!!!Sichere Moderne?

!!Die menschliche Gesellschaft bewegt sich auf eine Zeit steigenden Risikos zu. Hat sie die Entwicklung bereits wahrgenommen? Nur wenig spricht dafür.
  
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''Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: [DIE FURCHE|http://www.furche.at] (Donnerstag, 14. Februar 2013)''


Von 

__Christoph Bals__

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[{Image src='Verkehr.jpg' caption='Verkehr und Stau\\© EPA' width='400' class='image_right' alt='Verkehr und Stau' height='267'}]


Smog in Peking, der inzwischen  bis Japan zieht  und der dem Ausdruck  „atemberaubender Ausblick“  eine ganz neue Bedeutung  gibt. Atemberaubend fürwahr  und auch Ausblick - auf den  großen blinden Fleck unserer Zeit:  Am 11. Januar noch berauschte  sich Volkswagen daran, „2012  dank glänzender Geschäfte in China  und den USA der Absatzkrise  in Europa getrotzt und mehr Autos  als jemals zuvor“ verkauft zu  haben. Die ganze Welt hofft, dass  starkes Wirtschaftswachstum  in China wie 2008 den globalen  Wirtschaftskarren aus dem Dreck  zieht. Und doch wissen wir zugleich,  dass wir uns diese Art des  Wachstums weder für China noch  für die Menschheit weiter wünschen  dürfen. Die Smogwolke verhüllte  die Megastädte Chinas und  enthüllte zugleich die Risiken, auf  denen dieses Versprechen beruht.  

Seit 2007 haben wir eine Kaskade  an globalen Krisen mit jeweils  spezifischen Risiken erlebt.  Die Klimakrise in Form von ungewöhnlichen  Wetterkatastrophen  in Russland, Pakistan, Texas oder  Australien. Eine Energiekrise, als  deren Folge immer tiefer nach Öl  und Gas gebohrt und auf hoch problematischen  Teersand und Schiefergas  zurückgegriffen wird.  

!Atom und Empörung  

Einen Atomunfall in Japan, der  von Japan bis Deutschland das Energiesystem  umstrukturierte. Eine  Ernährungskrise, welche die Zahl  der unterernährten Menschen von  800 Millionen auf fast eine Milliarde  ansteigen ließ. Und die Finanz- und  Wirtschaftskrise.  

[{Image src='Atomkraftwerk.jpg' class='image_left' caption='Atomkraft. Der Reaktorunfall von Fukushima änderte unsere Sicht auf die Atomkraft. Von Japan bis Deutschland wurde nun das Energiesystem umstrukturiert.\\© EPA' width='400' alt='Atomkraftwerk' height='251'}]


Niklas Luhmann bezeichnete  einst Systemvertrauen als Grundlage  unserer Sicherheit. Und genau  dieses Vertrauen erodiert.  „Empört Euch“ - die steigenden  Nahrungsmittelpreise waren  nicht nur in tunesischen Städten  Startpunkt für Revolten und den  Arabischen Frühling. Inzwischen  schwankt weltweit die Zahl der  Aufstände im Rhythmus der Nahrungsmittelpreise.  Bereits 1975  schrieb Hannah Arendt: „Stets ist  die Größe der Wissenschaft gewesen,  dass sie den menschlichen Interessen  keine Aufmerksamkeit  schenkte. Ihre Leitlinie war: Was  immer wir entdecken können, das  sollen wir entdecken; was immer  wir machen können, das sollen  wir machen. Doch ihre Ergebnisse,  wie wir sie heute sehen, scheinen  unwiderrufl ich auf einen Punkt  zuzusteuern, an dem der Mensch  an seine Grenzen erinnert und  auf seinen Platz zurückverwiesen  wird.“ Durch die einander überlagernden  Krisen ist nun aus der  theoretischen Einsicht der planetaren  Grenzen eine praktische Erfahrung  geworden.  

Nur eine Dekade, nachdem  Francis Fukuyama meinte, das  Ende der Geschichte ausrufen zu  können, schlug Paul Crutzen, Nobelpreisträger  für Chemie, 2002 in  einem nature-Artikel vor, vom Anthropozän,  einem neuen, durch  den  Menschen geprägten, Erdzeitalter  zu sprechen: [Klimawandel|Thema/Klimawandel],  Ozonloch, versauernde Meere, explodierende  Megacities, bereits 30  bis 50 Prozent der Erdfläche sind  vom Menschen gestaltet. Im Februar  2008 legten Wissenschaftler  der Londoner Geologischen Gesellschaft  nach.  

[{Image src='Hungerleidende.jpg' class='image_right' caption='Hunger. Steigenden Nahrungsmittelpreise waren Startpunkt für den Arabischen Frühling. Inzwischen schwankt weltweit die Zahl der Aufstände im Rhythmus der Nahrungsmittelpreise.\\© EPA' width='200' alt='Hungerleidende' height='301'}]

!Abschied von der Stabilität  

Die zehntausend Jahre des Holozäns,  aus dem wir uns verabschieden,  waren die stabilste Klimaphase  seit zumindest 400.000 Jahren.  Alle menschlichen Hochkulturen  entstanden in diesem Zeitraum.  Aber der gegenwärtige CO2-Gehalt  in der Atmosphäre ist bereits  ähnlich hoch wie der im mittleren  Pliozän. 4 Millionen Jahre ist das  her. Der Meeresspiegel lag damals  10 bis 20 Meter höher.  

