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Schöne neue Warenwelt#

Reklame im öffentlichen Raum, die Straße als Text, Fassaden als Träger von Werbebotschaften: das alles gehört heute selbstverständlich zum großstädtischen Alltag. Eine kurze Geschichte der Werbung in Österreich zeigt den langen Weg von der Kleinanzeige zur grellen Leuchtreklame.#


Von der Wiener Zeitung, (Samstag/Sonntag, 13./14. November 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Anton Holzer


Benger’s Ribana Badeanzüge – Reklame aus dem Jahr 1932., © Wiener Zeitung/Aus „Tagebuch der Straße“, Ö. Bundesverlag, 1981.
Benger’s Ribana Badeanzüge – Reklame aus dem Jahr 1932.
© Wiener Zeitung/Aus „Tagebuch der Straße“, Ö. Bundesverlag, 1981.

„Die Republik hat die Straße zur vertikal ausgespannten Zeitung gewandelt. Wer täglich etwa die Herrengasse liest, bekommt kalte Füße, ist aber auf dem laufenden.“ In dieser knappen, lakonischen Beobachtung fasst der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar in den 1920er Jahren die Veränderung des öffentlichen Raumes zusammen. Mit der „vertikal ausgespannten Zeitung“ ist die Schrift der politischen und kommerziellen Reklame gemeint – Anzeigen, Plakate, Lichtschriften und ähnliches. „Es gibt“, schreibt der österreichische Grafiker und Publizist Traugott Schalcher 1927, „auf Erden keinen noch so vergessenen Winkel von einigen Hundert Häusern, der nicht durch Reklame seine Zugehörigkeit zu unserer Zivilisation bekundet. Überall . . . beginnt der Riesenpinsel der Reklame die bisherige Sonderart zu übertünchen, wegzupinseln.“ Sein ein wenig wehmütiges Fazit lautet daher: „Nicht Hunger und Liebe, die Reklame regiert die Welt“.

Reklame im öffentlichen Raum, die Straße als Text, Fassaden als Träger von Werbebotschaften: das alles gehört für uns heute zum selbstverständlichen großstädtischen Alltag. In den 1920er Jahren aber, als sich innerhalb kurzer Zeit die Litfaßsäulen, Plakate und Werbeschriften vervielfachten, erschien die Stadt – genauer gesagt: die Großstadt – den Zeitgenossen plötzlich in einem neuen Licht. Die Reklame eroberte den öffentlichen Raum. Sie war plakativ, strahlte grell und leuchtete in der Nacht neonhell. Damals setzt sich in der Reklame eine neue Sprache durch – „amerikanisch“ wurde diese Verwandlung der Metropolen bezeichnet.

Odol setzte erstmals „bewegte“ Anzeigen ein#

Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hatte sich der großstädtische Raum grundlegend verändert. Die Anzahl und Größe der Werbeflächen nahmen kontinuierlich zu, die Strategien der Werbung wurden raffinierter und subtiler. Die Firma Odol etwa begann nach 1900 als eine der ersten, ihr Mundwasser mit Hilfe aggressiver Werbefeldzüge im öffentlichen Raum zu vermarkten. Sie affichierte großformatige Plakate auf Häuserwänden und setzte zudem „bewegte“ Anzeigen ein: das heißt, sie mietete Werbeflächen auf Tramwaywagen und Omnibussen. Parallel dazu schaltete Odol Annoncen in der Presse, wobei an die Stelle reiner Textanzeigen auffällige Sujets traten, etwa Fotografien schöner junger Frauen, welche die Marke Odol anpriesen.

