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Die Loslösung von Deutschland#

Vor 70 Jahren wurde die "Moskauer Deklaration" auf einer Konferenz der alliierten Außenminister verabschiedet. Sie befasst sich mit Österreichs Zukunft und gilt als "Gründungsurkunde" der Zweiten Republik.#


Von der Wiener Zeitung (Fr./Sa./So., 25./26./27. Oktober 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Rolf Steininger


Im Londoner Foreign Office wurde im Frühjahr 1943 mit der Arbeit an der Deklaration begonnen., Foto: Adrian Pingstone/Wikimedia
Im Londoner Foreign Office wurde im Frühjahr 1943 mit der Arbeit an der Deklaration begonnen.
Foto: Adrian Pingstone/Wikimedia

Am 1. November 1943 verkündeten die Außenminister Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA zum Abschluss ihrer Konferenz in Moskau eine Erklärung über Österreich. Darin wurde Österreich als "erstes Opfer der Hitler’schen Aggression" bezeichnet, das von deutscher Herrschaft befreit werden solle, der Anschluss 1938 für "null und nichtig" erklärt und der Wunsch geäußert, "ein freies und unabhängiges Österreich wiederhergestellt zu sehen". Der letzte Satz lautete: "Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird."

Diese Erklärung ist als " Moskauer Deklaration" in die Geschichte eingegangen. Wie ist sie entstanden und was sind ihre Auswirkungen gewesen? In allen Überlegungen der späteren Sieger ging es stets um die Frage, was mit Deutschland nach dem Krieg geschehen sollte. Wie konnte es auf Dauer entmachtet werden, um die Welt vor einer erneuten deutschen Aggression zu bewahren? Von Anfang an war dabei eines klar: Österreich musste wieder von Deutschland getrennt werden. Aber was sollte dann mit Österreich geschehen?

Londoner Planungen#

Im Foreign Office in London begannen im Frühjahr 1943 die Nachkriegsplanungen. In einem groß angelegten, 13-Seiten-Memorandum vom April 1943 ("The Future of Austria") hieß es zur strategischen Bedeutung Österreichs, wer von den großen Mächten Wien und die österreichische Donau beherrsche, beherrsche den gesamten Donauraum -mit anderen Worten: "Österreich ist in mehrfacher Hinsicht der Schlüssel für die Zukunft Europas." ("Austria is, from several points of view, the keystone of the European arch.") Von daher war auch klar: "Die Zukunft Österreichs wird eine der schwierigsten Fragen sein, mit denen Staatsmänner nach dem Krieg konfrontiert sein werden." ("Austria’s future will be one of the most difficult questions with which statesmen will be faced after the war.") Vier mögliche Lösungen wurden genannt: Österreich als

1. Teil Deutschlands,
2. Teil einer süddeutschen Föderation
3. frei und unabhängig,
4. Teil einer Föderation mit Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn.

Lösung eins wurde abgelehnt ("Unser Hauptziel ist die Trennung Österreichs von Deutschland.") Lösung zwei - Konföderation Österreich-Bayern, mit oder ohne Württemberg und Baden - wurde ebenfalls abgelehnt. Das Ergebnis wäre ein überwiegend katholischer Staat und ohne die Zustimmung der Menschen nicht zu verwirklichen; die aber sei nicht gegeben. Die Begründung ist interessant:

"Bayern und Österreicher mögen beide die Preußen nicht, aber diese gemeinsame negative Haltung ist zu wenig für einen Zusammenschluss. Bayern und Österreicher haben sich im übrigen nie besonders gemocht. Es sind zwar beides überwiegend katholischer Länder, aber der österreichische Katholizismus ist von der Gegenreformation geprägt und stärker mit Rom verbunden als der mehr nationale Katholizismus Bayerns. Es gibt kulturelle Gemeinsamkeiten, aber auch Rivalitäten."

Bei den Anschluss-Abstimmungen im Jahre 1921 in Tirol und Salzburg sei es um den Anschluss an Deutschland, nicht um den Anschluss an Bayern gegangen. Würde Bayern Anschlusswünsche betreffend Österreich hegen, um so den Konsequenzen der Niederlage Deutschlands zu entgehen, so würde es sich früher oder später wieder mit Restdeutschland vereinen und höchstwahrscheinlich versuchen, Österreich mitzubringen. Ein deutscher Staat ("German state"), der von Wien bis Stuttgart und Freiburg oder von Wien bis München reiche, würde nicht länger ein Donaustaat sein und eine enge Verbindung mit Deutschland eingehen, "wo doch unser Hauptziel die Trennung Österreichs von Deutschland ist". Es blieben die Lösungen drei und vier als "einzig praktische Alternative".

