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Lassen wir die Gärten blühen! #

Warum die österreichischen Universitäten im Jubiläumsjahr ein nachhaltiges Leitbild brauchen: Plädoyer für eine Ökologie der Wissenschaft. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 26. Februar 2015)

Von

Martin Tauss


Symbolbild: Blumenstrauß
Organisches Wachstum. Geistiger und technologischer Fortschritt gedeihen auf dem Boden der Grundlagenforschung. Nachhaltige Innovation entsteht oft überraschend an den Grenzen von Fächern, hervorgebracht durch Neugierde und Kreativität.
Foto: https://pixabay.com

Wenn sich im März die ersten Blüten des Jahres zeigen, gibt es an der Universität Wien den Auftakt für ein besonderes Jubiläum: 650 Jahre nach ihrer Gründung erinnert man zurecht an die Geistesblitze, die von der ältesten Universität im deutschen Sprachraum ausgegangen sind – von der „Planetentheorie“ der Astronomen in der frühen Neuzeit bis zu den heutigen Versuchen der Quantenphysiker, die unlängst mit der Datenübertragung durch „geschraubtes Licht“ für internationales Aufsehen gesorgt haben. Auch die Veterinärmedizinische und die Technische Universität in Wien haben heuer angesichts ihres 250- respektive 200-jährigen Jubiläums allen Grund zu feiern.

Die festlichen Aktivitäten sind zugleich auch Anlass für eine kritische Rückschau und die Vergegenwärtigung dessen, was historisch keineswegs selbstverständlich ist: Denn nicht immer atmeten die Unis den Geist der freien Erkenntnis, wie er im Humboldtschen Ideal von der „Freiheit der Wissenschaft“ beschworen wird. Und der Schwerpunkt „Geschlechtergerechtigkeit“ der Uni Wien erinnert nun daran, dass der Zugang der Frauen zu universitärer Bildung oder gar Karriere eine vergleichsweise junge Errungenschaft ist. Laut aktuellem Uni-Bericht sind derzeit etwas mehr als die Hälfte der Studierenden weiblich; bei den Professoren aber liegt der Frauenanteil nur bei 22 Prozent, wobei in den letzten Jahren ein minimaler Anstieg zu verzeichnen war.

Steigender Druck #

Nicht zuletzt bietet das Jubiläumsjahr der Universitäten die Gelegenheit, sich mit den großen Fragen angesichts einer ungewissen Zukunft auseinander zu setzen. Vor allem zwei Befunde sind hier prägend: Erstens ist die budgetäre Situation ernüchternd. Darauf verwies kürzlich wieder Heinrich Schmidinger, der Vorsitzende der Universitätenkonferenz, als er vor einem „Reduktionsprogramm“ warnte, sofern weitere Kürzungen bei der mühsam erkämpften Finanzierungszusage für 2016 bis 2018 nötig werden sollten. Angesichts der „dramatischen Budgetsituation des Bundes“ seien die zusätzlichen 615 Millionen Euro eine „Minimalforderung“ der Rektoren gewesen, mit der gerade einmal die Fortsetzung des laufenden Uni-Betriebs sichergestellt werden könne. Zweitens unterliegt die Wissenschaft einem radikalen Wandel, vorangetrieben durch die digitalen Technologien und die Daten-intensive Forschung, die dadurch ermöglicht wird. Zugleich sind die Erwartungen gestiegen: Offenheit, Transparenz und Effizienzsteigerung sind hier zentrale Vorgaben; hinzu kommt der Druck, immer rascher die drängenden Herausforderungen der Gesellschaft zu adressieren – vom Klimawandel bis zur Energieversorgung, von der Transformation der Arbeitswelt bis zur Überalterung der Bevölkerung. Die gesellschaftliche Wissensproduktion gilt heute als zentraler Faktor der „Zukunftsbewältigung“ (Peter Skalicky & Hannes Androsch). Dass die Gestaltung der Universitätslandschaft und deren geistiger Ertrag für die Entwicklung des Landes entscheidend sein werden, gilt als „Common Sense“. Wie aber lässt sich vor diesem Hintergrund ein entsprechendes Leitbild definieren?

