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Lernen sie Geschichte? #

Module, Kompetenzen – aber keine Maria Theresia mehr? Der Entwurf für einen neuen Geschichtelehrplan sorgt für Unmut. Eine Annäherung. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von DIE FURCHE (Donnerstag, 24. September 2015)

Von

Doris Helmberger


Unendliche Geschichte. Bis 2018 soll das „Haus der Geschichte“ am Heldenplatz fertig sein. Der Streit darüber, ob es überhaupt eine „Nationalgeschichte“ braucht, prägt auch die Debatte um den neuen Geschichtelehrplan., Foto: © APA / Hochmuth
Unendliche Geschichte. Bis 2018 soll das „Haus der Geschichte“ am Heldenplatz fertig sein. Der Streit darüber, ob es überhaupt eine „Nationalgeschichte“ braucht, prägt auch die Debatte um den neuen Geschichtelehrplan.
Foto: © APA / Hochmuth

Im Schulbuch „Zeitfenster“ hat die Historie noch ihre gute, alte Ordnung: Schülerinnen und Schüler der sechsten Schulstufe starten mit der Venus von Willendorf, stoßen auf die ägyptischen Pyramiden, lernen die alten Griechen und Römer kennen, durchwandern das Mittelalter und landen bei den Babenbergern und der Habsburgischen Hausmachtpolitik. Ein Jahr später beginnt ihre historische Reise bei Humanismus und Renaissance, führt weiter zu Absolutismus und Aufklärung, streift die Revolutionen, tangiert das industrielle Zeitalter, nähert sich Österreich zur Zeit der Habsburger und endet im Ersten Weltkrieg. Zwischendurch gibt es „kompetenzorientierte Aufgaben“, „Workstations“ und „Methodentraining“, aber die Chronologie als Säule des Geschichtsunterrichts bleibt intakt.

Geht es nach dem Entwurf zu einem neuen Lehrplan „Geschichte und Sozialkunde/ Politische Bildung“ für die AHS-Unterstufe und Neue Mittelschule, dann soll das künftig anders werden. Das Papier, das bereits im Juni den Schulbuchverlagen übermittelt wurde und nun bundesweit in Pilotschulen getestet wird, ist nämlich in Form thematischer Module aufgebaut, die von der Geschichte bis in die Gegenwart reichen können: Die Palette reicht von „Migration“ über „Ausbeutung und Menschenrechte“ bis zu „Diversity“. Neun Module soll es künftig pro Jahrgang geben, sechs davon sind der „Historischen Bildung“ im engeren Sinn gewidmet, eines der „Historisch-Politischen Bildung“ und zwei der „Politischen Bildung“. Letztere ist der eigentliche Anlass für die Lehrplan-Reform. Gemäß Regierungsprogramm von SPÖ und ÖVP soll sie nicht mehr ab der 8., sondern bereits ab der 6. Schulstufe bei den Zwölfjährigen als „Pflichtmodul“ im Geschichtsunterricht verankert werden. Vier Jahre später, mit 16, dürfen die Jungen schließlich wählen.

„Kompetenzorientierung“ als Schlüsselwort #

„Politische Bildung“, schrieb das Bildungsministerium vergangenen August in seinem Erlass zur Pilotierung des Lehrplans, müsse „auf die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler abgestimmt“ sein. „Gleichzeitig soll der enge Zusammenhang zwischen historischem und politischem Lernen aufgezeigt und für konzept- und kompetenzorientierte Lernprozesse genützt werden.“ Was das konkret heißt, zeigt eine Gegenüberstellung der Lehrpläne, die sich auf der Homepage des „Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule“ am Wiener Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte findet (vgl. www.politiklernen. at). Bisher müssen Lehrkräfte mit ihren Schülern in der dritten Klasse etwa die Entwicklung „von der Reformation über die Reformen Maria Theresias und Josefs II. bis zur Französischen Revolution“ behandeln. Künftig sollen die 13-Jährigen die „Veränderungen der Machtverhältnisse in der Neuzeit im gesellschaftlichen Kontext herausarbeiten“, „die Aufklärung erklären und ihre Bedeutung für historische und gegenwärtige Revolutionen und Reformbewegungen analysieren“ oder „politische Umbrüche, die als Revolutionen bezeichnet werden, vergleichen und bewerten“. Maria Theresia? Fehlanzeige.