Lösung drei bedeute in jedem Fall ein schwaches Österreich, das von daher "ein potentieller Gefahrenherd" sei; dabei wurde immer wieder auf das Schicksal der Ersten Republik verwiesen. Ein "freies und unabhängiges" Österreich werde nur überleben, wenn die Vereinten Nationen zu nachhaltiger politischer und wirtschaftlicher Unterstützung bereit seien; andernfalls werde es in den Schoß Deutschlands zurückkehren ("will almost inevitably result in the end in the return of Austria to the German fold").

Aber auch die Föderation wurde als eine relativ unsichere Sache gesehen, um die Unabhängigkeit Österreichs zu sichern. Dabei wurde auch auf Tendenzen in Osteuropa hingewiesen, eine deutsche Minderheit so weit wie möglich zu vermeiden. In einigen Staaten werde es immer populärer, die Deutschen auszuweisen. Je weniger Deutsche, um so sicherer: Schon aus diesem Grund würden diese Staaten eine Konföderation ohne Österreich bevorzugen. Im Übrigen halte keines der potentiellen Partnerländer die Teilnahme Österreichs an einer solchen Konföderation für unbedingt notwendig.

Die Briten legten dann ihren Partnern in Washington und Moskau einen Text vor, der fast schon wörtlich der späteren Deklaration entsprach. Im Begleitschreiben hieß es dabei ausdrücklich, dass es um zwei Stufen gehe: die erste sei die Errichtung eines freien und unabhängigen Österreich und die zweite dann eine Föderation. Weiter hieß es, es gehe darum, in Österreich den Widerstand gegen das NS-Regime zu fördern.

Stalins Korrekturen#

Dass hinter der britischen Föderationsidee auch der Gedanke steckte, ein mögliches Bollwerk gegen die Sowjetunion aufzubauen, war erkennbar. Stalin wollte aus ersichtlichen Gründen ein unabhängiges und damit schwaches Österreich. Von daher lehnte er diese Idee sofort ab - und machte Änderungsvorschläge, die für die spätere Entwicklung von Bedeutung waren, insbesondere mit Blick auf den letzten Satz. Da hatten die Briten das "österreichische Volk" genannt, die Sowjets machten daraus "Österreich". Das wies schon auf die Entwicklung nach dem Krieg hin, denn damit begründete Moskau später seine Reparationsforderungen an den Staat Österreich. Auch von daher war die Moskauer Deklaration für die Sowjetunion von erheblicher Bedeutung. Noch bedeutender war sie allerdings für Österreich.

Josef Stalin
Mitautor Josef Stalin.
Foto: © dpa

Dabei ging es Briten und Amerikanern zunächst gar nicht um eine konkrete Nachkriegsplanung für Österreich (der amerikanische Kriegsminister Henry Stimson sprach intern sogar von einem "Propagandatrick"). Für sie war diese Deklaration in erster Linie ein Instrument der psychologischen Kriegsführung, um Österreich zum Widerstand gegen das NS-Regime zu bewegen. Diese Erwartungen erfüllten sich nicht, was insbesondere bei den Briten nicht gerade zur Bewunderung für die Österreicher beitrug. Im Juli 1944 hieß es dazu im Foreign Office: "Es gibt praktisch keinerlei Hinweise auf eine organisierte Widerstandsbewegung in Österreich. Man mag die Nazis zwar nicht, und die Preußen schon gar nicht, aber die überwältigende Mehrheit der Österreicher ist nicht bereit, irgendein persönliches Risiko auf sich zu nehmen."

Dazu meinte der Leiter der Mitteleuropaabteilung: "In der Moskauer Deklaration ist den Österreichern ganz klar die Unabhängigkeit zugesagt worden. Von daher werden sie nicht viel riskieren, um die Sache zu beschleunigen." Dem setzte ein Unterstaatssekretär noch eins drauf und notierte: "Wäre es aus strategischen Gründen nicht so wichtig, Österreich von Deutschland getrennt zu halten, könnten wir dieses Land ohne Rückgrat im eigenen Saft schmoren lassen." ("Were it not for the strategic importance of keeping Austria separate from Germany, we could let this flabby country stew.") Und weiter: "Es ist klar, dass Österreich wenig bis gar nichts für seine eigene Befreiung tut, und wir werden die größten Schwierigkeiten haben, diesem Land nach dem Krieg Leben einzuhauchen. Österreich wird sich dem Erstbesten in die Arme werfen," wobei er befürchtete, dass das die Russen sein würden.

