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Bereit für das große Geschäft#

Der ausgebaute Suez-Kanal wird nächste Woche mit großem Pomp eröffnet. Schiffe sollen künftig nicht nur viel schneller ins Mittelmeer gelangen - der Kanal soll auch massiv die Einnahmen des klammen Staats Ägypten auffetten.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 31. Juli 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Veronika Eschbacher


Rund 10 Prozent des weltweiten Seehandels gehen aktuell durch den Suez-Kanal
Rund 10 Prozent des weltweiten Seehandels gehen aktuell durch den Suez-Kanal
© reuters

Kairo/Wien. Noch herrscht Probebetrieb auf der einzigen Verbindung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer. Nur vereinzelt schippern Schiffe die 72 Kilometer der neu ausgebauten Strecke des Suez-Kanals entlang. Doch schon ab nächster Woche soll der Vollbetrieb starten, freilich nicht ohne pompöse Eröffnung. Immerhin ist der Ausbau des Suez-Kanals eines der Prestigeprojekte der ägyptischen Regierung. War der Kanal schon bisher wichtig für die Staatseinnahmen und den Nationalstolz der Ägypter, so soll seine Bedeutung künftig noch weiter steigen. Der Schiffsverkehr ist dann praktisch über die gesamte Strecke in beiden Richtungen möglich, fortan sollen statt 49 täglich 97 Frachter den Kanal passieren. Und deren Wartezeit sich von durchschnittlich elf auf drei Stunden verkürzen.

Bereits heute ist der Kanal, über den Öl, Lebensmittel oder Erze ohne den Umweg rund um den afrikanischen Kontinent transportiert werden, ein sehr wichtiger Devisenbringer für Ägypten. Fünf bis sechs Prozent der ägyptischen Staatseinnahmen des 87-Millionen-Einwohner-Landes speisen sich aus ihm. Die Regierung setzt große Hoffnungen in den ausgebauten Kanal. Sie erwartet, dass sich die Einnahmen aus ihm bis 2023 mehr als verdoppeln. Bringt der Kanal aktuell rund 5 Milliarden Dollar jährlich, so soll er in acht Jahren 13 Milliarden Dollar in die Staatskasse spülen.

Skepsis bei Experten#

Beobachter sehen die hochtrabenden Ankündigungen der Regierung aber skeptisch. "Worauf diese Berechnungen fußen, ist völlig unklar", sagt Stephan Roll, Ägypten-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zur "Wiener Zeitung". Man könnte nicht automatisch annehmen, dass alleine wegen der Erweiterung des Kanals diesen plötzlich doppelt so viele Schiffe nutzen, warnt der Experte. Viele Faktoren seien unberücksichtigt. "Das ist eine Rechnung, die so wohl nicht aufgeht."

Informationen über den Suez-Kanal
Informationen über den Suez-Kanal

Völlig offen ist etwa, wie sich die angespannte Sicherheitslage in der Region auf den Schiffsverkehr auswirkt. In der Vergangenheit gab es bereits einen Anschlag auf den Suez-Kanal. Dieser richtete zwar keinen großen Schaden an, aber weitere Angriffe durch Extremisten sind nicht auszuschließen. "Bei der Dichte an Anschlägen, die wir momentan in Ägypten sehen, wäre der Suez-Kanal natürlich ein sehr attraktives Ziel", sagt Roll. Das, aber auch die instabile Lage im Jemen, die die Schifffahrt durch die Meerenge Bab al-Mandab, der Einfahrt ins Rote Meer, unsicherer macht, werde "nicht zu unterschätzende Auswirkungen" auf die Routenplanung internationaler Reedereien haben.

Großprojekte sollen es richten#

Bereits seit längerem kämpft Ägypten gegen die Folgen einer schwachen Konjunktur. Seit der Arabischen Revolution, dem politischen Umbruch 2011, kam das Wirtschaftswachstum nahezu zum Erliegen. Und hat sich seither kaum erholt. "Der Regierung kommen die Feierlichkeiten rund um die Eröffnung des neuen Suez-Kanals nicht ungelegen", erklärt Roll. Sie würden ein wenig von den massiven Wirtschaftsproblemen ablenken. Das niedrige jährliche BIP-Wachstum bewegte sich 2011 bis 2013 nur auf Höhe der Bevölkerungszunahme. Nötig sind Schätzungen zufolge mindestens sechs bis sieben Prozent Wachstum - vor allem, um die massive Jugendarbeitslosigkeit von aktuell 40 Prozent abzubauen.

Das Land hängt nach wie vor am Tropf der drei Golfländer Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Kuwait. Seit Mitte 2013 - als das Militär die Macht übernahm - haben diese Staaten massiv Geld in das Land am Nil gepumpt. Offizielle Zahlen sprechen von 22 Milliarden US-Dollar, die seither nach Kairo transferiert wurden. "Teils kam die Unterstützung in Form von Rohstoff- und Energielieferung, teils als Kredite oder als bloße Transferzahlungen", sagt Roll. Ägypten ist heute von diesen Zahlungen abhängig. Sollten diese nicht mehr erfolgen, stellt sich die große Frage, wie sich der ägyptische Staat weiter finanzieren kann. "Das aktuelle Wirtschaftswachstum kann nicht genügend Staatseinnahmen generieren, um einen Ausfall dieser Zahlungen in absehbarer Zeit aufzufangen", sagt Roll. Das sei hochproblematisch.

Präsident Abdel Fatah al-Sisi will vor allem mit Großprojekten die Wirtschaft ankurbeln. Neben dem Suez-Kanal ist der Bau einer neuen Hauptstadt in der Nähe von Kairo geplant. Auch eine Million neue Wohneinheiten wurde angekündigt. "Neben der Wirtschaftlichkeit dieser Megaprojekte an sich ist aber auch fraglich, ob diese auch dem normalen Ägypter zugute kommen werden", sagt Roll. Auch insgesamt wirft das wirtschaftspolitische Handeln Kairos aktuell mehr Fragen auf, als es Antworten liefert. Das Militär in Ägypten etwa ist ein wichtiger Wirtschaftsakteur in praktisch allen Wirtschaftsbereichen. Wie wichtig genau, ist weitgehend unklar. Experten nennen Zahlen von zwei bis gar 30 Prozent, um den Anteil der Militärwirtschaft am ägyptischen Bruttoinlandsprodukt zu beziffern. Diese zentrale Rolle in der Wirtschaft hat die Armee inne, da in der Militärdoktrin vorgesehen ist, dass sie praktisch Selbstversorger sein soll. Das Militär betreibt Agrarfirmen, Bau- oder Technologieunternehmen.

"Momentan baut das Militär seine Wirtschaftsaktivitäten weiter aus", sagt Roll. Aber auch die Wirtschaftsoligarchen würden weiter versuchen, am Kuchen mitzunaschen. "Ob es nun weiter in Richtung Staatswirtschaft oder Privatwirtschaft gehen soll, ist offen. Ich sehe keine klare wirtschaftspolitische Strategie", so der Experte. Das würde auch ausländische Investoren beunruhigen, die sehr zurückhaltend seien, in dem Land zu investieren. Bei den Feierlichkeiten anlässlich der Eröffnung des neuen Suez-Kanals sind wohl auch kaum Antworten auf diese Fragen zu erwarten.

Wiener Zeitung, Freitag, 31. Juli 2015