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde die Debatte um die „richtige“ Reklame zu einem wichtigen Thema der öffentlichen Auseinandersetzung. 1909 forderte der österreichische Philosoph, Pädagoge und Schriftsteller Ludwig Erik Tesar: „Die Anzeige muss wiederholtes Ansehen erlauben, ohne langweilig zu werden oder abstoßend zu wirken.“

Kritik am Einsatz künstlerischer Fotos#

Anzeigen aus „Das interessante Blatt“
Schöne Büsten, Pendeluhren, Gummiwaren. Anzeigen aus „Das interessante Blatt“, 1908.
© Wiener Zeitung

Tesar forderte die „sinnbildende Einkleidung“, die „Ornamentarisierungen des Angezeigten“. Allerdings wehrte er sich noch vehement gegen den illustrierenden Einsatz von Fotografien in der Werbung: „Gänzlich zu verwerfen sind Anzeigen mit wiedergegebenen Lichtbildern von Hüten und Stiefeln, Hosenträgern und anderem. Der Wert der Photographie liegt nicht nach der künstlerischen Seite, sondern in der genauen Wiedergabe irgendwelchen Originals – und zwar nach Form und Gestalt, weniger nach Räumlichkeit und noch weniger nach Farbe und Licht. Wenn daher beispielsweise eine Firma zum Beweise der Güte ihrer Koffer einen solchen im Lichtbilde vorführt, der die ganzen Strapazen des südafrikanischen Krieges mitgemacht hat, so liegt dem ein ganz bestimmter Zweck zugrunde, der aber bei den früher erwähnten Inseraten völlig fehlt. So kann der Käufer über einen Hut nur durch persönliche Prüfung und durch Anprobe, nicht aber durch dessen Abbildung urteilen. Übrigens würde auch das Kofferinserat bei häufiger Wiederholung geschmacklos werden.“

Tesar hatte offenbar die verwirrende Fülle seitenlanger Kleinanzeigen vor Augen, als er eine künstlerische Erneuerung der Zeitungswerbung forderte. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bedeutete Anzeigenwerbung nämlich nichts anderes als die schier endlose Aneinanderreihung von Textkästen, die allerlei Wundermittel, Rezepturen und Alltagsprodukte anpriesen: Billige Bettfedern, Haarwuchsmittel, Haarentfernungsmittel, „Gummiprodukte“ für den Herrn, Magen- und Hustensäfte, Bücher, Werkzeuge und Grabsteine, Wäsche und Korsetts, Nervenmittel, Harmonikas und Grammophone und vieles andere mehr. Erst allmählich tauchten größere, aufwändiger gestaltete Anzeigen auf. Vor allem teure und Luxusprodukte, wie Automobile, Motorräder, Grammophone, aber auch Parfüms und exquisite Hygieneartikel wurden nun in meist fotografisch illustrierten Inseraten angepriesen.

Erste „Reklame-Büros“ werden eröffnet#

Zusammen mit der gestalterischen Verbesserung der Werbung entwickelten sich vor dem Ersten Weltkrieg auch neue kommerzielle Wege in der Anzeigengestaltung. Anspruchsvollere Arbeiten wurden nicht mehr ausschließlich den Annoncen-Expeditionen oder Anzeigen-Gesellschaften – wie etwa der auf diesem Gebiet führenden Wiener Firma Lehmann – übergeben, sondern speziellen Grafikbüros. Im Juli 1914 gab beispielsweise der Wiener Grafiker Hermann Mandl die Eröffnung eines solchen „Reklame-Büros“ bekannt. „Ich erlaube mir hiemit die höfliche Mitteilung, dass ich mit heutigem in Wien IV, Wiedner Hauptstraße 1, ein Reklame-Büro für Schaufenster-, Straßen- und Zeitungsreklame eröffnet habe. Unter Beihilfe erster Künstler bin ich in der angenehmen Lage, auf diesem Gebiete wirklich Originelles leisten zu können. Entwürfe stelle ich gerne zur Verfügung. Hochachtungsvoll Hermann Mandl, Wien IV.“

Im Mai 1914 wurde in Leipzig die BUGRA, eine großangelegte internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik, eröffnet, auf der eine eigene Abteilung der Reklame gewidmet war, welche starken Zulauf hatte.

„Man hat“, meinte Traugott Schalcher 1927, „Berlin die amerikanischste Stadt Europas genannt. Wohl mit Recht.“ Daher war es naheliegend, dass in der pulsierenden deutschen Metropole die erste „Welt-Reklameschau“ stattfand. Als die gigantische Messe für Werbung und Reklame am 11. August 1929 eröffnet wurde, lagen die Anfänge der Vorkriegsreklame bereits eineinhalb Jahrzehnte zurück; inzwischen hatte sich die Werbebranche gründlich verändert. In den Nachkriegsjahren wurde die Werbung zu einem mächtigen Wirtschaftsfaktor. „Zum militärischen Kriegführen gehört Geld, zum meinungsmäßigen Kriegführen ebenso sehr“: Mit diesen klaren Worten definierte Gerhard Schulze Pfaelzer, ein einflussreicher Theoretiker der Werbung, 1923 die Kommerzialisierung der Reklame.

