichts weiß".

Intellektuelle Neugier, Experimentierfreudigkeit und der Glaube an die geistige Bewegung durch Diskussion, ja die Freude am freien Spiel der Gedanken an sich, all dies ist nicht unbedingt „akademisch", wohl aber „intellektuell".

Der Zentralwert des Akademikers ist der „akademische Grad", den man durch entsprechende Prüfungen erwarb. Die Prüfungen sind die enge Pforte, die das Tor zum Heiligtum bewacht. Die Psychologie der „Prüfung" kann hier nicht gegeben werden. Sie hat düstere Aspekte.

!Der Mann bestimmt die Stellung

Was die akademischen Heiratsgesetze betrifft, so entsprechen sie den patriarchalisch-feudalen. Danach wird die Frau hinaufgezogen, wenn der Mann oben ist und die Frau unten, doch darf die Distanz nicht zu groß sein. Ja die Frau erhält den Titel des Mannes noch dazu. Sie wird Frau Doktor, Professor, Hofrat, Minister, wenn es der Mann ist. Dies führt natürlich zu unerquicklichen Gefühlen, wenn eine sekundäre Frau Doktor (Titel vom Mann) mit einer primären — einer wirklichen Akademikerin — zusammenkommt, ein nicht seltener Fall im akademischen Milieu.

In unserer spätpatriarchalischen Gesellschaft ist es jedoch völlig ausgeschlossen, dass die Frau einen Mann auf ihre Höhe hinaufzieht. So wird es niemandem — es sei denn aus Sadismus — einfallen, einen nichtakademischen Mann, der eine Frau mit Doktorat heiratete, mit „Herr Doktor" zu titulieren. Ja, eine Akademikerin, die dergestalt „hinunterheiratet", geht eine Art Mesalliance ein, sie „wirft sich weg" wie eine Baronin, die einen „Edlen von" heiratete. Dadurch wird der Heiratsmarkt für Akademikerinnen, wollen sie nicht mit den Gepflogenheiten ihrer Kaste in Konflikt geraten, erheblich eingeschränkt. Akademische Männer können natürlich Akademikerinnen heiraten, wenn ihr Selbstbewußtsein stark genug ist, sie können jedoch ebenso auch Maturantinnen und Frauen noch geringeren Bildungsgrades heiraten, ohne ihre gesellschaftliche Stellung zu gefährden. Der Mann zieht also hinauf oder drückt hinunter, bestimmt primär den Kastenstandort. Der Titel entspricht dem farbigen Stirnpunkt bei den Indern.

Ein solcher Aufsatz kann nur einen kleinen Teil dessen zeigen, was unerhört weitverzweigt unser gesellschaftliches Verhalten bestimmt, ohne dass es rational gerechtfertigt werden kann, ja ohne dass es uns klar zum Bewusstsein kommt. Der Kastengeist oder besser gesagt -ungeist gehört zu den Überbleibseln in unserem Denken und Fühlen, die mit modernen demokratischen Auffassungen völlig unvereinbar sind. Aber er hat ein zähes Leben, und es wird noch lange dauern, bis er in allen Schichten und Gruppen unserer Bevölkerung ausgerottet ist.

(1) Wir erinnern uns des alten Auszählreims:  „Kaiser, König,  Edelmann,  Bürger,  Bauer,  Bettelmann ..,"  usw.

!Quelle
* Arbeit und Wirtschaft, September 1967

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