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Gaismair und die Fahne der Utopie#


von

Hans Haider


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: Dolomiten (Mittwoch/Donnerstag 16./17. März 2011)


In den siebziger Jahren wärmten Namen von Bauernkriegshelden wie Michael Gaismair und Peter Passler in Tirol, wie Stefan Fadinger in Oberösterreich, wie Thomas Münzer in Thüringen viele junge Herzen. Eine politische Bewegung war nach 1968 aus Metropolen wie Paris und Berlin, und befeuert vom Woodstock-Festival 1969, bis in entlegene Landkommunen übergeschnappt. Sei es als emotionsgeladene individuelle Revolten gegen die Repression durch Eltern, Lehrer, Staats- und Kirchenorgane, sei es in Kleingruppen mit hohem Theoriebewusstsein und unendlichem Diskutierbedarf. Die einen irrten durch lebensreformatorisches Dickicht, die anderen marschierten in proletarischer Klarheit. Unduldsamkeit allemal.

Die eingesessenen politischen Parteien bemühten sich, nach anfänglicher Ausgrenzung, solche Bewegte einzufangen, zu domestizieren. Manche Aktivisten von damals halten noch heute Bürgerinitiativen in Schwung. In unseren Tagen treten reihenweise angepasste Staatsdiener in den Ruhestand, die vor vierzig Jahren als Trotzkisten, Kommunisten, Maoisten, Anarchisten dem System der Herrschenden abgesagt haben. Und zwar mit moralischen Argumenten gegen die Ausbeutung von Arbeitskraft, Diskriminierung von Rasse und Geschlecht, gegen Atomenergie und den Vietnamkrieg der USA.

Das revolutionäre Potential der Bauernkriege#

Nicht wenige Studenten, am ehesten solche aus dem protestantischen wie katholischen Milieu, entdeckten damals das revolutionäre Potential der Bauernkriege in einer billigen Taschenbuchausgabe der Hauptwerke von Ernst Bloch - in Büchern wie "Das Prinzip Hoffnung", "Der Geist der Utopie" und "Thomas Münzer als Theologe der Revolution". Die Landsordnung, die sich Michael Gaismair 1526 in seinem kärglichen Schweizer Refugium für das Land Tirol ausgedacht hat, wurde wie ein apokryphes Evangelium verehrt. Denn darin finden sich Standards aus Forderungskatalogen der 68-er: die Enteignung ausländischer Konzerne, die Vergesellschaftung der Bodenschätze, die staatliche Kontrolle von Produktion und Warenhandel sowie ein gesichertes Grundeinkommen für jedermann. Manches aber wurde gerne überlesen. Etwa dass der Lutheraner Gaismair die Ehre Gottes als erste Forderung dem Gemeinnutz voranstellte. Und dass er die Austreibung von gottlosen Menschen, die Zerschlagung des Bürgertums, indem die Bauern die Stadtmauern zerstören, und die Verbrennung philosophischer und rechtsgelehrter Bücher plante.

In die bewegten siebziger Jahre fiel das 450-Jahr-Jubiläum der Bauernkriege. Für die historischen Fächer bedeutete es Rückenwind. In Tirol war es aber nicht der hohe akademische Betrieb, der sich mit Gaismair groß beschäftigte. 1970 veröffentliche Hans Benedikter im sozialdemokratischen Wiener Europaverlag die Biographie "Rebell im Land Tirol". 1976 fand im Volksbildungshaus Grillhof bei Innsbruck eine Tagung über "Die Bauernkriege und Michael Gaismair" statt. Mit sechsjähriger Verspätung erschien 1982 ein Sammelband der Vorträge. Im selben Jahr 82, in das auch der 450. Gedenktag der Ermordung Gaismairs in Padua fiel, folgte Michael Forcher mit einem Gaismair-Buch in seinem Haymon-Verlag. 1983 ließen endlich die Innsbrucker Universitätsprofessoren Anton Pelinka und Helmut Reinalter in einer historisch-politologischen Schriftenreihe eine Gaismair-Dissertation von Angelika Bischoff-Urack drucken. Von einer Dame in Bremen.

Die "Bewegung" in Nordtirol bastelte 1976 in Innsbruck, unter sozialdemokratischer Protektion, eine Aktions-Plattform mit Michael Gaismair als Namenspatron. 1979 und 1980 veröffentlichte dieser kulturpolitische Verein einen Gaismair-Kalender - ein ironisches Gegenstück zum Reimmichl-Kalender. Der erste linke Volkskalender versuchte Wegweiser zu sozialen Einrichtungen vermischt mit Helden- und Leidensgeschichtchen aus dem alten und gegenwärtigen Tirol unters Volk zu bringen - und die Gaismair-Landsordnung aus 1526. Diese Gaismair-Gesellschaft ist noch immer aktiv, mit Schwerpunkten Feminismus und Aufarbeitung von Altlasten aus nationalsozialistischer Zeit, und eng verbunden mit dem Innsbrucker Studienverlag, Tirols tauglichstem Vehikel für historische und gesellschaftswissenschaftliche Forschung.

