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Es begann mit einem Leserbrief #

Heute vor 55 Jahren: wie die steirische Lebenshilfe entstand und sich dadurch das Gesellschaftsbild von Menschen mit Behinderung veränderte. #


Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der Kleinen Zeitung (Sonntag, 31. Jänner 2016)

Von

Robert Preis


Die Blumauer Villa in Kleinsöding und Ausschnitt des Leserbriefs
Die Blumauer Villa in Kleinsöding war das este eigene Haus der Lebenshilfe GUV, deren Geschichte mit einem Leserbrief begann
© LEBENSHILFE (2)

Mit einem Leserbrief in der Kleinen Zeitung hat alles begonnen. Es war am 14. Februar 1959, als August Pachleitner auf ein bis dahin wenig beachtetes Problem aufmerksam machte. Mit Erfolg, denn nur ein Jahr später wurde jener Verein gegründet, der Menschen mit Behinderung eine neue Chance in unserer Gesellschaft gab.

Der ursprüngliche Name: „Verein zur Förderung cerebral ge- störter Personen, zur Errichtung eines ambulatorischen Betriebes, vorübergehender stationärer Aufnahme und Behandlung derselben und Errichtung geschützter Betriebsstätten und Unterkünfte“, aus dem später die Lebenshilfe Graz und Umgebung – Voitsberg (GUV) hervorging, die mittlerweile ihr 55. Jubiläum feiert.

Die Vorgeschichte dazu ist düster: Am 18. August 1939 wurden Ärzte und Hebammen in einem geheimen Runderlass des Reichsministeriums dazu angehalten, Neugeborene und Kinder bis zu drei Jahren, „an denen Idiotie, Mongolismus, Mikro- oder Hydrocephalus oder Missbildung der Extremitäten“ festgestellt wurde, zu melden, um sie systematisch zu beseitigen. Lebenshilfe- Öffentlichkeitsarbeiterin Eva Reithofer-Haidacher schrieb darüber eine wissenschaftliche Arbeit und kennt die Details von einst: „Der Feldhof in Graz verfügte über 30 Kinderfachabteilungen, in diesen wurden mehr als 5000 Kinder umgebracht. Insgesamt fielen mehr als 300.000 Menschen mit Behinderung dem Euthanasie- Programm der Nationalsozialisten zum Opfer“, berichtet sie.

In dem von Clio und der Lebenshilfe herausgegebenen Buch „Es war nicht immer so“ (Hrg. Heimo Halbrainer und Ursula Vennemann) wird diese bedrückende Zeit geschildert. Und eine Jubiläumsbroschüre der Lebenshilfe führt uns zum Ursprung einer Institution, die sich von Anfang an der Schwachen annimmt: Es war die Unternehmerfamilie Pachleitner, die das Grauen jener Zeit ebenso durchlebte. 1943 kam Sohn Ralf-Tassilo mit Down-Syndrom zur Welt. Auch nach dem Krieg wurden Menschen mit Behinderung in der Steiermark in großen Anstalten untergebracht. Dort wurden die Menschen als krank- und pflegebedürftig eingestuft, das Leiden als „unabänderlich“, wie Eva Reithofer-Haidacher schreibt.

Familie Pachleitner, Begründer der steirischen Lebenshilfe
Begründer der steirischen Lebenshilfe – die Familie Pachleitner
© LEBENSHILFE

Ralf-Tassilo Pachleitners Eltern wollten sich damit nicht abfinden und gründeten mit mehreren betroffenen Eltern einen Selbsthilfeverein. Mit dem Leserbrief von August Pachleitner in der Kleinen Zeitung vom 14. Februar 1959 hat alles begonnen. Und tatsächlich. Nur ein Jahr später nahmen 75 Menschen an der Gründungssitzung im großen Sitzungssaal der Kammer der gewerblichen Wirtschaft in der Burggasse 13 teil. Ziel des Vereins: Die Kinder sollten vom Kindergarten bis in die Arbeitswelt eine „geschützte Umgebung“ vorfinden. Erster Obmann des Vereins wurde August Pachleitner.

Schon 1962 wurde dieser Grazer Verein Mitglied der deutschen „Lebenshilfe“, die von Tom Mutters, einem niederländischen Verbindungsoffizier, 1958 in Marburg an der Lahn gegründet worden war. Der revolutionäre Gründungsgedanke der Lebenshilfe, die Menschen nicht in abgelegene Großanstalten abzuschieben, sondern den Kontakt zur Familie aufrechtzuerhalten, war auch das Ansinnen des Grazer „Ablegers“. Reithofer-Haidacher: „Erst 1973 mit der Ausstrahlung der Radiosendung ,Licht ins Dunkel‘ und in den 1980er-Jahren verstärkt durch die Special Olympics wurden Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit als Einzelpersonen mit Namen und Gesichtern wahrgenommen.“ 1973 eröffnete die Lebenshilfe Steiermark auch ihr erstes eigenes Haus – die Blumauer Villa in Klein-Söding. Heute nehmen pro Jahr mehr als 2000 Menschen Dienste der Lebenshilfe GUV in Anspruch.



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© "Damals in der Steiermark", Robert Preis