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Neue Arten bringen neue Gefahren#

Bisher größtes Treffen von Forschern und Managern über praktischen Naturschutz in Zeiten des Klimawandels#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 12. Juni 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Heiner Boberski


Im Lebensraum Hochgebirge verändern sich Fauna und Flora, aber nicht nur dort.#

Sauters Felsenblümchen
Sauters Felsenblümchen (Draba sauteri) kommt nur in den nördlichen Kalkalpen vor.
wikimedia

Mittersill/Wien. Es ist nicht nur der Klimawandel, der in jüngster Zeit, zum Teil dramatisch, Naturlandschaften verändert. "Wir prangern Länder in den Tropen an, wenn sie den Regenwald abholzen, aber wir zerstören unsere Umwelt genauso", sagt Christian Komposch, Zoologe und Geschäftsführer der privaten Einrichtung "Oekoteam - Institut für Tierökologie und Naturraumplanung" in Graz. "Unsere Art der Landnutzung hat Effekte auf die gesamte Biosphäre", ergänzt Harald Pauli, Botaniker am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Beide Experten nehmen am heute zu Ende gehenden fünften Forschungssymposium des Nationalparks Hohe Tauern in Mittersill zum Thema "Dynamik und Naturschutz in Schutzgebieten" teil.

Komposch spricht von einem "außerordentlichen Ort der Begegnung". Das bisher größte Treffen dieser Art im Alpenraum versammelt an die 300 Forscher und Praktiker, Manager aus dem Bereich Naturschutz, das Programm umfasst Sitzungen und Workshops mit 77 Referenten aus 14 Nationen sowie zahlreiche Posterpräsentationen. Der Koordinatorin der Veranstaltung, Kristina Bauch vom Nationalpark Hohe Tauern, zollt Komposch für ihre Leistung höchste Anerkennung.

Die Naturschutzgebiete stehen vor der Herausforderung, den Lebensraum für wenige Exemplare rar gewordener Arten zu schützen und die Biodiversität möglichst zu erhalten. Die klimatischen Veränderungen, so Harald Pauli, führen dazu, dass Pflanzen, denen es in tieferen Lagen zu warm wird, immer höhere Etagen besiedeln müssen, dort aber wieder andere verdrängen. Im Ural sei der Wald im 20. Jahrhundert innerhalb von 70 Jahren um etwa 100 Meter höher gewandert. Viele Pflanzen könnten lange aushalten, sagt Pauli, aber einige seltene drohen ganz zu verschwinden, etwa Sauters Felsenblümchen, benannt nach einem österreichischen Botaniker aus dem 19. Jahrhundert.

Es sind, so Komposch, der Spezialist für Spinnen und Kleintiere ist, vor allem die an wenigen Standorten im Gebirge heimischen "Endemiten" im Pflanzen- und Tierreich, mit deren völligem Aussterben zu rechnen ist, wenn ihr Lebensraum zerstört wird. Sie brauchen als "Relikte der Eiszeit" genau jene kühle Umgebung, in der sie bisher gelebt haben.

Malaria-Mücke und Schwarze Witwe stehen vor der Tür#

Als Koordinator des 1987 gegründeten Netzwerks "Gloria" (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments), das sich zunächst mit den botanischen Veränderungen im Alpenraum befasste und heute weltweit auch zoologische und geologische Auswirkungen des Klimawandels in Gebirgsregionen erfasst und analysiert, weiß Harald Pauli, dass die Alpen vergleichsweise noch gut dastehen. Allgemein, vor allem in trockeneren, niederschlagsärmeren Zonen werden Gebirge immer instabiler, es kommt verstärkt zu Bergstürzen.

Die Vielfalt an Arten, ob Pflanzen oder Tiere, wird nur scheinbar größer, sagen die Experten. Es gibt zwar plötzlich neue Arten in Europa, die aus anderen Weltregionen stammen, aber die Gesamtzahl der Arten erhöht das nicht. Es ist eher so wie in der Wirtschaft, wo die großen Supermärkte ein vielfältiges Warenangebot signalisieren, aber in den meisten Supermärkten haben sich die gleichen Produkte durchgesetzt, als noch tausende kleine Greißler existierten, war die Gesamtauswahl wesentlich vielfältiger.

Während Pauli vorsichtig im Pflanzenbereich erst in ein paar Jahrzehnten dramatische Auswirkungen des Klimawandels erwartet, rechnet Komposch bei der heimischen Fauna rasch mit dramatischen Veränderungen und erinnert daran, wie der Asiatische Marienkäfer sich innerhalb weniger Jahre in Europa flächendeckend ausbreitete. Wo sich Nischen auftun, werden sie von nachrückenden Arten eingenommen, sagt der Grazer Zoologe.

Das sei für uns Menschen oft nicht angenehm und zeige sich schon in der Zunahme von Allergien gegenüber importierten Pflanzen. Das werde aber noch dramatischer, wenn sich giftige Tiere oder Überträger von Krankheiten hier dauerhaft ansiedeln: "Ich wage zu behaupten, dass wir in wenigen Jahren, vielleicht schon nächstes Jahr, die ersten Opfer von eingeschleppten Malaria-Mücken oder Schwarzen Witwen bei uns sehen werden. Die warten nur darauf, sich bei uns niederzulassen, und wenn es im Durchschnitt nur ein paar Zehntelgrade wärmer wird, können sie hier überleben und es in die nächste Generation schaffen."

Die Forschungen auf diesem Gebiet seien relativ wenig kostenintensiv, aber es sei äußerst wichtig, "einen Indikator bereitzustellen, wo ablesbar ist, wie die Situation wirklich ist", betont Harald Pauli. Was den Klimawandel betrifft, hält er umfassende Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase für das "bei weitem Billigste", was man tun könne, man werde sonst ein Vielfaches ausgeben müssen, um mit den Konsequenzen fertig zu werden.

Christian Komposch tritt dafür ein, neben dem Klimawandel auch die vielen "hausgemachten" Probleme nicht zu vergessen. Wie zuletzt das Hochwasser gezeigt hat, kann sich übertriebene Landnutzung verheerend auswirken. Man müsse bereit sein, die Dynamik der Natur zumindest auf den letzten paar Prozent der naturnahen Flächen zuzulassen.

Wiener Zeitung, Mittwoch, 12. Juni 2013