Verschwunden ist hingegen der Südtiroler Kulturkreis Peter Passler, allerdings unter Hinterlassung literarischer Spuren. Denn an der Gründung im Mantel der KPI von Bruneck im April 1977 war der Dichter Norbert Kaser beteiligt. Mit seinem Tod 1978 erlosch der Verein, der ja nur zwei Mitglieder hatte. Das andere war der beharrliche Theatermacher Klaus Gasperi.

Der Innsbrucker Gaismair-Gesellschaft und Tiroler Landessubventionen ist es zu danken, dass der anerkannt wichtigste Gaismair-Forscher, der Tscheche Josef Macek, eine Kurzfassung seines 1960 in Prag erschienenen Buches "Der Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair" 1988 im Österreichischen Bundesverlag herausbringen konnte. Von diesem ehemals kommunistisch linientreuen, doch 1970 wegen seiner Kritik an der Sowjetintervention in Prag aus der KPC ausgeschlossenen Historiker stammt auch ein Aufsatz über Peter Passler im "Schlern".

Vom Nationalsozialismus vereinnahmt#

Neben den Sozialisten und Kommunisten suchten sich auch die Nationalsozialisten in die Erbfolge der Bauernkriegsführer zu schwindeln. Nach Florian Geyer, der in Franken Bauerntruppen organisierte, war eine Division der Waffen-SS benannt, und später ein Grenzregiment der DDR. In Wien gibt es in einem Arbeiterviertel einen Stefan-Fadinger-Platz. So benannten ihn die Sozialisten 1930, als dort Arbeiterwohnungen errichtet wurden. So nannten ihn 1938 wieder die Nationalsozialisten, nach der Okkupation Österreichs. Dazwischen, im "schwarzen Wien" seit 1934, nach dem Verbot von NSDAP und Sozialisten, hieß er "Liebfrauenplatz". Nahe beim Fadinger-Platz gibt es seit 1930 auch eine Gaißmayr- und Thomas-Münzer-Gasse.

An Gaismair wollten auch die Tiroler Nazis nicht vorbeigehen. Das Thema bot eine doppelte Verknüpfung mit ihren Ideen. "Ohne Juda, ohne Rom / bauen wir den deutschen Dom", hieß eine zentrale Parole. Das Feindbild Jude fanden sie in Gabriel Salamanca, dem verhassten Hofkanzler von Erzherzog Ferdinand; Rom war nicht nur die Kurzformel für die Katholische Lehre, sondern auch das Kirchenvermögen und die Herrschaft der Bischöfe.

Josef Wenter, geboren in Meran 1880, Doktorat in Tübingen, in Tirol bekannt geblieben durch ein Stück für die Rattenberger Burgbühne über den Kanzler Biener, veröffentlichte 1941 ein Stück "Michel Geismair" gemeinsam mit Alfred Frauenfeld. Der war NS-Gauleiter von Wien in der Verbotszeit und dann während des Krieges als Generalkommissar der Krim für die Umsiedlung von Südtirolern dorthin zuständig. Das Buch ist "Dem großzügigen Förderer dieses Stückes, Franz Hofer, Gauleiter und Reichstatthalter in Tirol und Vorarlberg, gewidmet." Ein noch ärger NS-belasteter Schriftsteller war Karl Springenschmid aus Innsbruck. Kenner der italienischen Literatur werden im vielleicht begegnet sein in Curzio Malapartes Kriegsreportage "Kaputt", und zwar in der Episode "Sigfrido e il salmone": Da kämpft der Tiroler in der Wehrmachtsuniform in einem Fjord in Norwegen mit einem Lachs; weil Springenschmid dem Fisch nicht Manns genug ist, zieht er die Pistole und erschießt ihn vor dem Augenzeugen Malaparte. Springenschmid war 1938 der Hauptverantwortliche der Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz, der einzigen in Österreich, damals Ostmark. Er sprach vor dem Bücherhaufen von der Notwendigkeit, Juda und Rom zu vernichten. 1980, schon 83 Jahre alt und ein Jahr vor seinem Tod, gab er im bekannt rechtskonservativen Stocker-Verlag in Graz eine "Gaismair Saga" heraus - fein bis zum Kitsch ausgemalte Szenen bis hin zu peinlichen Sottisen gegen den Asarius Baruch Chaim, der in Salamanca von einer Jüdin geboren worden und als Findelkind getauft worden sei. "Wollen wir noch weiter zusehen", fragte Springenschmid rhetorisch im Nachwort, "wie der größte Mann, den Tirol je hervorgebracht hat … verkannt und totgeschwiegen wird?" Und er prophezeite: "Tirol, das von der Welt noch immer einseitig als Land Andreas Hofers gesehen wird, was den gegebenen Tatsachen keineswegs mehr entspricht, wird ein neues, ein anderes Land Tirol werden: Tirol - Gaismairs Land."

