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Ist "wenn" wirklich "würdelos"?#

Die Merksätze für sprachliche Streitfälle hinken oft der Sprachentwicklung hinterher. Was ist richtig und was ist falsch? Diese Frage lässt sich nicht immer eindeutig beantworten.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 20. Februar 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Robert Sedlaczek


Vortrag in der Lehrredaktion einer Tageszeitung. Die drei Dutzend Teilnehmer sind 20 bis 25 Jahre alt. Heute sollen sie etwas über die Tücken der Grammatik erfahren.

Beim Thema "„Konjunktiv" stelle ich folgende Frage: "Wer von euch hat in der Schule den Merksatz Wenn ist würdelos! gelernt"? Drei Dutzend Hände schnellen in die Höhe. "Und wer glaubt, dass man sich daran halten muss?" Jetzt werden einige misstrauisch. Aber es ist noch immer eine solide Mehrheit.

Früher einmal war es verboten, in wenn-Sätzen ein würde zu gebrauchen. Dieses würde kombiniert mit dem Infinitiv des jeweiligen Verbs dient als Ersatz für einen Konjunktiv. Wer guten Stil gepredigt hat, der hat also so argumentiert: In einem Konditionalsatz mit wenn muss immer ein Konjunktiv II stehen: "Wenn er früher käme, . . ." Nicht zulässig ist die Hilfskonstruktion: "Wenn er früher kommen würde . . ." Wenn ist eben würdelos.

Schon vor Jahrzehnten haben die Grammatiker eine Kehrtwende vollzogen. Sie sagen: Wenn ist würdelos lässt sich nicht aufrecht halten. Schuld sind die Verben, die meisten können keine eindeutigen Konjunktivformen bilden. "Wenn unsereins so redete, wie Grillparzer schrieb, lachten uns alle aus." Bei den schwachen, also regelmäßigen Verben wie reden und lachen ist der Konjunktiv ident mit dem Präteritum – das verwirrt.

Im kleinen Kreis der starken Verben gibt es einige, deren Konjunktive geschwollen klingen. "Ach, wenn ihr das Medikament nur hülfe!" Die Umschreibung mit würde hört sich besser an. "Ach, wenn es ihr helfen würde!" Das Zeitwort kosten, so meinte man früher, müsse immer mit dem 4. Fall, also mit dem Akkusativ, verwendet werden: "Das kostet mich viel Geld." Ist das auch heute noch so? Nein, der Dativ wird schon akzeptiert. "Dem Steuerzahler darf es nichts kosten." Wenn ein Politiker so redet, begeht er keinen Fehler. Der Akkusativ bei kosten ist dem Lateinischen entlehnt, aber die deutsche Sprache lässt sich nicht auf Dauer in ein lateinisches Korsett zwängen. Der Dativ hat auch die Natur der Sache und die Analogie so vieler anderer Zeitwörter auf seiner Seite. "Sie gibt ihm einen Kuss!" Natürlich ihm, nicht ihn.

Ist "am Land" korrekt?#

Eine andere Frage ist, ob wir zu unseren österreichische Eigenheiten stehen wollen. "Wir machen heuer Urlaub am Land." Oder auf dem Land? Das "Österreichische Wörterbuch" klassifiziert am ganz generell als eine österreichische Eigenheit und als korrekt.

Dürfen wir trotz auch mit dem Dativ verwenden? "Trotz dem schlechten Wetter gehen wir spazieren." Oder muss es heißen: "Trotz des schlechten Wetters..." Es heißt ja auch: "Wir machen trotzdem diesen Spaziergang!" Früher ist trotz mit dem Dativ verbunden worden. Eines Tages haben sich die Grammatiker für den Genitiv entschieden, wir haben den Schwenk nur zögerlich mitgemacht. In Österreich darf trotz mit dem Dativ stehen – sagt der "Duden".

Die Formulierung nach rückwärts statt nach hinten wird von den Grammatikern seit Jahrhunderten bekämpft. Wir finden sie aber auch in den Dramen Franz Grillparzers und in Heimito von Doderers "Die Strudlhofstiege": Das Haus hatte "einen tief nach rückwärts hineinlaufenden Garten". Konnte Doderer nicht Deutsch?