Die Ästhetik der Außenwerbung wie die Anzeigenwerbung in der Presse modernisierten sich in den 1920er Jahren. Anregungen aus den USA, wie die Lichtreklame im öffentlichen Raum, die Beleuchtung von Gebäuden, Kino- und Radiowerbung usw., wurden in Europa begierig aufgenommen. Berlin stand in dieser Zeit bei der Modernisierung der Reklame auf europäischem Boden eindeutig an der Spitze. Bald jedoch wurden die Werbeneuerungen in anderen Großstädten, auch in Wien, eingeführt. „New York“, so schrieb 1928 der Wiener Feuilletonist Alexander Schilling, „ist die Geburtsstadt der Lichtreklame. Alsbald haben sich auch die europäischen Großstädte dieser neuen Mode von Madame Reklame unterworfen. Paris, Berlin gingen voran, Wien folgte mit einigem Zögern nach. Heute erstrahlen auch in Wien die großen Geschäftsstraßen, wie Kärntnerstraße, Graben, Mariahilferstraße, Rotenturmstraße, Kaiserstraße, Alserstraße, Währingerstraße und viele andere in den verschiedensten Farben der Lichtreklame, wodurch ein abendlicher Spaziergang durch die City von Wien zu einem eigenartigen, reizvollen Genuß wird.“

Die Stadt erschien dem zeitgenössischen Beobachter bereits deutlich amerikanisiert – vor allem bei Nacht: „Blickt man spät abends vom Kahlenberg auf die – keineswegs schlummernde – Stadt, so umgibt sie eine leuchtende Aureole – die Spiegelung der Lichtreklame. Auch die Lichtreklame mit ihrer bunten, flammenden Aufdringlichkeit ist ein Zeichen unserer Tage, ein Symptom fortschreitender Amerikanisierung. Wie die mondäne Frau Schminke und Puder braucht, die Augenbrauen nachzieht, künstlich das Auge dunkel umschattet und auf die Lippen rot auflegt, so liebt nun auch die Madame Reklame bunte, leuchtende Farben und strahlende Blitze. Alle Zurückhaltung, alle Bescheidenheit sind verbannt. Das Veilchen ist abgesetzt, die exotische Pracht der Orchidee berauscht uns. Man will nicht im Schatten stehen, sondern im – Licht.“

Künstlerische Reklame nimmt schlagartig zu#

Werbeanzeige - Dr. Dralles Birkenwasser
Dr. Dralles Birkenwasser, 1931
© Wiener Zeitung/ Archiv Holzer

Kaum hatte sich Mitte der 1920er Jahre die Wirtschaft von den Folgen des Weltkrieges und den Turbulenzen der Inflation erholt, schossen die Ausgaben für Anzeigen und Werbung rasant in die Höhe. Jetzt wurden nicht mehr nur Luxusprodukte mit großflächigen Anzeigen beworben, sondern (nahezu) alle Artikel des täglichen Lebens: Kleidung und Kosmetik, Schmuck, Spielzeug, Möbel und neue Filme. Die gehobene künstlerische Reklame nahm schlagartig zu, neue künstlerische Strömungen beeinflussten die Gebrauchsgrafik.

In Österreich stammen die wegweisenden Entwürfe dieser Jahre von den Grafikern Joseph Binder, Franz Griessler, Hermann Kosel, Karl Krens, Viktor Th. Slama und Julius Klinger.

Mitte der 1920er Jahre tauchten allerdings nicht nur hervorragend gestaltete Plakate in den Straßen der größeren Städte auf, sondern es wurden auch völlig neue Reklameformen ausprobiert. Das Putzmittel „Vim“ zum Beispiel wurde in Wien und in anderen Städten mittels „wandernder Litfaßsäulen“ beworben. Das waren rundum plakatierte überdimensionale Kartonrollen, die von Männern durch verkehrsreiche Straßen getragen wurden.

