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Einst so eng und heute so getrennt#

Bis 1918 und während des Zweiten Weltkrieges in einem Staat und seit 2004 in der EU verbunden, hinken heute Österreichs Beziehungen mit der Tschechischen Republik denen mit unseren anderen Nachbarstaaten weit nach.#


Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Wiener Zeitung - Kürzere Fassung erschienen am Donnerstag/Freitag, 12./13. Jänner 2012

Von

Gerhard Stadler


Industriepark Gmünd
Der schon 1991 vereinbarte grenzüberschreitende Wirtschaftspark Gmünd/České Velenice. Ein Drittel seiner Flächen steht leer. - FOTO: Acces Industrial Park, Gmünd

Wann warst Du in Mährisch-Ostrau ? fragte Helmuth Qualtinger 1960 im ersten Satz des Dialogs zweier alter Mimen über die Verflechtungen unserer Theater mit denen in unserem nordöstlichen Nachbarland, vor 1945. Hans Moser, Maxi Böhm, Attila und Paul Hörbiger hatten dort ihre ersten Bühnenerfolge, Max Reinhardt inszenierte schon 1912 den „Jedermann“ in Prag, in Nikolsburg gab es in den dreißiger Jahren für die Wiener Jedermann-Freiluftaufführungen nach Salzburger Muster. Franz Stoss hatte in Troppau seine erste Theater-Direktion, 1936 – 1940. Leo Slezak, Maria Jeritza, Fred Liewehr, Ernst Waldbrunn und Fritz Eckhardt wurden ebenso in Böhmen, Mähren oder Österr. Schlesien geboren wie Gustav Mahler, Wolfgang Korngold, Leo Fall und Ralph Benatzky, Karl Renner, Adolf Schärf und Landeshauptmann Siegfried Ludwig, Alfred Kubin, Josef Schumpeter, Josef Ressel, Ernst Mach, Ferdinand Porsche, Adolf Loos, Joseph Hoffmann und Joy Adamson, als Friederike Gessner in Troppau geboren, in Wien aufgewachsen und in Kenya legendär geworden. Über Clemens Maria Hofbauer, Kardinal Innitzer, die Schriftsteller Rilke, Werfel, Kraus, von Eichthal, die Wirtschaftsdynastien Primavesi, Mautner(Markhof) und Meinl, die Ärzte Karl Rokitansky, Joseph Skoda, Adolf Lorenz und Sigmund Freud, Matthias Zdarsky, Fritz Grünbaum und Alfred Brendel ließe sich diese Liste fast beliebig fortsetzen. Auch Franz Schubert, Oskar Kokoschka, Bruno Kreisky und Andreas Vitásek stammen aus den nördlichen Kronländern, vielleicht auch des Lesers Eltern. Heute zeigen viele Zunamen in den Wiener Einwohnerverzeichnissen, daß die Zuwanderung nicht nur auf Deutschböhmen oder –mährer beschränkt war – 1911 war Wien mit mehr als 100 000 tschechischsprachigen Einwohnern deren zweitgrößte Stadt. Sie, an die noch der „Böhmische Prater“ in Favoriten erinnert, waren der wichtigste Faktor des Wiener Bevölkerungswachstums, damals. Die Ungarn bildeten weit dahinter die zweitgrößte Minderheit Wiens.

Die Übersiedlungen, die, abgesehen von Beamten, Offizieren und Künstlern, meist nur in der Nord-Süd-Richtung erfolgten, waren im Wunsch nach wirtschaftlichem und sozialem Aufstieg begründet. Die Familie Freud sei als Beispiel genannt: von Galizien über mehrere Generationen west- und dann südwärts. Sigmund Freud wurde 1856 noch in Freiberg/Mähren geboren, 1859 zog die Familie nach Wien. Berühmt geworden, besuchte Dr. Sigmund Freud seinen Geburtsort nicht mehr.

Rege Reisetätigkeit#

Dazu kamen viele Reisen von bürgerlichen Wienern in die Sommerfrische ins Riesen- oder Altvatergebirge oder sie „frequentierten“ die nördlichen Bäder wie Karls-, Marien- oder Franzensbad, Gräfenberg oder Karlsbrunn.

