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Weiße Häuser in Lainz#

Vor 80 Jahren entstand die Wiener Werkbundsiedlung. Das wegweisende Architekturprojekt wurde gefeiert und dann jahrzehntelang vergessen, jetzt wird es wiederentdeckt.#


Von der Wiener Zeitung (Sa/So, 7./8. Jänner 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Anton Holzer


Weiße Häuser
Die zwei Häuser im Vordergrund entwarf Adolf Loos, den Block dahinter André Lurçat.
Foto: © Archiv A. Holzer

Die Adresse lautet: Veitingergasse 71-117, Wien Hietzing. Rund 40 Minuten dauert die Anreise vom Zentrum Wiens. Es hat sich noch nicht wirklich herumgesprochen, dass es hier draußen, im Westen Wiens, nicht nur gutbürgerliche Wohnanlagen und Villen sowie das bekannte Ausflugsziel Lainzer Tiergarten gibt, sondern auch ein berühmtes Bauprojekt der Moderne: die Wiener Werkbundsiedlung, die 1932 errichtet wurde.

Die Anlage, die in einem Dreieck zwischen der Veitingergasse und der Jagdschlossgasse liegt, könnte, so wie die Stuttgarter Weißenhofsiedlung aus dem Jahr 1927, eine Attraktion für Architekturinteressierte und ein Publikumsmagnet für neugierige Wientouristen sein. Aber davon merkt man nichts, wenn man die Siedlung besichtigt. Besucher sind keine zu sehen und viele der Häuser machen einen eher heruntergekommenen Eindruck.

Ab 2012 aber soll sich hier vieles ändern. Bis Sommer 2012 werden von der Gemeinde Wien die ersten vier von insgesamt 48 gemeindeeigenen Häusern erneuert. Bis 2016 sollen die restlichen Bauten saniert sein. Kostenpunkt: rund 10 Millionen Euro. Ab 6. September 2012 widmet das Wien Museum der Werkbundsiedlung eine eigene Ausstellung und organisiert Veranstaltungen zum Thema.

Als die Anlage am 4. Juni 1932 eröffnet wurde, galt sie als Vorzeigeprojekt moderner Architektur. Die Pläne zu den 70 Häusern stammen von 32 renommierten Architekten des In- und Auslandes (Gerrit T. Rietveld, Richard Neutra, André Lurçat, Adolf Loos, Josef Hoffmann, Oswald Haerdtl, Margarete Schütte-Lihotzky, Jacques Groag, Ernst Lichtblau, Clemens Holzmeister, Josef Frank, Oskar Strnad u.a.). Treibende Kraft bei den Planungen war Josef Frank (1885-1967), der das Gesamtprojekt initiierte und leitete.

Ausstellungsboom#

Bereits Ende der 1920er Jahre wurde mit den ersten Planungen begonnen. Vorbilder waren Bauausstellungen, die Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre in ganz Europa die neue, moderne Architektur propagierten: etwa die Stuttgarter Weißenhofsiedlung (1927), die Werkbundsiedlung "Das Neue Haus" in Brünn (1928), die Wohn- und Werkraumausstellung in Breslau 1929, die Werkbundsiedlung Neubühl Zürich (1930-1932) und die Werkbundsiedlung in Prag (1932).

Aber auch in Wien gab es in den 1920er Jahren ein verstärktes Interesse an moderner Architektur. 1926 fand im Museum für Kunst und Industrie (heute MAK) die internationale Städtebau-Ausstellung statt, 1929 wurden auf der österreichischen Bauausstellung in der Hofburg Pläne und Modelle moderner Bauten (u.a. von Josef Hoffmann, J.J. P. Oud und Walter Sobotka) gezeigt. Als der österreichische Werkbund Ende der 1920er Jahre die Idee einer Bauausstellung aufgriff, war das Interesse an moderner Architektur auf einem Höhepunkt angekommen.

Nach etlichen Anlaufschwierigkeiten und Umplanungen - ursprünglich sollte die Anlage in Favoriten an der Triesterstraße errichtet werden - wurde im Herbst 1930 mit den Bauarbeiten begonnen. Ohne die Unterstützung durch die Stadt Wien wäre das Projekt nicht zustande gekommen. Die Baugründe stammen von der gemeindeeigenen GESIBA (1921 als Gemeinwirtschaftliche Siedlungs- und Baustoffanstalt gegründet), die auch für die Bauausführung verantwortlich war. Die Gebäude, durchwegs mit Garten, wurden großteils in Reihenbauweise errichtet, dazwischen finden sich auch einige wenige freistehende Häuser. Sie waren jeweils für eine Familie gedacht und variieren in der Größe zwischen zweieinhalb und fünf Zimmern bzw. 53 und 100 Quadratmetern. Nach der Fertigstellung sollten die Häuser verkauft werden, die Preise reichten von 25.000 bis 65.000 Schilling. Die Ausstellung in Lainz war ein Prestigeprojekt, das die Politik gebührend feierte. Eröffnet wurde die Schau von Bundespräsident Wilhelm Miklas, im Ehrenschutz war das Who is Who der Wiener Politik versammelt, einige christlichsoziale Honoratioren standen ebenso hinter der Schau wie die Riege der sozialdemokratische Stadtpolitiker.