Nicht alle sind mit diesem neuen Ansatz glücklich. Vor allem Schulbuchverlage üben teils heftige Kritik: „Die klassische österreichische Geschichte – Babenberger, Habsburger – kommt eigentlich gar nicht mehr vor“, klagt Lukas Birsak, Geschäftsführer der Edition Hölzel, die unter anderem das Geschichtsbuch „Zeitfenster“ herausgibt. Noch deutlicher wird der Schulbuchverleger und Geschichtsdidaktiker Michael Lemberger: „Im ‚Haus der Geschichte‘ am Wiener Heldenplatz kann man dann das reparieren, was man mit diesem Lehrplan bei den Kindern anrichtet“, sagt er im FURCHEGespräch. Dass Jugendliche dereinst die Schule verlassen könnten, ohne je von der Begründerin der allgemeinen Schulpflicht gehört zu haben, sei „unverantwortlich“. Auch Urgeschichte und Hochkulturen würden nur noch gestreift. Insgesamt sei der neue Lehrplan „eine Schlagwortsammlung, in die jeder hineininterpretieren kann, was er will“, so Lemberger. „Wenn ich das in einem Schulbuch sinnvoll didaktisch aufarbeiten will, brauche ich 300 Seiten.“

Maria Theresia
Maria Theresia
Foto: © Wikimedia

Auch die Begeisterung vieler Pädagoginnen und Pädagogen hält sich in Grenzen: „Die neue Modulaufteilung, die ganz stark weggeht vom linearen Denken, überfordert die Elf- und Zwölfjährigen massiv“, glaubt eine Lehrerin, die seit vielen Jahren an einer Wiener NMS unterrichtet und anonym bleiben möchte. „Kritisch hinterfragen, analysieren und bewerten kann man erst in der Oberstufe – wo der Lehrplan absurderweise noch linear ist.“ Auch der Umstand, dass der neue Lehrplan bereits 2016/17 in Kraft treten soll und die Schulbücher erst ein oder zwei Jahre später fertig werden, ärgert sie. Oft müssten fachfremde Lehrer Geschichte unterrichten, „und die haben dann nicht einmal ein Buch, an dem sie sich festhalten können.“

Bernd Vogel, Vorsitzender der für Geschichte zuständigen Schulbuchkommission im Bildungsministerium und Direktor des Parhamergymnasium im 17. Wiener Bezirk, an dem der neuen Lehrplan ab so- fort getestet wird, gibt sich vorerst abwartend. Einzelne Module – etwa Modul 8 über „Politisches Handeln“ in der zweiten Klasse – könnten die Schüler tatsächlich überfordern. Doch Schieflagen wie diese seien im Zuge der Erprobung leicht zu beseitigen. „Insgesamt halte ich das Ziel, die Kompetenzen zu betonen und die Politische Bildung zu stärken, für richtig“, so Vogel.

Eine Haltung, die auch die Leiterin des „Zentrum polis“, Patricia Hladschik, teilt. Eine mögliche Überforderung der Jugendlichen fürchtet sie nicht. „Erstens ist die Chronologie ja nicht völlig aufgehoben. Und zweitens sind die Kinder als Digital Natives längst gewöhnt, Querverbindungen herzustellen.“ Philipp Mittnik vom Zentrum für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien hätte den Lehrplan zwar einfacher formuliert, hält ihn aber geschichtsdidaktisch für „brillant“. „Niemand will in Österreich die österreichische Geschichte abschaffen“, kontert er den Verlegern, „aber sie soll den Stellenwert bekommen, den sie tatsächlich hat. Bloße Nationalgeschichte, die zeigt, wie toll wir sind, gehört längst der Vergangenheit an.“

Weg vom Schulbuch, rein in die Museen #

Ein Argument, das auch in der ewigen Diskussion um das geplante „Haus der Geschichte“ in der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz (s. Foto) vorgebracht wird. Die Autoren des neuen Lehrplans sind über die Kritik jedenfalls einigermaßen überrascht. „Dass es darin keine österreichische Geschichte mehr gäbe, ist eine Polemik“, meint Alois Ecker, Professor für Geschichtsdidaktik an der Universität Wien. Es gebe nur eine „leichte Verschiebung in Richtung europäischer Geschichte und Globalgeschichte“. Außerdem sei die „Gleichung Schulunterricht ist gleich Schulbuch“ grundfalsch: Es würden noch Zusatzmaterialien für Lehrer produziert, zudem sollte man ohnedies verstärkt außerschulische Lernorte wie Museen nutzen.

Auch Christoph Kühberger, Geschichtsdidaktiker an der Pädagogischen Hochschule Salzburg, verteidigt sein Opus. „Früher war das Ziel des Geschichtsunterrichts bloßes Kanonwissen, aber in einer globalisierten Welt und Migrationsgesellschaft ist es schon schlauer, den Kindern historisch-kritisches Denken beizubringen.“ Dass Maria Theresia im neuen Lehrplan nicht explizit erwähnt werde, heiße im Übrigen auch nicht, dass man sie nicht behandeln müsse. „Auch Hitler kommt ja nicht namentlich vor.“ Und der hat seinen Platz im Unterricht hoffentlich fix.

DIE FURCHE, Donnerstag, 24. September 2015