Die Couch von Sigmund Freud
Das berühmte Sofa Sigmund Freuds. Das Original steht weder im Geburtshaus in Přibor in Mähren noch im Wohnhaus in der Wiener Berggasse 19, sondern im Sterbehaus in London-Hampstead.
FOTO: Gerhard Stadler

Der böhmische, schlesische, mährische Adel hingegen lebte nur wochenweise in Wien, zum Besuch der Bälle, der Sitzungen des Herrenhauses, oder um sich ein Anliegen in einem Ministerium „zu richten“. Man „pendelte“ zwischen Wien und den Schlössern am Lande: zur Jagd oder zum Verwalten seiner Güter, Brauereien, Fabriken oder Bergwerke. Die Schwarzenbergs, Liechtensteins, Wilczeks, Larisch, Guttmanns, ja auch ein Zweig der Habsburger und der Rothschilds zogen ihren Reichtum aus ihrem Großgrundbesitz in Böhmen, Mähren und Österr. Schlesien. Die Region von Ostrau wurde dank der Steinkohle- und Erzfunde der Monarchie wichtigstes Industriezentrum. Die adeligen Eigentümer ließen ihre bürgerlichen Direktoren am Reichtum partizipieren – Karl Wittgenstein und Paul Kupelwieser waren zwei von ihnen in den größten, kartellmässig verbundenen Unternehmen der Monarchie. Kupelwieser konnte sich die Inseln von Brioni kaufen, Wittgenstein in Wien in der heutigen Argentinierstrasse ein prunkvolles Palais bauen und auf der Hochreith bei Hohenberg/NÖ einen von der Wiener Werkstätte ausgestatteten Landsitz; seine Kinder Paul, Ludwig und Margarethe hätten auch nach 1918 ein finanziell sorgloses Leben führen können. Ostrau holte sich Camillo Sitte, der hier eine Stadtplanung, die ihm in Wien verwehrt war, verwirklichen konnte, und Architekten aus dem Atelier von Otto Wagner für die Stadtbahnstationen. Daß sich (nicht nur) Reichenberg rühmte, ein „Klein Wien“ zu sein, zeigte es mit einem verkleinerten Nachbau des Wiener Rathauses.

Nordmähren als Wiens Energieversorger#

Wenig bekannt ist auch, daß das nordmährisch-schlesische Revier mit seiner hochwertigen Steinkohle hundert Jahre lang die Quelle der Energieversorgung Wiens war: Die Nordbahn war nicht nur aus strategischen Gründen gebaut worden, um das ferne Galizien mit der Reichshaupt- und Residenzstadt zu verbinden, sondern ihre Kapazität nahm von allem Anfang an auf die Versorgung Wiens mit Kohle Rücksicht – bereits 1847 war sie bis Witkowitz-Ostrau fertiggestellt und schon 1868 zweispurig ausgebaut, geradlinig und eben. Neben der Versorgung der Stahlwerke in der Steiermark revolutionierte sie die Energieversorgung Wiens: Von den dazugehörigen weitläufigen Anlagen des Nordbahnhofs, die erst heute einer neuen Verwendung zugeführt werden, wurden Kohle, Koks und Briketts verteilt, zum Heizen, für Dampfmaschinen, Lokomotiven und zur Erzeugung von Leuchtgas in den Gasometern in Leopoldau und Simmering (bis 1969). Davor hatte es fürs Heizen nur Holz gegeben, meist aus dem Böhmerwald über den Schwemmkanal der Schwarzenberger und dann über die Donau herangebracht.

Der Zerfall der Donaumonarchie gefährdete die für Wien lebensnotwendigen Lieferungen. Im Dezember 1921 muß Bundeskanzler Schober zum Präsidenten des neuen Tschecho-Slowakischen Staates fahren, um mit dem Preis politischer Zugeständnisse die Kohlelieferungen weiter zu sichern. Die letzten Gruben im Ostrauer Revier wurden 1994 geschlossen, heute bezieht unser neben der Politruine Zwentendorf erbautes Kraftwerk Dürnrohr die Kohle aus dem polnischen Teil der schlesischen Gruben.

1919 kehrten viele Wiener Tschechen heim, und die Zuwanderung nach Wien ging zurück. Von 1939 bis 1944 wieder verstärkt, endete sie 1945/46, abrupt und gewaltsam. 1945 wurden die Deutschen vertrieben und enteignet. Auch das Eigentum von Österreichern in dem 1947 kommunistischen Staat wurde konfisziert (nur diese erhielten 1975 eine limitierte Entschädigung). Der Eiserne Vorhang hatte sich gesenkt. Während der Fluchtwelle im kurzen „Prager Frühling“ 1968 kamen 160 000 ČSSR-Bürger nach Wien, doch bis auf ca. 15 000 kehrten sie wieder zurück.

