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Auskommen mit dem einen Planeten#

Ertragreiche, klimastabile Pflanzen sollen wachsende Weltbevölkerung ernähren - Bioökonomie-Konzept sorgt auch für Kritik.#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 2. September 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Cathren Landsgesell


Mais-Anbau in Großbritannien (Nordirland)
Mais-Anbau in Großbritannien (Nordirland): Die Bioökonomie verspricht unter anderem Pflanzen, die höhere CO 2 -Konzentrationen vertragen, wie sie Ende des Jahrhunderts vorherrschen werden.
© Reuters/Cathal McNaughton

Wien. Vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels und des Schwindens fossiler Ressourcen gewinnt der Diskurs um die Bioökonomie an Dringlichkeit: "Ende des Jahrhunderts werden wir doppelt so hohe CO2-Konzentrationen haben wie heute. Da beißt die Maus keinen Faden ab. CO2 ist für Pflanzen ein Nährstoff. Wir müssen untersuchen, ob wir in unseren heutigen Nutzpflanzen Linien haben, die eine verdoppelte Konzentration in mehr Ertrag umsetzen können", sagt beispielsweise Ulrich Schurr, Leiter des Instituts für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum Jülich in Deutschland.

Dort ist man unter anderem damit beschäftigt, die Mechanismen der Wurzelsysteme von Pflanzen zu analysieren, um effizienter mit Nährstoffen und Wasser umgehen zu können. So sollen Pflanzen entstehen, die mit weniger Nährstoffzufuhr und weniger Wasser mehr Ertrag bringen und damit auch dazu beitragen, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.

Deutschland ist Vorreiter#

"Die Bioökonomie ist keine adäquate Antwort auf den Klimawandel oder die Ernährungssicherheit", sagt hingegen Franz-Theo Gottwald, Leiter der Schweisfurth Stiftung in Deutschland, einer NGO, die sich unter anderem für den Ökolandbau einsetzt. Bioökonomie setze auf weiteres Wirtschaftswachstum und sei daher nicht nachhaltig: "Wenn noch mehr Biomasse produziert wird, brauchen wir auch mehr Input in Form von Agrarchemie", erklärt er. "Jedes Mehr ist aber klimaschädlich." Gottwald hält Bioökonomie daher für einen "Irrweg".

Ursprünglich von der OECD "erfunden", um das kommerzielle Potenzial der Gentechnik zu beschreiben, meint Bioökonomie heute ein neues Paradigma: Eine auf biologischen statt fossilen Rohstoffen basierende Wirtschaft soll für ein diesmal "nachhaltiges" Wirtschaftswachstum sorgen. Zu den biobasierten Rohstoffen gehören zum Beispiel Pflanzen, die in industriellem Maßstab zur Energiegewinnung eingesetzt werden, Mikroorganismen, die für neue Verfahren oder neuartige Materialien erzeugt werden oder auch gentechnisch veränderte Tiere.

Bioökonomie umfasst von der Agrar- über die Lebensmittel-, Chemie- und Holzwirtschaft bis hin zur Pharmazeutik potenziell alle Bereiche der Wirtschaft. Diese Art der wissensbasierten Ökonomie fußt vor allem auf molekularbiologischen und genetischem Wissen und den Methoden der Biotechnologie. Diese kann als echte High-Tech-Forschung eingesetzt werden oder auch als im Vergleich dazu "mittlere" Technik, wenn zum Beispiel versucht wird, Pflanzen durch Einkreuzen alter Sorten widerstandsfähiger zu machen. Diese Forschungsbereiche sollen in der Bioökonomie auch entsprechend ausgebaut und gefördert werden. Zumindest in Deutschland. Der Nachbar ist ein Vorreiter bei der Erforschung und Umsetzung der Bioökonomie auf nationaler und EU-Ebene. Bereits 2010 wurde eine eigene Forschungsstrategie ins Leben gerufen, in die die deutsche Bundesregierung 2,4 Milliarden Euro investiert.

Leben als Ware?#

Investiert wird in Projekte wie die skizzierte Phänotypisierungsforschung von Ulrich Schurr oder das Bioeconomy Science Center, einem Zusammenschluss der Rheinisch-Westfaelischen Technischen Hochschule Aachen, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Friedrich-Wilhelms Universität Bonn und des Forschungszentrums Jülich, zu einem Bioökonomie-Kompetenzzentrum. Wissen aus der Verfahrenstechnik, der technischen Chemie und der Pflanzenwissenschaft wird dort gebündelt, um die bisher auf fossile Materialien ausgerichteten Techniken auf biogene Ausgangsstoffe umzupolen: "Es geht darum, ganz neue Produktionssysteme zu entwickeln, wobei man zum Beispiel die weiße Biotechnologie nutzt, um mittels Enzymen Biomasse so zu veredeln, dass eine größere Bandbreite der Pflanze genutzt werden kann", erklärt Ulrich Schurr. Anders als fossile Rohstoffe, die auf Kohlenstoffverbindungen beruhen, erfordern biologische Rohstoffe komplexere Technologien, die erst in die alten "fossilen" Wissensbereiche eingebracht werden müssen: "Man kann zum Beispiel mit niedrigeren Temperaturen und Drücken arbeiten und mit Wasser als Lösungsmittel. Das ist eine komplexere, aber auch viel nachhaltigere Technologie."

