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Im Schatten von Oskar Schindler#

Vorbild und Vermächtnis#

Ausstellung im Museum Arbeitswelt in Steyr widmet sich den wenigen "Gerechten" aus Österreich.#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 16. Oktober 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Christa Hager


Die 'Gerechten'
Die "Gerechten" zeigten Zivilcourage unter extremen Bedingungen.
© Museum Arbeitswelt Steyr

"Wenn ich wählen kann, ob ich als Mörder oder als Helfender krepieren soll, dann wähle ich den Tod als Helfer", soll Anton Schmid seinem jüdischen Freund Hermann Adler einmal gesagt haben. Schmid, in Vorkriegszeiten Betreiber eines Radiogeschäfts in Wien Brigittenau, wurde am 13. April 1942 wegen "Feindbegünstigung" und "Kriegsverrat" in Vilnius erschossen. Dorthin war der Wehrmachtsoldat aus Wien 1941 beordert worden, um eine Sammelstelle für Soldaten zu leiten. Seine Position nutzte er, um insgesamt rund 300 Juden und Jüdinnen mit seinem Wehrmachts-Lastwagen ins Ausland zu bringen. Zu dem Zeitpunkt schien dort die jüdische Bevölkerung noch nicht im selben Ausmaß bedroht wie in Litauen. Die Marschbefehle für seine Transporte hatte er sich zuvor selber ausgestellt. Außerdem hatte Schmid Kontakte zur jüdischen Untergrundbewegung, er unterstützte diese, seine Wohnung diente als Treffpunkt, bin ihm im Jänner 1942 die Gestapo auf die Spur kam.

"Nur Menschen gerettet"#

Als in Wien sein Todesurteil bekannt wurde, wurden die Fensterscheiben seiner Wohnung eingeschlagen, Nachbarn und Nachbarinnen beschimpften seine Frau wegen ihrer Liaison mit einem "Landesverräter". In dem Abschiedsbrief schrieb er: "Ich habe ja nur Menschen gerettet." Wie die meisten Retter hinterließ auch Anton Schmid kaum Aufzeichnungen, von ihm war wie von vielen anderen Helfern auch jahrzehntelang nur sehr wenig bekannt.

Eine Ausstellung im Museum Arbeitswelt in Steyr möchte diese Wissenslücken nun verkleinern. "Die Gerechten - Courage ist eine Frage der Entscheidung" lautet der Titel der Schau, die 2014 auch in Wien zu sehen sein wird. Im Zentrum der Ausstellung stehen diejenigen Menschen, die Jüdinnen und Juden während der Nazi-Diktatur das Leben retteten. Neben bekannten internationalen "Gerechten" wie Oskar Schindler liegt ein besonderes Augenmerk auf den Helfern und Helferinnen aus Österreich. Mehr als 90 Österreicherinnen und Österreicher sind heute als Lebensretter von Juden und Jüdinnen bekannt. Für ihre Rettungstaten wurden auch sie von der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in die Reihe der "Gerechten unter den Völkern" aufgenommen.

Flucht oder Versteck#

Der Komponist Gottfried von Einem, die Schauspielerin Dorothea Neff, die Ärztin Ella Lingens, oder der Widerstandskämpfer und Historiker Hermann Langbein: Von ihnen wissen wir schon, dass sie ihr Leben riskierten, um zu helfen. Weniger bekannt sind viele andere Beispiele: das der Wiener Arbeiterin Maria Potesil zum Beispiel, die ihr jüdisches Pflegekind unter großen Einsatz rettete, oder des Handwerkers Reinhold Duschka, derRegine Steinig und ihre Tochter Lucia vier Jahre lang in seiner Werkstatt versteckt hielt. Der Wiener Julius Madritsch ermöglichte wiederum Hunderten jüdischen Familien die Flucht aus den polnischen Ghettos.

Verschiedene Motive#

Die Gruppe der österreichischen "Gerechten" ist klein, wie in der Ausstellung rasch deutlich wird. Und sie ist eine sehr heterogene Gruppe. Es waren Junge und Alte, Männer und Frauen, Menschen aus allen sozialen Schichten, vom Fabrikanten bis zum Handwerker, aber auch Angehörige der Wehrmacht. Manche waren politisch organisiert, manche handelten aus Mitmenschlichkeit, manche aus Gläubigkeit. Detail am Rande: unter den bis heute bekannten "Gerechten" befindet sich bis jetzt nachweislich nur ein Priester.