Für die Schriftlichkeit gelten andere Regeln als für die Mündlichkeit. Wer in einer Rede über vergangene Ereignisse berichtet, wird es im Präsensperfekt tun, das ist jenes Tempus, das früher lange Vergangenheit genannt wurde. "Gestern bin ich in die Stadt gefahren und habe mir eine Hose gekauft."“ In der Schriftform dominiert hingegen das Präteritum, das ist die alte Mitvergangenheit. "Gestern fuhr ich in die Stadt und kaufte mir eine Hose." Aber das Präsensperfekt verdrängt zurzeit das Präteritum. Es wandert von der gesprochenen Sprache in die geschriebene und von Süden nach Norden. Wird das Präteritum eines Tages aussterben?

Wir Österreicher verwenden das Präteritum manchmal auch dort, wo das Präsensperfekt stehen muss, und den Genitiv auch dort, wo der Dativ vorgeschrieben ist – weil wir mit Blick auf den Sprachgebrauch im Norden das Präteritum für die bessere Zeit und den Genitiv für den besseren Fall halten. Haben wir einen sprachlichen Minderwertigkeitskomplex? Ein Blick auf die Geschichte lässt das vermuten.

Im Mittelalter hat in den deutschen Landen ein Sprachchaos geherrscht. Jeder schrieb so, wie es ihm gepasst hat. Hinzu kam, dass die einzelnen Staatskanzleien eigene Schreibregeln aufgestellt hatten. In diesem Tohuwabohu hat sich Martin Luther an die Arbeit gemacht, die Bibel neu zu übersetzen. Natürlich war er daran interessiert, dass das Werk auch in sprachlicher Hinsicht im gesamten deutschen Sprachraum akzeptiert wird. Der katholische Süden lehnte allerdings nicht nur Luthers Thesen, sondern auch seine Rolle als Sprachreformer ab. Deshalb hat sich bei uns zu dieser Zeit keine Standardsprache für die Allgemeinheit herausgebildet.

Erst mit Beginn der Aufklärung setzte sich die Erkenntnis durch: Das Denken erfolgt mithilfe der Sprache – wo die Sprache schlecht und mangelhaft ist, dort kann nicht ordentlich gedacht werden, Wissenschaft und Wirtschaft stagnieren. Deshalb hat im 18. Jahrhundert Maria Theresia in einem demonstrativen Akt einen Sprachlehrer aus Thüringen ans Wiener Theresianum geholt, damit er den Schülern „gutes Deutsch“ beibringt. Andere Lehrer sind ihm gefolgt. Das Ergebnis war für unser sprachliches Selbstwertgefühl verheerend: Viele Wörter und Wendungen, die wir als heimisch empfunden haben, wurden plötzlich als „falsches Deutsch“ gebrandmarkt und in den Dialekt abgedrängt.

"Provinzialismen"#

Dann haben auch noch deutsche Sprachkritiker Salz in unsere Wunden gestreut. Einer von ihnen war Gustav Wustmann, ein Oberlehrer aus Leipzig. Er hat 1891 das Buch "Allerhand Sprachdummheiten" herausgebracht, im Untertitel: "Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen." Für ihn sind alle österreichischen Eigentümlichkeiten "unausstehlich", er nennt sie "Provinzialismen". Wustmann wörtlich: "Namentlich sind es österreichische Ausdrücke und Wendungen (Austriazismen), die jetzt durch wörtlichen Abdruck aus österreichischen Zeitungen in unsre Schriftsprache hereingeschleppt, dann aber auch nachgebraucht werden." Das sei in etwa so, wie wenn "irgend ein Hausnarr zu einem gut bürgerlichen Anzug einen Tiroler Lodenhut mit Hahnenfeder aufsetzt." Wustmanns "„Sprachdummheiten" waren bis in die 1960er Jahre ein Verkaufsschlager.

Was sind die wichtigsten Merkmale des Sprachwandels? Täglich wird Neues erfunden. Zwischen den heutigen Fernsehgeräten mit flachen Bildschirmen und den Flimmerkisten des vorigen Jahrhunderts liegen Welten; auch im Bereich der Telefonie ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Alles Neue drängt danach, mit einem Namen versehen zu werden. Der Wortschatz unserer Sprache steigt ins Unermessliche.