Der kanadische Historiker Robert H. Keyserlingk hat in diesem Zusammenhang auf ein Dokument des State Department in Washington vom September 1944 hingewiesen, in dem die Frage gestellt wurde, was denn die Moskauer Deklaration wirklich bedeute. Eine klare Antwort sei darin nicht gegeben, ein Anschluss an ein demokratisches Deutschland sogar einer völligen Unabhängigkeit Österreichs vorgezogen worden. Noch Anfang 1945 bestand demnach sowohl das State Department als auch das Foreign Office immer noch darauf, dass die Alliierten keinerlei Verpflichtungen gegenüber Österreich eingegangen seien. Man sprach weiter von einer nur kurzen Besetzung, wobei der Status Österreichs jederzeit durch politische Entscheidungen verändert werden könne.

Renners Regierung#

Dabei hatte es Befürchtungen mit Blick auf Moskau gegeben, die sich im April 1945 zu bewahrheiten schienen, als Stalin die Initiative in Sachen Österreich ergriff: Am 27. April wurde in Moskau zur Überraschung von Briten und Amerikanern die Bildung einer provisorischen österreichischen Regierung in Wien unter Karl Renner verkündet. Die wandte sich noch am selben Tag mit einer Erklärung über die Unabhängigkeit Österreichs an die Öffentlichkeit. Darin wurden die ersten beiden Sätze der Moskauer Proklamation zitiert und dann mit Blick auf deren letzten Satz "pflichtgemäß" versichert, man wolle jeden möglichen Beitrag zur Befreiung leisten, er könne aber "angesichts der Entkräftung unseres Volkes und Entgüterung unseres Landes . . . nur bescheiden sein".

Die Moskauer Deklaration wurde damit gleichsam zur Gründungsurkunde der Zweiten Republik, mit Hinweis auf das "erste Opfer" gleichzeitig aber auch zur Geburtsstunde des österreichischen Opfermythos. Wenn die Alliierten Österreich als Opfer bezeichnet hatten, musste es ja wohl stimmen. Und Opfer konnten nicht gleichzeitig Täter sein!

Angesichts der strategischen Bedeutung, die Österreich in den folgenden Jahren an der Frontlinie des Kalten Krieges erhielt, spielten die Alliierten dieses Spiel wider besseres Wissen mit. Erst 1955 erhielt Österreich seinen Staatsvertrag und wurde um den Preis der Neutralität "frei und unabhängig". Dabei erreichte Außenminister Leopold Figl sogar, dass der letzte Satz der Deklaration, die sogenannte Kriegsschuldklausel, aus der Präambel des Staatsvertrages gestrichen wurde. Selbst der sowjetische Außenminister Molotow hatte zugestimmt: Die Sowjets hatten Österreich zehn Jahre ausgebeutet; jetzt gab es dort eh nichts mehr zu holen.

Rolf Steininger, geb. 1942, ist emeritierter o. Univ.-Prof. an der der Universität Innsbruck; mehr zum Thema in seinem Buch "Der Staatsvertrag. Österreich im Schatten von deutscher Frage und Kaltem Krieg 1938-1955", Studienverlag Innsbruck/Wien/ Bozen 2005.

Wiener Zeitung, Fr./Sa./So., 25./26./27. Oktober 2013


Die Deklaration war auch die völkerrechtliche Legitimation des österreichischen Widerstands, von dem die Siegermächte allerdings kaum etwas wussten. So wurde beispielsweise Robert Bernardis in der Gedenkstätte "Deutscher Widerstand" in Berlin jahrzehntelang als deutscher Offizier bezeichnet, was er auch war. Ebenso war er aber Österreicher, dasselbe gilt für Erwin von Lahousen, dessen nationale Identität bei den Nürnberger Prozessen ebenfalls kaum bekannt war. Daher wäre eine entsprechende Information etwa durch Umbenennung von Kasernen nach den beiden österreichischen Widerstandskämpfern auch heute och sehr sinnvoll, um den Widerstand zu dokumenteren.

-- Glaubauf Karl, Montag, 4. November 2013, 13:13