Als 1989 auch in der Tschechoslowakei das kommunistische Regime und der Eiserne Vorhang „auf der Müllhalde der Geschichte“ endete, hatte man in Ostösterreich Visionen von einer Renaissance der alten Zeit. Projekte wurden vorgestellt, an früher Gemeinsames erinnert, und neue Gemeinsamkeiten geplant. Die Infrastrukturen von Verkehr, Energie und Bildung, ja sogar die Flugsicherung sollten grenzüberschreitend werden. Wiederholt wurde dies 2004 bei der Osterweiterung der EU. Ein weiterer Anlauf zwischen Südmähren, Niederösterreich, dem Burgenland und je zwei benachbarten Komitaten bzw. Kreisen in Ungarn und der seit 1993 unabhängigen Slowakei begann mit Konferenzen einer „Central European Region“. Im Oktober 2012 stellte das Wiener WIFO eine neue Studie vor, die der Region zwar großes Potential für eine grenzüberschreitende Wissensgesellschaft gibt, doch Mangel an Realisierungen bestätigt und grenzüberschreitende Raum-, Arbeitskräfte- sowie Verkehrsplanung und –verbund fordert. Hoffnungen werden wieder erweckt.

Von den intensivsten zu den dürftigsten Beziehungen#

Totes Gleis vor Teltsch
Totes Gleis bei Waidhofen/Thaya, bis 1945 war dies die Linie Schwarzenau – Dobersberg – Teltsch – Iglau). FOTO: Gerhard Stadler

Ein Urteil über die Realitäten in den nun seit zwanzig Jahren in vier Staaten geteilten Regionen muß differenzieren, zweifach: Einerseits die Beziehungen zwischen den staatlichen Stellen und das Verhalten ihrer Menschen, seit alle diese Staaten der EU angehören und die meisten Beschränkungen und Kontrollen gefallen sind: Die EU-Normen, die die Gleichstellung und Anerkennung von Befähigungen sowie die Freizügigkeit von Personen und Dienstleistungen beinhalten, sind nun voll anzuwenden. Andererseits sind Differenzierungen nach der Nachbarschaft je zweier Staaten zu treffen. Zwischenbehördlichen Kontakte funktionieren, doch Planungen sind nur selten grenzüberschreitend: Positive Beispiele waren der Lückenschluß der Eisenbahn von Wien nach Bratislava über Kittsee, die Fertigstellung der Autobahnen A 4 und A 6 oder die Einbeziehung von Györ und Sopron in den Wiener Regionalverkehr der ÖBB. Negative Beispiele sind die fehlenden grenzüberschreitenden Nationalparks (Thaya, Donauauen), und daß die beiden Autobahnverbindungen mit der Tschechischen Republik noch Jahre auf sich warten lassen. Der Bahnverkehr dorthin wird immer mehr auf den Grenzübergang Hohenau/Břeclav und auf Lokalzüge über Gmünd, Retz oder Freistadt reduziert. Dies sind bereits Hinweise darauf, daß unsere Beziehungen mit dem nordöstlichen Nachbarstaat Vergleichen mit den anderen Nachbarn nicht Stand halten. Auch für die Vermutung, daß die menschlichen Beziehungen zwischen den Regionen beiderseits der österreichisch-tschechischen Grenze im Vergleich mit den Beziehungen zu allen unseren Nachbarregionen die dürftigsten sind, gibt es Belege: Daß die Zahl der Studenten mit tschechischer Staatsangehörigkeit an unseren Universitäten die niedrigste aller unserer Nachbarstaaten (ausgenommen Liechtenstein) ist, oder die Zahl der tschechischen Schüler an den höheren Schulen Ostösterreichs weit hinter den Zahlen der slowakischen oder ungarischen Schüler zurückbleibt, zeigt das unterschiedliche Verhalten der Menschen in den Grenzregionen. Pflegeheime und Hausbetreuungen dürften in Wien ohne slowakisches Personal nicht mehr zu führen sein, und in Bruck/Leitha oder Neusiedl kommen viele Handelsangestellte aus Ungarn oder der Slowakei – doch im Wald- und Weinviertel spielen tschechische Angestellte kaum eine Rolle. Gleiches dürfte für den Gelegenheitsarbeitsmarkt gelten, auf dem sogar mehr Polen als Tschechen auftauchen. Vergleiche mit den Relationen Westösterreichs mit Südtirol, der Schweiz bzw. mit Deutschland (in Kufstein pendelt fast ein Viertel der Schüler der höheren Schulen aus Bayern ein) sind wegen der Sprachgleichheit und der langen „gleichgerichteten“ politischen wie wirtschaftlichen Entwicklung unpassend. Auffallend ist aber, daß bei gleicher Ausgangslage sich unsere Beziehungen mit den Slowaken, Ungarn, ja auch Slowenen wesentlich rascher und intensiver entwickeln als mit den Tschechen. Eine neue Studie des WIFO zeigt, daß auch die Zahl der 2011/12 zugewanderten Arbeitskräfte aus der Tschechischen Republik die kleinste von allen neuen EU-Nachbarstaaten ist.