Im Vorwort zum offiziellen Ausstellungskatalog schreibt Hermann Neubacher, der Präsident des österreichischen Werkbundes und zugleich als Generaldirektor der GESIBA ein maßgeblicher Organisator der Schau: "Die Werkbundsiedlung in Lainz wird in den nächsten Tagen und Wochen Gegenstand der größten Aufmerksamkeit des In- und Auslandes sein und wir sind stolz darauf, auf dem Gebiete der modernen Architektur und Wohnungsgestaltung in Wien ein Beispiel vorführen zu können, dem eine nachhaltige Wirkung weit über die Grenzen Österreichs hinaus sicher ist."

Lebhaftes Interesse#

Das Innnere des Wohnhauses von Ernst Lichtblau
Das Innnere des Wohnhauses von Ernst Lichtblau.
Foto: © Archiv A. Holzer

Der Publikumsandrang war tatsächlich beträchtlich. Drei Wochen nach der Eröffnung hatten bereits 40.000 Besucher die Anlage gesehen, bis zum Ende der Ausstellung am 7. August waren es über 100.000. Zahlreiche weitere Interessierte verfolgten die Schau aufmerksam in der Presse. Einige der bekanntesten Wiener Architekturfotografen, unter ihnen Julius Scherb, Franz Mayer, Martin Gerlach und Otto Skall, wurden aufgeboten, um die Anlage auch bildlich in ein attraktives Licht zu rücken.

Und dennoch: Die Resonanz in der Öffentlichkeit war keineswegs einhellig positiv. In der Berichterstattung der populären und konservativen Presse wurde das Projekt massiv angegriffen. Ende Juli 1932 bilanzierte das "Interessante Blatt", das der Schau grundsätzlich offen gegenüberstand: "In Wien ist eine heftige Fehde rund um die weißen Häuschen der Werkbundsiedlung entbrannt. Die einen behaupten, dass alles, was man da in Lainz zu sehen bekommt, verfehlt ist, die Siedlungshäuser seien zu klein und zu teuer, die Grundrisse verfehlt und die Bauweise vollkommen schlecht. Die anderen wieder finden, dass alles wunderschön und prachtvoll gelungen ist und die Siedlung ein wahres Muster für Kleinbau und Innenarchitektur vorstellt."

Aber nicht nur in der Presse tobte ein Deutungskampf um die "weißen Häuser" in Lainz, auch im Werkbund selbst waren heftige Grabenkämpfe zwischen den fortschrittlichen und den konservativen Kräften im Gange. Im Dezember 1933 kam es, auf Initiative von Peter Behrens und Clemens Holzmeister, zur Spaltung des Vereins und der Gründung des "Neuen Werkbundes Österreichs". Dieser polemisierte, auch mit antisemitischen Tiraden, gegen die Gruppe um Josef Frank und trat für eine stärker nationale, heimatbezogene, konservative Richtung innerhalb der zeitgenössischen Architektur ein.

Die Gegenbewegung#

Als die Werkbundsiedlung 1932 eröffnet wurde, war die moderne Architektur, die Josef Frank und seinen Mitstreitern vorschwebte, bereits in der Defensive. Schon ein Jahr später, 1933, wurde in der Salzburger Bauausstellung "Neues Bauen und Siedeln" der Schulterschluss zwischen Tradition und gemäßigter Moderne gefeiert. Die modernen, funktionalistischen Beispiele städtischer Architektur waren nun in der Minderheit, statt dessen wurden zahlreiche Siedlerhäuser in ländlicher Umgebung gezeigt. Ergänzt wurde die Schau durch eine Präsentation zu "Alter Heimatkunst und Volksbrauch".

Inzwischen haben sich auch in politischer Hinsicht die Zeichen radikal verändert. 1933 war die sozialdemokratische Opposition im Staat bereits de facto entmachtet, 1934 wurde die Diktatur des christlichsozialen Ständestaates auch offiziell eingeführt. Antiurbane Ressentiments gehörten ebenso zur Ideologie des Austrofaschismus wie die Propagierung von Heimat und Brauchtum.

In diesem konservativen politischen und kulturellen Klima geriet die Wiener Werkbundausstellung bald in Vergessenheit - und verfiel. Nur 14 der 70 Häuser fanden 1932 Käufer, der Rest der Anlage stand teilweise leer. Aber auch in der Nachkriegszeit war jahrzehntelang niemand an dieser Freiluftausstellung der Moderne interessiert. Erst 1978 wurde die Anlage unter Denkmalschutz gestellt, zwischen 1982 und 1985 wurden die gemeindeeigenen Häuser unter der Leitung des Architekten Adolf Krischanitz renoviert.

Danach wurde es wieder jahrelang still um die Siedlung. Nun, im Jahr 2012, könnte das Architekturensemble endlich die öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, die ihm zusteht.

Anton Holzer, geb. 1964, Fotohistoriker, Ausstellungskurator, Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte", lebt in Wien. 2010 erschien: "Ganz Wien in 7 Tagen. Ein Zeitreiseführer in die k.u.k. Monarchie" (Primus Verlag).

www.anton-holzer.at

Wiener Zeitung, Sa/So, 7./8. Jänner 2012