Franz-Theo Gottwald hat im Prinzip nichts gegen nachhaltige Technologien. Der Autor des Buchs "Irrweg Bioökonomie" sieht allerdings ein großes Problem: "Mit der Bioökonomie werden Produkte, die auf biologischen Rohstoffen beruhen, zu einem technischen Gut, auf das es Patente gibt, mit dem Eigentumsrechte verbunden sind und das gehandelt werden kann. Das Leben wird zu einer Ware. Die Frage ist, wollen wir das?" Bioökonomie habe ursächlich nichts mit der Patentierung von Leben zu tun, sagt hingegen Ulrich Schurr. "Das ist eine Frage, die gesellschaftlich beantwortet werden muss. Die Bioökonomie bietet lediglich Optionen an. Patente sind nicht Teil davon."

Für Gottwald stellt sich die Frage der Kommerzialisierung auch auf einer anderen Ebene, er kritisiert: "Der industrielle High-Tech-Pfad bedeutet, dass vor allem die großen Konzerne profitieren. Außerdem geht diese Forschung zu Lasten der Forschung an Alternativen wie dem Ökolandbau oder der Solartechnik."

Eine neue Wirtschaft?#

Die Frage "Wollen wir das?" muss nun Österreich für sich beantworten. Deutschland verfügt über einen eigenen Bioökonomierat und eine Bioökonomiestrategie, in der die wesentlichen Ziele und Schwerpunkte für Deutschland skizziert werden. Nach dem Willen der EU soll nun Ähnliches auch in anderen Mitgliedsstaaten passieren, um davon ausgehend zu einem EU-weiten Aktionsplan zu kommen. Der Bioökonomie ist auch als eigener Forschungsbereich im Rahmenprogramm "Horizon 2020" ausgeschrieben.

Auch Österreich ist jetzt dabei, eine Bioökonomiestrategie zu formulieren. Folgt man Gottwald, so muss sich die Alpenrepublik entscheiden: Geht sie den (deutschen) Weg des biobasierten High-Tech-Wachstums oder den alternativen Weg mit einer Stärkung des Ökolandbaus im Agrarbereich und einer Einschränkung des Wirtschaftswachstums.

Karl Kienzl, stellvertretender Geschäftsführer des Umweltbundesamtes in Österreich, sieht mit der Bioökonomie eine große Chance gekommen: "Für mich geht es wirklich darum, ein Wirtschaftssystem zu etablieren, das mit dem einen Planeten, den wir haben, auskommt." Kienzl stellt sich eine ganz grundlegende "Transformation des Wirtschaftssystems" vor, die auch mit einschließt, auf weiteres Wirtschaftswachstum zu verzichten. Ähnlich sieht es auch Hubert Dürrstein, Präsident der Österreichischen Vereinigung für Agrar-, Lebens- und Umweltwissenschaftliche Forschung (ÖVAF): "Die Bioökonomie kann auch die Chance sein für eine wirkliche ökosoziale Marktwirtschaft."

Umweltbundesamt und ÖVAF sind Co-Autoren eines Positions- und eines Hintergrundpapiers zur Bioökonomie in Österreich. Sie haben unter dem Dach der Forschungsplattform "BioScience Austria", zu der derzeit unter anderem die Universität für Bodenkultur (Boku), die Universität für Veterinärmedizin in Wien sowie das Ökosoziale Forum gehören, erreicht, dass die Bioökonomie in den Bereichen Agrar und Umwelt in das aktuelle Regierungsprogramm aufgenommen wurde.

Nach dem Willen von Kienzl und Dürrstein soll die Strategieentwicklung in den kommenden Monaten im Lebensministerium (Agrar- und Umweltbereich) sowie in den für Wissenschaft, Wirtschaft, Innovation und sozialen Belangen zuständigen Ministerien politisch weiter verankert und ein begleitender Stakeholder-Dialog gestartet werden, wobei auch die "gesellschaftlichen Implikationen" (Kienzl) diskutiert werden.

"Bioökonomie kann auch kein Hintertürchen für gentechnisch veränderte Organismen sein", sagt Dürrstein. "Es geht um eine Balance zwischen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Interessen; diese Balance ist ohne eine vernünftige technologische Verwertung von biogenen Rohstoffen nicht möglich."

Wiener Zeitung, Dienstag, 2. September 2014