So ist es dem geistlichen Balthasar Linsinger zu verdanken, dass die Jugendliche Angelica Bäumer zusammen mit ihrer Familie die letzten beiden Kriegsjahre in Großarl in Salzburg überlebte. Er versteckte die Familie wegen der hiesigen großen Schar an NS-Anhängern nicht, sondern gab sie als Wiener Familie aus, die bei einem Bombenangriff alles verloren hatte. "Pfarrer Linsinger predigte jeden Sonntag von den Teufeln dieser Welt in Menschengestalt. Jeder verstand, wen er da meinte. Dass er damit auch uns jüdische Kinder in Gefahr brachte, quittierte er mit einem ’Das macht nichts.‘ Die einzige Macht, vor der er Respekt hatte, war Gott, erzählt die Zeitzeugin Bäumer am Eröffnungsabend der Ausstellung in Steyr über ihren "Gerechten".

Leuchtende Fallbeispiele#

Aus welchen Motiven auch immer sie agierten: die "Gerechten" eint, dass sie gegen den barbarischen Konsens der Mehrheitsgesellschaft handelten. Und sie taten Dinge, die heute noch als kriminell bezeichnet werden: Sie versteckten Menschen, die gesucht wurden, fälschten Papiere oder kümmerten sich um Fluchthilfe.

Alle "Gerechten" Österreichs sind in der aktuellen Schau in einem überdimensionalen, offenen und blätterbaren Buch mit Bildern und Kurzbiografien vertreten. Von der sehr abwechslungsreich gestalteten Ausstellung bleibt aber vor allem der finstere Raum mit Fallbeispielen von "Gerechten" in Form von beleuchteten Quadern in Erinnerung: Diese stehen unstrukturiert verteilt mitten im Raum - ihre Anordnung spiegelt die "Gerechten" in der damaligen Gesellschaft wider, heißt es im Ausstellungskatalog dazu.

Abgesehen davon durchziehen die Ausstellung gute, zum Teil interaktive Elemente zur Darstellung der Geschichten und Erzählungen, darunter Video oder Objektinstallationen.

Die Schau zeichnet darüber hinaus vor allem der Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Österreich aus: Sie macht deutlich, dass es während des Nationalsozialismus sehr wohl möglich war, zu helfen - wenngleich unter Lebensgefahr. Darum ist sowohl der Geschichte des Nationalsozialismus (interessanterweise wird der Antisemitismus während der Diktatur des Austrofaschismus völlig ausgeblendet) als auch den Verbrechern und Wegbereitern des Vernichtungsregimes ebenfalls ein Teil der Ausstellung gewidmet.

Zivilcourage#

Letztere sind in einem dunklen Gang entlang eines "Galgenspaliers" aufgereiht. Auch hier sieht man vor allem Österreicherinnen und Österreicher, unter ihnen gab es damals ja bekanntlich genug fanatische Nationalsozialisten. Die Kuratoren beschränkten sich daher auf die übelsten ihrer Art, wie der KZ-Kommandant Franz Stangl aus Altmünster, der Steyrer August Eigruber, Gauleiter von Oberösterreich/Oberdonau, der SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner aus Ried im Innkreis oder Maria Mandl aus Münzkirchen nahe Schärding, Wächterin im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Was als historische Reise in die jüngste Vergangenheit begann, endet im Jetzt: Am Schluss beleuchtet die Ausstellung das Thema Zivilcourage mittels internationaler Beispiele, zeigt couragierte Menschen der Gegenwart und setzt sich mit den Handlungsmöglichkeiten gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus auseinander. Allerdings fehlt hier, im Kontext der Gegenwart, ein wichtiger Akteur: Denn mit dem Mut des Einzelnen allein ist der rechtsradikalen Gewalt nicht beizukommen. Da braucht es schon mehr als individuelle Zivilcourage, da ist die politische Klasse gefordert.

Information#

Die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem erinnert zum einen an die Millionen jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, zum anderen gedenkt sie aber auch derer, die die mit persönlichem Einsatz und unter Gefährdung des eigene Lebens oder das ihrer Familie, Juden und Jüdinnen zu retten. Yad Vashem verleiht daher symbolisch den Ehrentitel "Gerechte/r unter den Völkern". Die Gerechten werden mit ihrem Namen im "Garten der Gerechten" in Jerusalem verewigt, Die Auszeichnung ist die höchste, die Israel an nicht-Juden vergibt. Zuvor muss eine Kommission die jeweiligen Berichte jüdischer Zeugen und Zeuginnen über die damaligen Geschehnisse prüfen.

--> museum-steyr.at

Wiener Zeitung, Mittwoch, 16. Oktober 2013