Prophet des Frühsozialismus?#

Für die DDR war Michael Gaismair ein Fall für die marxistische Vorgeschichtsschreibung, für den Frühsozialismus. Im Jahr 1976, knapp vor der Wende, erschien in Ostberlin ein Roman mit dem Titel "Der gefürchtete Gaismair". Der Verfasser, Werner Legére, 1912 bis 1998, war einer der unauffälligen Handwerker im Schoße des offiziellen Schriftstellerverbandes. Die Tiroler Landsordnung ist im Wortlaut mitgedruckt. "Schon einmal, im fernen Wittenberg", so räsoniert die Romanfigur Gaismair im Schweizer Refugium, "brachte eine Schrift, die 95 Thesen Luther, granitene Säulen zum Einsturz, in Tirol wird eine andere, die seine, umstürzen, was die heimtückische Schläue des Erzherzogs wieder aufgerichtet hat: die Herrschaft des Klerus, des Adels und der Geldsäcke." Legére lässt seinen Gaismair über die Planwirtschaft jubeln, die in seiner Heimat eben dabei war, Bankrott zu machen: "Privateigentum wird es in dem neuen Tirol nicht mehr geben. Die Herstellung von Gütern wird verstaatlicht. Für ihren Vertrieb hat ein dafür zu bestellender und dem Staat verantwortlicher Amtmann zu sorgen." Legére hat übertrieben, als er seinen Lesern in der DDR Gaismair als den Gründer einer "Republik Tirol" anpries. Denn wie Gott ist in der Landsordnung auch der Kaiser nicht in Frage gestellt.

Unter der Regenbogenfahne#

Die Meinungen über das Wesen der Utopie und über die Möglichkeit, sie in Praxis umzusetzen, laufen auseinander. Aber sie hat eine eindeutige Flagge. Schon Thomas Münzer wählte dafür den Regenbogen. Im Buch Genesis, 9. Kapitel, wird erzählt, wie Gott nach der Sintflut den Regenbogen als Zeichen einsetzt für den Bund zwischen ihm und der Erde. Keine Flut wird jemals wieder auf der Erde die Wesen aus Fleisch, das sind Mensch und Tier, vernichten. Unter Fahnen mit dem Regenbogen marschierten die von Thomas Münzer in Thüringen angeführten Bauern und Stadtbürger den Landsknechtheeren der Fürsten entgegen. In der Entscheidungsschlacht am 15. Mai 1525 in Frankenhausen verloren 6000 Utopisten ihr Leben. Obwohl der Überlieferung nach an diesem Tag ein Regenbogen über dem Kampfplatz stand. Pfarrer Münzer wurde gefoltert und hingerichtet.

Die Flagge war gesunken, aber tauchte immer wieder auf. Sogar in einer Posse von Johann Nestroy über die zaghafte Revolution in Wien 1848 mit dem Titel "Freiheit in Krähwinkel". Nestroy macht sich über die Utopieverkünder lustig. Er lässt einen "Abgesandten der Europäischen Freiheits- und Gleichheitskommission" mit einer Regenbogenfahne einreiten. Der verkündet den Krähwinklern "Rede-, Preß und sonstige Freiheit; Gleichgültigkeit aller Stände; offene Mündlichkeit; freie Wahl nach vorhergegangener Stimmung; eine unendlich breite Basis, welche sich erst nach und nach in die Länge ziehen wird, und zur Vermeidung aller diesfälligen Streitigkeiten gar kein System." Aber dieser Possenreißer lag nicht ganz falsch. Heute gibt es die Europäischen Freiheits- und Gleichheitskommission wirklich. Sie heißt Europäischer Gerichtshof und sitzt in Straßburg.

Als der Philosoph Ernst Bloch, der im 20. Jahrhundert wie kein zweiter den Geist der Utopie beschwor, mitten im Sommer 1977 in Tübingen gestorben war, marschierten seine Studenten, trotz der Semesterferien, unter Regenbogenfahnen zum Begräbnis. Die internationale Friedensbewegung führt den Regenbogen als Fahne. Die Katholische Kirche setzte Kirchentage und Jugendmissionen unter dieses Zeichen. Homosexuelle formieren sich in Großstädten zu alljährlichen Regenbogenparaden, und wenn im und vor dem Wiener Rathaus, jedes Jahr üppiger, der Life-Ball für die Emanzipation von Andersrum wirbt, sind die Wiener Straßenbahnen mit Regenbogenwimpeln geschmückt.

Wer den Regenbogen auf seine Tauglichkeit als Symbol hin abklopft, wird freilich auf eine wunde Stelle stoßen. Weitverbreitet, jedenfalls unter Kindern, ist der Glaube an das Glück, das der Regenbogen verheißt. Geh hin, wo der Regenbogen die Erde berührt, grabe dort, und du wirst dort einen Goldschatz finden! Bekanntlich kann man das runde Band der Spektralfarben nur anschauen, aber nie erreichen, anfassen, einfangen. Damit sind der Symbolwert des Regenbogens, und die Strahlkraft der Utopie, ernüchternd eingeschränkt.


Dieser Text erschien in den "Dolomiten" (Mittwoch/Donnerstag 16./17. März 2011) --> als pdf laden