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"Jede Ausgrabung ist Zerstörung"#

Sabine Ladstätter ist Wissenschafterin des Jahres#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: Wiener Zeitung (Dienstag, 10. Jänner 2012)

Von

Eva Stanzl


Sabine Ladstätter
Sabine Ladstätter: Forschungsbudgets bevorzugen Anwendungen gegenüber Grundlagen
© Wiener Zeitung

"Sparzwang könnte zur Folge haben, dass Forscher einander Tür verschließen."#


"Wiener Zeitung": Sie sind österreichische Wissenschafterin des Jahres - ein Preis, der Forschern für die leicht verständliche Vermittlung ihrer Arbeit verliehen wird. War der Beruf Archäologin für Sie bereits ein Kindheitstraum?

Sabine Ladstätter: Ich habe meine Lehrerin in der Volksschule gefragt, wie die Menschen heißen, die Ausgrabungen machen, und fand: Das werde ich auch. Zu Weihnachten und Geburtstagen wünschte ich mir dann Archäologie-Bücher. Die Leidenschaft zog sich durch, bis ich die Studienrichtung in Graz inskribierte. Nur mit 12, 13 Jahren hatte ich eine kleine Krise: Da wollte ich vorübergehend Schachtelhalm-Forscherin werden.

Heute sind Sie Grabungsleiterin in Ephesos. Welche war die größte Hürde auf dem Weg dorthin?

Das waren die Probleme um meine Bestellung 2007/2008. Es handelte sich um eine von Österreich gesteuerte Intrige, in der gewisse Personen verhindern wollten, dass ich das Unternehmen Ephesos reformiere und ihm den letzten kolonialistischen Anhauch nehme. Die Intrige schwappte in die türkischen Medien über, die mir anti-türkische Positionen und rechtes Gedankengut unterstellten. (Der Vater, Fritz Schretter, war Obmann des Kärntner Abwehrkämpferbundes, Anm.)

Ist die Intrige endgültig vom Tisch?

Ich habe den Eindruck ja. Zudem konnte ich in der Türkei Vorurteile aus dem Weg räumen, etwa dass eine junge Frau nicht Grabungen mit 60 Arbeitern leiten kann. Ich möchte zeigen, was wir mit dem Steuergeld in Ephesos machen, und halte dazu Vorträge sowohl für Reiseleiter als auch an Hochschulen.

Die Präsentation archäologischer Denkmäler hat sich verändert. Beim Tempel der Artemis in Ephesos, ausgegraben im 19. Jahrhundert, hat man verschiedene Elemente zu einer einzigen Säule rekonstruiert. Heute untersuchen Archäologen den Untergrund mit geomagnetischem Radar ganz ohne Grabungen. Wie haben sich die Fragen verändert?

Sehr häufig stellen Archäologen Fragen an die Vergangenheit, die sie selbst beschäftigen - ich selbst habe in meiner Dissertation das Thema Migration aufgegriffen. Zudem beeinflusst die Gegenwart die Fragestellung: Während es früher etwa um Bestandsaufnahme ging, dreht sich die heutige Forschung eben um Migrationsbewegungen oder in Ephesos um die Großstadt: Logistik, Versorgung, Entsorgung.

Viele Fragen ergeben sich auch aus neuen Methoden. Früher musste man alles ausgraben, um zu sehen, was war. Heute kann man bei geomagnetischen Messungen Radarstrahlungen in die Erde senden, um Mauern unter der Erde zu vermessen, harte Bodenbeläge wie Marmor auszumachen oder Kanäle zu erkennen - und die Bilder davon am selben Abend betrachten.

Sie haben in Ephesos ein antikes Stadtzentrum entdeckt. Warum findet man es erst jetzt, nach 150 Jahren österreichischer Grabungen?

Der Komplex liegt außerhalb des derzeit ausgegrabenen Stadtzentrums. Um ihn zu erkennen, muss man auf der Terrasse stehen. Erst als ich über das Gelände ging, sah ich, dass sie nicht dem natürlichen Hangverlauf entspricht. Es war eine riesige Überraschung: Auch heute noch kann man auf Neues stoßen und nicht nur in die Tiefe gehen, sondern auch in die Breite. Wir entdeckten einen Stadtteil aus der hohen römischen Kaiserzeit im ersten und zweiten Jahrhundert: Tempel, Sarkophage, Ehrenmonumente, Repräsentationsbauten und Skulpturen-Galerien.

Werden Sie diesen neuen Stadtteil in absehbarer Zeit ausgraben?

