„Bis in den Tod! Rot-Weiß-Rot!“ #
Für viele katholische Korporierte, die zu einem großen Teil die personelle Elite des „Ständestaates“ gestellt hatten, bedeutete der Umschwung des 12. März 1938 eine Bedrohung für Leib und Leben. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 29. August 2013).
Von
Matthias Opis
Im Vorfeld des 75. Jahrestages des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich hat Hans Werner Scheidl in der Presse an die dramatische Rede Schuschniggs am 24. Februar 1938 im historischen Reichsratssitzungssaal in Wien erinnert. Wie bei vielen Reden galt auch hier das gesprochene Wort. Die Berichte in den österreichischen Zeitungen des folgenden Tages brachten nur eine (selbst zensierte?) Zusammenfassung, die den entschlossenen Grundton des Kanzlers vermissen ließ. So hatte er davon gesprochen, dass es die erste Pfl icht der Regierung sei, „mit all ihren Kräften die unversehrte Freiheit und Unabhängigkeit des österreichischen Vaterlandes zu erhalten“. Eine Bemerkung, die weniger an die Zuhörenden als vielmehr an die nationalsozialistischen Regierungsmitglieder Seyß-Inquart und Glaise-Horstenau adressiert war. Schuschniggs Brandrede gipfelte im Aufschrei: „Bis in den Tod! Rot-Weiß-Rot! Österreich!“ – und erntete stürmischen Beifall.
Bandbreite des Menschenmöglichen #
Doch die Begeisterung jenes Augenblicks war schnell verklungen. Für viele katholische Korporierte, die zu einem großen Teil die personelle Elite des „Ständestaates“ in Politik, Wirtschaft, Kultur und Verwaltung gestellt hatten, bedeutete der politische Umschwung des 12. März 1938 nicht bloß eine Ernüchterung, sondern eine konkrete Bedrohung für Leib und Leben. Mit der Parole Schuschniggs wurde es plötzlich bitter ernst. Führende Funktionäre der „Systemzeit“ gehörten zu den ersten, die von den Nationalsozialisten verhaftet wurden. Mit dem so genannten „Prominententransport“ am 1. April 1938 wurden gleich 16 Angehörige des CV in das KZ Dachau geschickt.
Die hier angezeigte, von Herbert Fritz und Peter Krause herausgegebene Publikation ist erstmals vor einem Vierteljahrhundert erschienen. Nun ist es gelungen, dieses biografische Handbuch in einer zweiten, wesentlich erweiterten Auflage vorzulegen. Neben den über 530 Lebensbildern enthält der 700 Seiten starke Band einen ausführlichen Einleitungsteil, der in mehreren Beiträgen die politische Situation 1938 reflektiert, knappe Überblicke über den österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus sowie über die Verbände und Korporationen in den Jahren zwischen 1938 und 1945 bietet und dann, ebenfalls in mehreren Aufsätzen, vertiefend die jeweilige Situation von Cartellverband (ÖCV), Mittelschüler- Kartell-Verband (MKV), Katholisch Österreichischen Landsmannschaften (KÖL) sowie Kartellverband (ÖKV) in den Blick nimmt. Kriterium für die Aufnahme in das Handbuch war, dass die betreffenden Korporationsangehörigen inhaftiert wurden oder sich aktiv im Widerstand betätigten. Die durchgängige Lektüre der knapp abgefassten Lebensbilder dokumentiert die ganze Bandbreite des Menschenmöglichen auf Opfer- wie auf Täterseite.
Auffällig ist der hohe Anteil von über hundert Priestern an der im Handbuch erfassten Personengruppe. Da der „Kirchenkampf“ in der „Ostmark“ weitaus härter als im „Altreich“ geführt wurde, gerieten Kleriker in besonderer Weise ins Visier der NSGewaltherrschaft. Stellvertretend zu nennen sind hier etwa der 1944 hingerichtete und 2011 selig gesprochene Provikar Carl Lampert sowie der oberösterreichische Pfarrer Johann Gruber, der im Mai 1938 denunziert und nach jahrelanger Kerker- und KZHaft, in der er sich nachweislich für kranke und jugendliche Mithäftlinge eingesetzt hatte, am Karfreitag 1944 in Gusen von der sadistischen Wachmannschaft mit Stacheldraht gegeißelt und zu Tode gequält wurde. Ein ähnliches Martyrium erlitt der frühere burgenländische Landeshauptmann Hans Sylvester, der in Dachau „als Zugtier [sic!] vor einen Lastwagen“ gespannt wurde und in dieser Form monatelang bei jeder Witterung Schwerstarbeit leistete, die am 19. Jänner 1939 zum Tode führte.
