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Mit erstickter Stimme#

Zeitzeugin Alisa Tennenbaum erzählt Schülern des Rainergymnasiums von ihrer Kindheit als Jüdin in der NS-Zeit.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Freitag, 30. Mai 2014)


Alisa Tennenbaum erzählt
Alisa Tennenbaum erzählt
© Stanislav Jenis

Wien. Alisa Tennenbaum, die als knapp Zehnjährige mit dem letzten Kindertransport aus Wien nach England flüchten konnte, erzählte Schülern des Rainergymnasiums von ihrer Kindheit als Jüdin in der NS-Zeit.

Als Alisa Tennenbaum ihre Erzählung beendet, ist es kurz still in der Bibliothek des Rainergymnasiums. Haben die Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse, die zuvor konzentriert zugehört haben, keine Fragen? Doch - nach und nach trauen sie sich, wobei sich ausschließlich Mädchen zu Wort melden. "Wie haben Sie die Kriege in Israel erlebt?", "Sind Sie heute noch mit den Kindern aus dem Heim in Kontakt?", "Haben Sie sich im Heim wohlgefühlt?", "Haben Sie Ihr Tagebuch von damals noch?" Nach ihren Erlebnissen nach dem "Anschluss" und zu den Novemberpogromen in Wien kommen keine Fragen. Vielleicht hat die rüstige, alte Dame mit den schwarz gefärbten, hochgesteckten Haaren den Jugendlichen mit ihren ausführlichen Schilderungen zuvor schon alles gesagt, was zu sagen war.

Alisa Tennenbaum erzählt ihre Geschichte an diesem Vormittag nicht zum ersten Mal. In Israel, wo sie heute lebt, ist sie Präsidentin der dortigen Vereinigung der ehemaligen "Kindertransport-Kinder". Immer wieder ist sie in Deutschland als Zeitzeugin zu Besuch, spricht dort meist vor hunderten Jugendlichen gleichzeitig. Nach Österreich hat sie nun die Eröffnung der ÖBB-Schau "Verdrängte Jahre" in Klagenfurt geführt, die am kommenden Montag im Landesmuseum Kärnten eröffnet wird. In der Ausstellung, die zunächst 2012 in Wien gezeigt wurde und seitdem durch die Bundesländer tourt, wird ihre Reise von Wien nach Newcastle 1939 dokumentiert.

Zutritt für Hunde und Juden verboten#

1929 in Wien geboren, spürte sie den politischen Umschwung sofort mit dem "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland. Jüdische Kinder durften nicht mehr in ihre bisherige Schule gehen, wochenlang saßen sie und ihre sieben Jahre ältere Schwester zu Hause, bis Ende Mai eine Schule nur für jüdische Kinder ihre Pforten öffnete. In den Wochen dazwischen gingen die Mädchen in den Augarten, um sich die Zeit zu vertreiben, bis auch das nicht mehr möglich war, denn Juden und Hunden war eines Tages der Zutritt verboten.

Der Vater wurde in diesem Frühjahr 1938 bald in das Konzentrationslager Dachau gebracht, die Schwester, Mitglied der zionistischen Jugend, ergriff die Möglichkeit, mit Gleichaltrigen nach Palästina auszureisen. Zurückblieben Alisa, genannt "Liesl", und ihre Mutter, die sich verzweifelt um die Freilassung des Vaters bemühte. Eines Tages kam die Nachbarin zur Schule und brachte die Freudenbotschaft: Der Vater sei wieder zu Hause. "Als ich ihn dann auf dem Bett sitzen sah, gebogen, so dünn, ohne Haare - und er hatte immer so dichtes Haar -, da habe ich mir gedacht, das ist nicht mein Vater. Und als er sich dann umgedreht hat, da habe ich ihn das erste Mal weinen sehen."

Der letzte Kindertransport nach Großbritannien#

Tennenbaum erzählt all das sehr gefasst, schildert die Ausreise des Vaters nach England, dessen Bemühungen auch sie und die Mutter auf die Insel zu holen. Sie selbst konnte schließlich mit dem letzten Kindertransport aus Wien, der am 22. August 1939 in Richtung Großbritannien aufbrach, entkommen.

Doch die Mutter blieb hier, sollte in den Jahren darauf zunächst ins Ghetto Lodz, dann nach Auschwitz, in eine Munitionsfabrik nahe Berlin und schließlich nach Sachsenhausen und Ravensbrück verbracht werden. Ende April 1945 gelangte sie im Rahmen eines Gefangenenaustauschs nach Schweden. Zu diesem Zeitpunkt wog sie nur noch 42 Kilo.

Als Tennenbaum dann schildert, wie sie vom Überleben der Mutter erfuhr, und zwar durch ein Telegramm an das Kinderheim in Newcastle, in dem sie mit anderen Mädchen, die von ihren Eltern nach England geschickt worden waren, lebte, versagt ihr zum ersten Mal an diesem Vormittag die Stimme. Beinahe bricht sie in Tränen aus, doch schnell ist sie wieder gefasst.

Ihre größte Sorge, als die Heimleiterin die Frohbotschaft überbrachte: Wie sage ich es den anderen? Ihr Vater war inzwischen Angehöriger der britischen Armee, besuchte sie regelmäßig und brachte auch den anderen Mädchen Geschenke mit. Auch ihre Mutter lebte. Die Eltern der meisten anderen Kinder waren von den Nationalsozialisten ermordet worden. Es ging ihr nicht gut dabei, zu erzählen, dass sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater überlebt hatten. Doch die Sorge war unbegründet: Die anderen Mädchen freuten sich mit ihr.

Launig schildert Tennenbaum dann die weitere Emigration nach Israel und wie sie dort schließlich ihren Lehrer heiratet. "Ihr könnt doch nicht mit eurem Lehrer ausgehen", meint sie schelmisch. Bis zu ihrer Pensionierung war sie als Bibliothekarin tätig, wobei sie "Bibliothekerin" sagt.

Ein Deutsch, das einen sentimental werden lässt#

Deutsch hat Tennenbaum nicht verlernt, obwohl sie im Alter von knapp zehn Jahren Österreich verließ und dann Englisch sowie Hebräisch zu ihren Umgangssprachen wurden. Es ist das typische Deutsch dieser Generation von Juden, die Wien in der NS-Zeit verlassen mussten. Das einen ein bisschen sentimental werden lässt, mit der ganz eigenen Satzstellung und den manchmal etwas verdrehten Worten, wenn die neuen Sprachen in die erste Sprache hineinwirken. Am Ende appelliert Tennenbaum an die Jugendlichen, aus der Geschichte, aus dem Leid, das dem jüdischen Volk widerfahren ist, zu lernen. "Denkt an den anderen, auch er hat Gefühle. Erzählt meine Geschichte weiter."

Wiener Zeitung, Freitag, 30. Mai 2014


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