Früher wurden Suchschnitte gemacht, um festzustellen, in welchem Zustand die Mauern sind. Heute erfolgen die ersten Grabungen ganz gezielt, was sich im Hinblick auf den Zustand der Funde und auf die Kosten lohnt. In diesem Sinn müssen wir bei dem neuen Stadtzentrum zunächst den Erhaltungszustand abklären und ob es sich lohnt, alles auszugraben und zu präsentieren.

Eine Ausgrabung ist die Zerstörung eines Verfallsprozesses. Deswegen ist die Dokumentation so wichtig. Es stellt sich immer die Frage, ob der Fund überhaupt erhalten werden kann oder zu seiner Konservierung wieder zugeschüttet werden muss. Mit manchen Funden haben wir fürchterliche Probleme. Etwa glaubte man in den 1950er Jahren, Hadrians Tempel mit Beton restaurieren zu können, der nun aber zerfällt und dessen Eisen-Verbindungen korrodieren.

Unter Ihrem Vorgänger Friedrich Krinzinger übte der Rechnungshof Kritik an der Überschuldung des Archäologischen Instituts (ÖAI). Sind Sie budgetär nun besser aufgestellt?

Das ÖAI hat ein Jahresbudget von zwei Millionen Euro bei gleichbleibender Höhe in den kommenden zwei Jahren - was ein Realverlust ist. Nach Ephesos fließen daraus 450.000 Euro jährlich. Ephesos bekommt weitere 450.000 aus privaten Quellen und Drittmittel-Förderungen. Da es das Flaggschiff unseres Instituts ist, versuche ich, die öffentlichen Mittel dorthin zu verringern und mehr private Gelder zu lukrieren. Derzeit steuert die türkische Ephesos-Stiftung 70.000 Euro bei. Die österreichische Gesellschaft der Freunde von Ephesos gibt 50.0000, die America Society 30.000 bis 50.0000 und die Kaplan Foundation (USA) 75.000 Euro.

Welche Verpflichtungen fordern die privaten Fördergeber von Ihnen?

Sie haben mir noch nie inhaltliche Vorgaben gemacht. Doch ich muss meine Produkte anders verkaufen und berücksichtigen, wie viel ein Projekt kostet in welchem Zeitraum und was herausschaut. Privatsponsoren wollen zudem immer die Grabungsleiterin für Führungen und Vorträge. Es ist eine Illusion, dass man Forschung und Management in der gleichen Intensität betreiben kann.

Werden in der öffentlichen Forschungsförderung Anwendungen gegenüber den Grundlagen in den Geisteswissenschaften priorisiert?

Auf jeden Fall. Die Geisteswissenschaften tun sich schwer, wenn sie mit den Naturwissenschaften in den Ring steigen müssen. Resultate dauern länger, die Messgeschwindigkeit ist eine andere, Evaluierungsmethoden sind anders. In den Geisteswissenschaften gilt Kritik als Impuls für Weiterentwicklung, während sie in den Naturwissenschaften auf Fehler hindeutet. Die Lösung kann wohl nur in einer Vernetzung der Disziplinen liegen.

Wie haben Sie unter dem derzeitigen Sparzwang zu leiden?

Aufgrund des Spargedankens, dass Doppelgleisigkeiten vermieden werden sollen, muss sich in Österreich jedes archäologische Institut ein eigenes Profil aufbauen. Das könnte zur Folge haben, dass sie vor lauter Profilschärfung einander die Tür verschließen aus Angst, dass der Gutachter sagt: Beide Institute machen Ephesos, eines davon brauchen wir nicht. Dabei sind Synergien fruchtbar für die Zusammenarbeit und Synergien sind keine Überschneidungen.

Was sind Ihre Ziele für 2012?

Ein großes Desiderat ist, einen Führer zu Ephesos zu schreiben. Noch gibt es keinen, auch nicht zu den Hanghäusern. Ein weiteres Prestige-Projekt ist Tell el-Dab’a nahe Kairo im östlichen Nildelta, wo wir den Schwerpunkt auf die Siedlungsarchäologie der ptolemäischen Stadt Avaris setzen.

Zur Person

Sabine Ladstätter, geboren 1968 in Klagenfurt, ist Leiterin des Österreichischen Archäologischen Instituts und der Grabung in Ephesos.Sie studierte Klassische Archäologie an der Universität Graz mit Spezialgebiet Wirtschaftsarchäologie. Ab 1992 war sie Grabungsleiterin am Kärntner Hemmaberg. Seit 1995 ist sie in Ephesos tätig mit Schwerpunkt Keramikfunde. 2001 wurde sie Vize-Direktorin des Instituts für Kulturgeschichte der Antike der Akademie der Wissenschaften. Die Mutter einer Tochter wurde vom Klub der Wissenschaftsjournalisten zur "Wissenschafterin des Jahres 2011"

Wiener Zeitung, 10. Jänner 2012