Lebensfreundschaft und Widerstand #
Andere ranghohe Politiker des „Ständestaates“ wie der Wiener Bürgermeister Richard Schmitz, der steirische Landeshauptmann Karl Maria Stepan und die beiden späteren Bundeskanzler Leopold Figl und Alfons Gorbach verbrachten einen Großteil der Jahre 1938 bis 1945 in Polizeihaft und KZ, kamen aber mit dem Leben davon. Es mag antiquiert erscheinen, vom „Geist der Lagerstraße“ zu schreiben, für die se Männer jedoch war die Mitmenschlichkeit, die sie in jenen Jahren über alle ideologischen Grenzen hinweg erfuhren und selber zeigten, von existentieller Bedeutung. Allein die Tatsache, im Unterschied zu anderen überlebt zu haben, interpretierten sie als Auftrag, gemeinsam ein neues Österreich aufzubauen. Auf publizistischem Gebiet widmete sich etwa Friedrich Funder, vor 1938 ein Hardliner des politischen Katholizismus, mit der Gründung der FURCHE diesem Versöhnungskurs. Im Herbst 1945 schrieb er Briefe an führende SPÖ-Politiker, die er persönlich aus der KZ-Haft in Dachau und Flossenbürg kannte, um sie zur Mitarbeit an der FURCHE zu gewinnen.
Etliche katholische Korporierte betätigten sich auch im aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Nicht zuletzt das Prinzip der Lebensfreundschaft zwischen Bundesbrüdern führte dazu, dass mehrere Angehörige einer Verbindung zusammen mit anderen Gleichgesinnten Widerstandsgruppen aufbauten. Zu erwähnen sind hier etwa die legitimistisch ausgerichtete Gruppe Müller-Thanner, die Österreichischen Freiheitsbewegungen um Karl Roman Scholz, Jakob Kastelic und Karl Lederer sowie die Antifaschistische Freiheitsbewegung (AFÖ) und die Gruppe Maier-Messner-Caldonazzi. Ein Einzelkämpfer war der Jurist Walter Krajnc, der als einfacher Soldat im besetzten Frankreich Kontakte zur Résistance knüpfte und sich 1944 der Ausführung eines Erschießungsbefehls widersetzte. Bei seiner Hinrichtung rief er: „Es lebe Österreich, es lebe die Freiheit.“
Die „nationale Versuchung“ #
Es gab allerdings auch Angehörige katholischer Verbindungen, die bereits vor 1938 mit dem Nationalsozialismus sympathisierten und dann mit dem „Anschluss“ die Fronten wechselten. „Jedes Leben ist naturtrüb“, hat der langjährige Herausgeber der „Neuen Deutschen Biographie“, der Münchner Zeithistoriker Hans Günter Hockerts, einmal gesagt. Was auf Individuen zutrifft, gilt erst recht für Kollektive und Organisationen. Im Beitrag von Gerhard Hartmann über den ÖCV wird die „nationale Versuchung“ offen angesprochen. Aber es greift wohl zu kurz, die „Katholisch- Nationalen“ im CV (und auch KV) wie etwa den Urgeschichtler Oswald Menghin, den Germanisten Josef Nadler und den „Brückenbauer“-Bischof Alois Hudal aufzuzählen und dann festzustellen, diese seien aber in ihrem Verband isoliert gewesen oder ausgeschlossen worden.
Nachdenklich stimmt auch die Tatsache, dass dort, wo über die Mitgliedschaft von CVern in der NSDAP Ergebnisse vorliegen, diese durchaus ernüchternd sind: Von 607 untersuchten Mitgliedern der Akademischen Verbindung „Austria Innsbruck“ waren 232 NSDAP-Mitglieder. Dass davon die Hälfte „Reichsdeutsche“ gewesen seien und von den übrigen Angehörigen dieser Gruppe 90 Prozent erst nach dem „Anschluss“ Parteimitglieder wurden und von daher als „Mitläufer“ einzustufen seien, wie Hartmann interpretiert, vermag diesen Befund nicht hinreichend zu entkräften. Diese Zahlen sind keine Marginalie, sondern ein Anlass zu weiteren Nachforschungen.
Der Autor ist Historiker und Mitarbeiter der Styria Media Group AG
Information#
Farben tragen, Farbe bekennen 1938–1945
Von Herbert Fritz, Peter Krause (Hg.)
Österr. Verein für Studentengeschichte, Wien 2013, 703 S., 28 EUR