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Wie digital soll die Schule sein? #

Digitale Grundbildung ab der Volksschule und Tablets für alle: Das bringt die „Schule 4.0“. Doch wie pädagogisch wertvoll ist „High-Tech-Bildung“?#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 2. Februar 2017).

Von

Doris Helmberger


Kind vor Laptop
Wo beginnt das Zuviel? Digitale Medien als Beziehungskiller?
Foto: APA/dpa

Die Koalition schien gerade zu zerbröseln – doch für dieses Shooting nahm sich Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) trotzdem Zeit: Montag vergangener Woche besuchte er gemeinsam mit Bildungsministerin Sonja Hammerschmid eine Handelsakademie in Wien-Simmering und schaute den 16-Jährigen dabei zu, wie sie mit ihren Tablets hantierten (s. u.). Hätte es das schon zu seiner Zeit gegeben, meinte er launig – seine Noten hätten anders ausgesehen.

„Flipped Classroom“ nennt sich die Unterrichtsmethode, die an der HAK 11 gerade erprobt wird. Statt von der Lehrerin im Unterricht in ein Thema eingeführt zu werden und danach selbständig zu üben, werden die Phasen einfach getauscht („gefl ippt“): Die Schüler erarbeiten sich das Thema eigenständig zuhause mittels Videos am Tablet – und die eigentlich wichtige Übungsphase wandert in den Unterricht. „Der Input passiert also im eigenen Tempo“, erklärt Projektleiter Stefan Schmid, „und die Lehrkraft wird zum Coach und kann individuell unterstützen.“ Den Schülern an der Simmeringer HAK hat sein „flippiger“ Zugang jedenfalls gefallen: 90 Prozent würden gern noch ein Jahr auf diese Art arbeiten. Richtig dosiert und umgesetzt, so Schmid, könnte sie auch schon in der Volksschule erfolgreich sein.

Deutsch-österreichische Synchronisation #

Nicht nur die Simmeringer Jugend, auch die Bildungspolitik ist von den Segnungen des digitalisierten Lernens überzeugt. Erst im vergangenen Oktober hat etwa die deutsche Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) einen fünf Milliarden Euro schweren „Digital-Pakt“ mit den (in Bildungsfragen autonomen) deutschen Bundesländern geschlossen: Bis 2020/21 sollen alle 40.000 deutschen Schulen mit Computern und WLAN ausgestattet sein. In Österreich reichen die Visionen noch weiter. Wie Christian Kern schon in seinem „Plan A“ angekündigt hatte und Bildungsministerin Hammerschmid in ihrer Digitalisierungsstrategie „Schule 4.0“ ausformulierte, soll künftig jedes Kind in der fünften Schulstufe sein eigenes Tablet und jeder Jugendliche in der neunten Schulstufe seinen eigenen Laptop erhalten. Im neuen Koalitionspakt „Für Österreich“ wurde die Umsetzung dieses Plans zwar aus Kostengründen auf 2018 verschoben, doch spätestens im kommenden September sollen sowohl das Finanzierungsmodell als auch der Anbieter stehen.

Die Ausstattung der Schüler (und Lehrer!) mit digitalen Endgeräten ist freilich nur eine von mehreren Säulen der Strategie „Schule 4.0“. So sollen spätestens bis 2021 alle Schulklassen online sein. Zudem will man schon ab der Volksschule die „Digitale Grundbildung“ – inklusive Medienbildung – in den Lehrplänen verankern; auch das Projekt „Mobile Learning“ mit Tablets wird schon bei Volksschülern etabliert. Die Lehrer wiederum sollen ihre digitalen Kompetenzen durch zusätzliche Lehrangebote an den Pädagogischen Hochschulen stärken können; und die nötigen Lern- und Lehrmaterialien sollen über ein zentrales Portal zugänglich sein. Damit all das auch im Klassenzimmer ankommt, wurde das neue Bundes- und Kooperationszentrum „eEducation Austria“ gegründet. „Digitale Bildung für alle!“, lautet hier das Motto.

Für Jörg Dräger eine gute Nachricht. Im Buch „Die digitale Bildungsrevolution“ (DVA 2015) beschreibt der Vorstand der deutschen Bertelsmann-Stiftung die Digitalisierung quasi als Allheilmittel für die vielzitierte Bildungsmisere. Schließlich habe sie „das Potenzial, jenseits gesellschaftlicher Elitenreproduktion die soziale Mobilität weltweit zu fördern und bislang Benachteiligten neue Möglichkeiten zu eröffnen“.