Die neuen Ausdrücke stammen überwiegend aus dem angelsächsischen Raum. In Großbritannien sind im 18. und 19. Jahrhundert die Urformen von Fußball, Tennis und Golf erfunden worden. Natürlich dominieren in der Terminologie dieser Sportarten englische Ausdrücke. In jüngster Zeit sind das Notebook, das I-Phone und die Finanzkrise über den Atlantik zu uns gekommen – mit allen Fachausdrücken, die dazugehören.

Wenn auf der einen Seite der Wortschatz reicher wird, dann ist es wohl zwingend, dass es anderswo zu Vereinfachungen kommt. Bei den Verben stehen Konjunktiv und Präteritum am Abstellgleis, bei den Substantiven gehen die Endungen verloren. Früher haben die starken Substantive im 3. Fall Einzahl ein Endungs-e getragen: dem Hause. Heute geht es auch ohne: "Sie haben dem Haus einen neuen Anstrich verpasst."

Als Nächstes sind wohl die Endungen einiger schwacher Maskulina im 3. und 4. Fall an der Reihe. "Bargeld beim Bankomat"“ statt " ... beim Bankomaten". Wie lange gilt das noch als falsch? Und der 2. Fall heißt neuerdings in der Umgangssprache "des Bankomats" statt "des Bankomaten".

Originalitätszwang#

Das ist die Ökonomisierung der Sprache, die Sprecher wollen sich wenig Mühe machen. Was für eine funktionierende Kommunikation nicht notwendig ist, wird aufgegeben. Ein weiteres Motiv des Sprachwandels ist der Drang, originell zu sein. Sprich oder schreibe so, dass du aus der Masse hervorstichst! Dies gilt nicht nur für Werbetexter und Journalisten, sondern auch für den Sprachalltag. Wer kreativ sein will, übernimmt Wörter und Wendungen aus fremden Sprachen, er holt aus dem Sprachfundus seiner Großeltern Mundartausdrücke hervor, um sie der Vergessenheit zu entreißen. Die Traditionalisten werden sagen: „Auch wenn die Endungen abfallen – warum soll ich dabei eine Vorreiterrolle spielen? Ich werde auch den Konjunktiv und das Präteritum hegen und pflegen. Wenn es deutsche Wörter gibt, dann werde ich sie nicht mutwillig durch englische ersetzen. Ich bedaure es, wenn Mundartausdrücke verloren gehen.“ Die Modernisten werden sagen: „Für mich ist die Sprache ein Werkzeug, sie muss funktionieren. Angesichts des Wandels in allen gesellschaftlichen Bereichen bin ich auch für die Modernisierung der Sprache. Ich entscheide mich für die modernen Varianten. Anglizismen stören mich nicht, meist sind sie eine Bereicherung. Wenn Wörter aussterben, so ist das kein Problem, es entstehen ja täglich neue."

Viele werden sagen: "In dem einen Fall bin ich Traditionalist, in dem anderen Modernist. Ich suche mir das aus, was mir gefällt."

Heutzutage sollte jeder über ein umfangreiches sprachliches Repertoire verfügen. Es kommt darauf an, wer der Adressat ist: ein Freund, ein Bekannter, ein Berufskollege, ein Geschäftspartner? Es ist auch nicht egal, ob wir mündlich oder schriftlich kommunizieren, jedes Medium verlangt seine eigene Sprache: ein E-Mail, ein Posting, ein Brief, ein Zeitungsbeitrag.

Wir brauchen also viele unterschiedliche Register, um den richtigen Ton zu treffen. Wie auch immer und mit wem auch immer kommuniziert wird: Bemühen wir uns um ein gutes Deutsch österreichischer Prägung!

Neu erschienen#

Heißt es „ich bin gelegen" oder "ich habe gelegen"? Verwendet man "wegen" mit dem Dativ oder dem Genetiv? Wer schreibt "Spaß" und wer "Spass"? Mit Fragen dieser Art beschäftigt sich Robert Sedlaczeks neues Buch "Wenn ist nicht würdelos", das im Wiener Ueberreuter Verlag erschienen ist. Der Autor legt dabei großen Wert auf die Besonderheiten des österreichischen Deutsch, weshalb sein Buch auch den Untertitel "Rot-weißrote Markierungen durch das Dickicht der Sprache" trägt.

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Robert Sedlaczek, geboren 1952 in Wien, ist Sprachkolumnist der "Wiener Zeitung" und Autor zahlreicher Bücher zum Thema Sprache.

Wiener Zeitung,, Samstag, 20. Februar 2010