Etwa zur selben Zeit setzte sich die Fotografie als gestalterisches Mittel der Anzeigenwerbung – vor allem in der illustrierten Presse – durch. Einige Annoncen- und Reklameanstalten trugen diesem Trend auch im Namen Rechnung, indem sie sich explizit auf „moderne Bildreklame“ spezialisierten. Viele Fotografen verlegten sich nunmehr ganz oder teilweise auf fotografische Produktwerbung. Zu ihnen gehören – um nur einige zu nennen – die Wiener Ateliers Fayer und Manassé, die Fotoagentur Willinger, der Wiener Sport- und Werbefotograf Fritz Sauer, Heinz von Perckhammer (der in den 1920er Jahren viel in Berlin arbeitete und in den 1930er Jahren auch in Österreich tätig war) oder der Grazer Alfred Steffen (Steffen-Lichtbild), der neben seiner Pressetätigkeit vornehmlich als Werbefotograf arbeitete. Sichtbares Zeichen für die enorme Aufwertung der Werbung waren die zahlreichen Kongresse, Tagungen und Ausstellungen zum Thema Reklame, die in dieser Zeit stattfanden. Im September 1929 etwa eröffnete im Rahmen der Wiener Herbstmesse die Sonderausstellung „Photo und Reklame“, auf der künstlerische Werbe- und Modefotografie gezeigt wurde. Im November 1933 wurde in Wien wieder eine Reklameausstellung abgehalten, diesmal im Künstlerhaus.

Der Aufstieg des Austrofaschismus tangierte die österreichische Werbung weniger, als geglaubt oder befürchtet. Gewiss, das konservative Weltbild, das Staat und Gesellschaft nun zunehmend prägte, machte sich auch in der Reklame bemerkbar. Die Sujets wurden bodenständiger, traditioneller, radikale Experimente rar. In der offiziellen Grafik und Werbung des Ständestaates fanden sich neben regressiven Tendenzen jedoch auch moderne Entwürfe. Die visuellen Errungenschaften der 1920er Jahre wurden nicht durchwegs verdammt, sondern teilweise übernommen. Man scheute sich nicht einmal, grafische Ideen, die von der politischen Linken stammten, aufzugreifen. Insbesondere galt das für die Bildstatistik, die Otto Neurath für das „Rote Wien“ entwickelt hat. „Der moderne Mensch“, schrieb Neurath 1931, „ist vor allem Augenmensch. Die Reklame, das Aufklärungsplakat, Kino, illustrierte Zeitungen und Magazine bringen einen Großteil aller Bildung an die breiten Massen heran. Auch die, welche viele Bücher lesen, schöpfen immer mehr Anregung aus Bildern und Bilderreihen. Der ermüdete Mensch nimmt rasch im Bilde etwas zur Kenntnis, was er lesend nicht mehr auffassen könnte.“

Reklame-Ideen im Gewand der Propaganda#

Diese Einsicht überzeugte die Austrofaschisten. Sie verwendeten die von Neurath entwickelte Bildstatistik in ihren Großausstellungen, etwa in der Franz Joseph-Ausstellung des Jahres 1935. Aber auch die propagandistischen Massenveranstaltungen des Ständestaates bedienten sich „moderner“ grafischer Errungenschaften, wie sie in den Jahren zuvor entwickelt worden waren. Verfeinert und ausgebaut wurden die politischen Propagandaschlachten im öffentlichen Raum von den Nationalsozialisten. Jetzt zeigte sich auf eindringliche Weise, welch gewalttätige Suggestivkraft Reklame-Ideen im Gewand der Propaganda entfalten können . . .

Anton Holzer
Anton Holzer

Anton Holzer, geboren 1964 Fotohistoriker, Ausstellungskurator und Herausgeber der Zeitschrift „Fotogeschichte“, lebt in Wien. Zuletzt erschien sein Buch „Ganz Wien in 7 Tagen. Ein Zeitreiseführer in die k.u.k. Monarchie“, Primus Verlag.

www.anton-holzer.at

Wiener Zeitung,, Samstag/Sonntag, 13./14. November 2010