Am anderen Ende des Meinungsspektrums sitzt Manfred Spitzer. Seit Jahren warnt der deutsche Hirnforscher vor „digitaler Demenz“ und anderen Kollateralschäden, wenn Kinder allzu früh und häufig vor Bildschirmen sitzen. Viele werfen Spitzer Panikmache und mangelnde wissenschaftliche Redlichkeit vor, doch auch unter anderen Forscherinnen und Forschern wächst die Skepsis vor einer allzu digitalisierten Schule. Unter dem Titel „Trojaner aus Berlin“ haben sie erst im November gegen den deutschen „Digitalpakt“ protestiert: Bildschirmmedien seien „in den ersten Schuljahren nicht lernförderlich“, deshalb müssten Kindergärten und Volksschulen „IT-frei bleiben“. Statt Investitionen in IT-Infrastruktur und Hardware fordern sie mehr Lehrkräfte und Mentoren. „Die entscheidende Medienkompetenz für Bildungschancen wie -gerechtigkeit sind die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen“, heißt es. In sie müsse man für nachhaltige und emanzipatorische Bildungsbiografien investieren. Erst höhere und berufsbildende Schulen müssten technologisch gut ausgestattet werden. Doch dann auch wirklich! Der Wiener Thomas Nárosy, der sich jahrelang mit digitalen Bildungsinnovationen beschäftigt hat, plädiert indes dafür, „Digitales und Manuelles nicht gegeneinander auszuspielen“. Im Zentrum des Lernprozesses bleibe jedenfalls die Person des Lehrers, wie es die berühmte Hattie-Studie nahelege. Ähnlich der Verkehrserziehung gehe es bei der digitalen Grundbildung darum, in der Schule Antworten auf gesellschaftliche Herausforderung zu finden. Ein gutes Beispiel sei die „Schutzimpfung“ von saferinternet. at – ein Workshop, bei dem vormittags mit Schülern, nachmittags mit Lehrern und abends mit Eltern über „sichere Handy- und Internetnutzung“ gesprochen wird.

Mehr Ungleichheit durch digitale Medien? #

Paula Bleckmann, Medienpädagogin an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft im deutschen Alfter sowie Autorin des Buches „Medienmündig“, hält solche Kooperationen zwischen Schule und Familie über digitale Medien für zentral (vgl. Tipp bzw. www.medienratgeber-fuer-eltern.de). Auch das Ziel der österreichischen Digitalisierungsstrategie, eine nachhaltige Medienbildung zu erreichen, sei gut – nicht jedoch der Weg dorthin. Erstens hätten Studien gezeigt, dass frühe technische Fertigkeiten schon in der Volksschule keinen Schutz vor Medienrisiken wie Internetsucht bieten würden, sondern eher einen Risikofaktor darstellten. „Wichtiger wäre in diesem Alter, Kinder im Leben zu bestärken und dadurch ihre spätere kritische Reflexionsfähigkeit zu erhöhen, die ja wesentlicher Teil digitaler Bildung sein muss“, erklärt Bleckmann. Und zweitens würde High-Tech-Bildung laut OECD-Studie „Students, Computers and Learning“ soziale Ungerechtigkeiten sogar noch verstärken, weil sie viele Ressourcen binde, die für Leseförderung, Musik-, Kunstoder Theaterprojekte fehlten. Schüler aus sozial schwächeren Familien würden darunter besonders leiden – wobei sie schon jetzt durch digitale Reizüberflutung im Elternhaus in ihrem Schulerfolg bedroht seien. „Inhalte statt Geräte“ bzw. „High-Touch statt High-Tech“, lautet folglich ihre Devise.

Und „Flipped Classroom“? „Es gibt noch keine Studien, die gezeigt haben, dass es dadurch einen höheren Lernoutcome als in einer alternativ ausgestatteten Kontrollgruppe gibt“, erklärt die Medienpädagogin. In einer Berliner Längsschnittstudie hätte sich hingegen gezeigt, dass eigene digitale Endgeräte im Elternhaus zu 90 Prozent für Unterhaltung genutzt werden – und nur zu zehn Prozent für das Lernen. „Gute Bildungspolitik sollte das bedenken, bevor sie Geld investiert.“

Bild 'Buchcover'

Medienmündig. Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit dem Bildschirm umgehen lernen.

Von Paula Bleckmann.

5. Aufl ., Verlag Klett-Cotta 2016.

251 Seiten, karton.,

€ 18,50

DIE FURCHE, Donnerstag, 2. Februar 2017