Der Übergang ins Anthropozän  verändert grundlegend die Risikostruktur  der Weltgesellschaft. 


Erstens entwertet er die statistische  Grundlage der letzten  zehntausend Jahre für unsere intuitiven  oder berechneten Risikokalkulationen.  „Die Würfel sind  gezinkt“, so James Hansen.  Zweitens wissen wir, dass es Katastrophenschwellen  im Erdsystem  gibt. Hinter diesen möglichen  Kipppunkten lauern unabsehbare  Risiken für ganze Kontinente.  Schmelzprozesse in Grönland und  der Westantarktis, ein Kippen des  Monsuns in Indien, des Amazonas-  Regenwaldes oder der Korallenriffe  in den Meeren.  

Drittens drohen die Risiken systemisch  zu werden. Dies würde  das Versicherungskalkül - jedes  Jahr geht es für die meisten gut,  nur für manche nicht - auf den  Kopf stellen - und damit die Versicherbarkeit  wichtiger Risiken.  Viertens aber verändert sich  im Anthropozän - dem vom Menschen  gestalteten Zeitalter - die Zuordnung  der Risiken. Was bisher  Naturkatastrophen waren, wird  nun ganz oder teilweise dem Menschen  zugerechnet - und damit politisch  kritisierbar.

Fünftens haben aber auch die  Risikovermeidungsstrategien ihre  eigenen Risiken. Biosprit und  seine Folgen für die Welternährung  sind nur ein Beispiel. Wie  verlässlich aber sind die Institutionen, welche die Veränderungen  der Risikostruktur für die Wirtschaft  und Politik bewerten sollen?  Dieser Tage hat die US-Regierung  die Rating-Agentur Standard  & Poor‘s auf fünf Milliarden Dollar  verklagt. Der Kern des Vorwurfs:  Standard & Poors vergab weiter  Bestnoten für die Wertpapierkategorien,  die die Finanzkrise auslösten,  obwohl der verantwortliche  Direktor schon Dezember 2006  in einem vertraulichen Memo geschrieben  hatte: „Dieser Markt ist  ein sich wild drehender Kreisel,  der schlecht enden wird.“
 
[{Image src='Greenpeace-Aktivisten.jpg' class='image_left' caption='Klima. Versauernde Meere, explodierende Megacities, bereits 30 bis 50 Prozent der Erdfläche sind vom Menschen gestaltet. Aber nun geht das klimastabile Holozän zu Ende.\\© EPA' width='300' alt='Greenpeace-Aktivisten' height='204'}]

!Wo sind die Auftriebskräfte?  

Macht heißt, so Hannah Arendt:  „wir wollen und wir können.“ Barack  Obama hat vor gut vier Jahren  seinen Wahlkampf unter dem Motto  geführt: „Yes - we can.“ Aber ist  er nicht ein weiteres Beispiel, dass  das „wir wollen“ und das „wir können“  immer weiter auseinander  treten? Tritt hier nicht eine strukturelle  Handlungsunfähigkeit zu  Tage? Angst und Perplexität führen  zur politischen Horizontverengung.  Aber wir haben bessere  Verteidiger gegen eine wild gewordene  Globalisierung verdient, als  T-Party, Al Quaida, jüdische Siedlungsbewegung  und rechtspopulistische  Bewegungen.

Wo sind die Aufwärtskräfte in  diesem Abwärtsstrudel? Mit der  Finanzkrise hat die seit 1990 dominierende Ideologie, alles gesellschaftliche  Leben, habe sich  der globalisierten Ökonomie unterzuordnen,  Flurschaden erlitten.  Der Occupy-Bewegung gelang,  das Thema der größer werdenden  Kluft zwischen Arm und Reich  auf die Agenda zu setzen. Im vergangenen  Jahr wurde weltweit fast  so viel Geld in Erneuerbare Energien  investiert wie in alle anderen  Energieträger. Die Energiewende  in Deutschland, die neuen Klima- und  Energiegesetze in Mexiko, die  Niedrigemissionszonen in China  sind wichtige Versuche, das Ruder  herumzureißen. Es gibt immerhin  Ansätze, das Friedensprojekt und  die Handlungsfähigkeit der EU unter  dem Stichwort Nachhaltigkeit  wiederzubeleben. Ja, und der große  Fleck über China hat dort eine gewaltige  Debatte losgetreten und  die Regierung zu Überlegungen geführt,  den Einsatz von Kohle zu begrenzen.  Wenn das passieren würde,  würde er zum Symbol einer  Energiewende beim größten CO2-  Produzenten der Welt. 

''Der Autor ist politischer Geschäftsführer  der NGO Germanwatch. ''

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[DIE FURCHE|http://www.furche.at], Donnerstag, 14. Februar 2013
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[{Metadata Suchbegriff='Klima Katastrophen Smog Reaktorunfall Klimawandel' Kontrolle='Nein'}]