Es mag lohnend sein, auf einen Begriff zurückzugreifen, der gerade ein erstaunliches Comeback erfährt: die Ökologie. Sie wird nun gern auch abseits der systemischen Zusammenhänge von Flora und Fauna herbeizitiert, und zwar immer dann, wenn es darum geht, einseitigen Entwicklungen gegenzusteuern und nachhaltige Strategien vorzuschlagen. Der deutsche Arzt Felix Tretter etwa beschrieb eine „Ökologie der Sucht“ – demnach müsse die Therapie von Suchterkrankungen ganzheitlich sein und darauf abzielen, wieder ein gesundes Beziehungsgefüge zwischen Mensch, Familie, Gesellschaft, Natur- und Kulturräumen herzustellen. Und eine europäische Forschergruppe plädierte kürzlich für eine „Ökologie der Aufmerksamkeit“, um der „digitalen Verschmutzung“ und ihrer mächtigen Sogwirkung im Computer-Zeitalter zu widerstehen. „Ökologie kann ein fruchtbares Leitkonzept für die intellektuelle Bewältigung der Gegenwartsprobleme sein“, ist Tretter überzeugt. Was aber wäre dann eine Ökologie des Wissens und der Universitäten? Fundamental ist zunächst das Haushaltsprinzip: „Das Wissenschaftssystem als komplexes Ökosystem benötigt ein Zusammenspiel vieler Komponenten, um sich in einem Gleichgewicht behutsam weiterentwickeln zu können“, bemerkte die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt bei einem Workshop der Universitätenkonferenz.

Spannende Grenzüberschreitungen #

Inspiriert durch ökologisches Denken sollte die Verflechtung zwischen den einzelnen Disziplinen forciert werden. Fächerübergreifende Kooperationen ermöglichen nicht nur ein vollständigeres Bild der Wirklichkeit, sondern auch eine umfassendere Problemlösung. Für Forschung, die sich mit den großen Herausforderungen unser Zeit befasst, sind interdisziplinäre Teams bereits zur Selbstverständlichkeit geworden: Die Auswirkungen des Klimawandels etwa werden von Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaftern gleichermaßen erforscht und dabei auch ethisch reflektiert. Durch institutionell verankerte Vernetzung könnten so ganz neue Gewächse im Wissenschaftsbetrieb hervorgebracht werden.

Das Ökosystem des Wissens wird aber auch durch die Einbeziehung nicht-wissenschaftlicher Akteure bereichert. Spannende Entwicklungen einer solchen Grenzüberschreitung sind vor allem die Wissenschaft der Bürger („Citizen Science“) sowie die Verbindung von Forschung und Kunst („Artistic Research“). Diese aufkeimenden Ansätze verdeutlichen, dass wissenschaftliche Forschung mit anderen Wissenskulturen in einen viel versprechenden Dialog treten kann: dem lebensnahen Wissen der Künste, des Körpers, der Sinne oder der Intuition. Diese Erweiterung des Wissensbegriffs geht zwar mit Verunsicherung einher, lässt aber auch gewaltiges Potenzial erahnen – vielleicht ähnlich jener Ahnung, die einen befallen konnte, als man die Möglichkeiten der ersten Online-Lexika mit den alten Enzyklopädien in Buchform verglich.

Artenvielfalt statt Monokultur #

Wie erfolgreich die inter- und transdisziplinären Abenteuer letztlich sein werden, ist anhand eines weiteren ökologischen Kriteriums zu beurteilen: der Nachhaltigkeit. Denn von einer Öko-inspirierten Wissenschaft ist zu erwarten, dass sie sich an grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, nicht an schnelllebigen Moden orientiert. Vorstellungen von organischem Wachstum sollten richtungsweisend sein, nicht das Schielen auf kurzfristige Erfolgsindikatoren. „Beschleunigung und Effizienz führen dazu, dass wir glauben, Teilbereiche ‚abernten‘ zu können, ohne dabei dem System zu schaden“, sagt Ulrike Felt. Sie befürchtet, dass die Engführung der Forschung auf ausschließlich strategische Ziele langfristig zu einer Verarmung des Systems führen könnte: „Wir leben heute von den breiten Wissensressourcen der Vergangenheit. Wovon aber wird die Wissenschaft in 20 bis 30 Jahren leben, wenn wir weiter zielgerichteten ‚Raubbau‘ betreiben?“

Folgt man einem ökologischem Verständnis, gilt es Kahlschläge und Monokulturen zu verhindern. Vielfalt wird so zum Schlüssel, um die jeweiligen Stärken diverser Universitätsmodelle – zum Beispiel öffentlich versus privat – am besten zur Geltung zu bringen. Und Artenschutz ist angesagt, um sich an der ganzen Fülle des geistigen Biotops erfreuen zu können. Vor allem aber sollte ein grüner Daumen dabei helfen, die Gärten der österreichischen Universitäten selbst unter schwierigen Umständen zum Blühen zu bringen.

DIE FURCHE, Donnerstag, 26. Februar 2015