Die Gründe für diese Defizite führen zum Teil in die Geschichte: In der Monarchie war die politische Gegnerschaft zwischen Deutschen und Tschechen notorisch. Vorlagen der k.k. Regierung, nationalen Bestrebungen der Tschechen entgegenzukommen – etwa nach Gleichberechtigung ihrer Sprache bei den Behörden in Mähren oder Böhmen – scheiterten am erbitterten Widerstand der deutschen Abgeordneten im Reichsrat. Als 1939/40 in Prag Deutsche wieder die Macht übernahmen, gab es die bekannten Übergriffe gegen alle nicht kooperationswilligen Tschechen. 1945 folgte deren erwähnte Kollektivvergeltung an den Sudetendeutschen. Diese wirkt wiederum in den Familien, die fliehen mußten, nach. Österreich hat nach 1989 zwar nicht die von diesen Kreisen geforderte Aufnahme der Tschechischen Republik in die EU behindert, agitiert jedoch weiter gegen den Betrieb der Atomkraftwerke Temelin und Dukovany. Das wiederum sehen die Tschechen, deren Stromversorgung zu 70 % von diesen AKWs abhängt, als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Daß die Tschechen Aversionen gegen Österreich wie gegen Deutschland haben, ist auch Grund dafür, daß heute ihre erste Fremdsprache Englisch ist – was wiederum die Verständigung mit uns nicht fördert. Ein auch in Zukunft schwer zu überwindendes Hemmnis ist die wirtschaftlich schwierige Lage in unseren nördlichen Grenzbezirken und in den südlichen Kreisen der Tschechischen Republik – wo das Gefälle zwischen den wenigen prosperierenden Städten und den entfernten Agrarregionen noch größer ist als bei uns.

Wann waren Sie in Ostrava ?#

Rathaus Reichenberg
In Liberec erinnert das nach Wiener Vorbild 1893 erbaute Rathaus an die gemeinsame Vergangenheit, als man sich in Reichenberg gerne „Klein Wien“ nannte. FOTO: Gerhard Stadler

Nach der Wende kamen viele Tschechen in alten Bussen auf einen Tag nach Wien, um die für sie legendenhafte Stadt einmal zu sehen, gingen in die Museen (am Tag der offenen Tür) und bestaunten das überreiche Warenangebot unserer Geschäfte und Weihnachtsmärkte ebenso wie unsere neuen Autos. Aus Österreich und Deutschland wagten sich die Sudetendeutschen erstmals wieder in ihre alte Heimat. Als sie feststellen mußten, daß ihre enteigneten Häuser und Geschäfte verwahrlost oder verfallen waren, und die Prager Regierungen weiter an den Beneš-Dekreten festhielten, resignierten die Vertriebenen und kamen zu keinem zweiten Besuch. Wenige Ausnahmen gibt es: Einige, die nach der, sogar in der namensgebenden Familie umstrittenen, „lex Karel Schwarzenberg“ und dem Beweis der Nicht-Kooperation mit den deutschen Besatzern einen Teil des Grundbesitzes zurückerhielten, und andere, die ihre 1945 enteigneten Häuser zurückgekauft haben. Für den Rest der Vertriebenen, heute meist schon deren Nachkommen, blieben nur Erzählungen, Heimatbücher und vielleicht Fotoalben.

Wir anderen fuhren nach Praha, auch nach Český Krumlov, Brno und vielleicht anläßlich der Niederösterreichischen Landesausstellung 2009 nach Telč. Sie ist mit ihren 400 000 Besuchern (davon aber nur ca. 10 % Tschechen) ebenso wie der 1991 initiierte, doch bis heute nicht ausgelastete grenzüberschreitende „Access Industrial Park Gmünd/České Velenice“ als eine der wenigen gelungenen biregionalen Initiativen der Zusammenarbeit hervorzuheben. 2013 gibt es in Freistadt, Bad Leonfelden, Vyšší Brod/Hohenfurth und Český Krumlov/Krumau die Oberösterreichisch-Südbböhmische Landesausstellung.

Weiter kamen die meisten von uns nicht, bis heute. Schade, denn die Tschechische Republik bietet mehr: Ihre erwähnten Kurorte glänzen wie neu und haben mehr Atmosphäre als unsere neueren zahlreichen Wellness-Oasen, und sie hat mit 12 UNESCO-Weltkulturerbestätten mehr als Österreich (9). In ihren nun renovierten Schlössern und Museen erinnert mehr an die gemeinsame Vergangenheit als bei uns. Neben Schlössern gibt es gepflegte Golfplätze, das Radwegenetz ist im ganzen Land gut ausgebaut. Was bei uns Sommerspiele, sind dort Wochen klassischer Musik, in wirklich historischem Ambiente.

Unser „Einkaufstourismus“ spielte kurzfristig eine große Rolle, als ein findiger Österreicher gleich hinter der Grenze nach Haugsdorf in einer Einkaufscity steuerschonend verkaufen konnte; seit dem EU-Beitritt Tschechiens ist die Fahrt dorthin wenig attraktiv. Ebenso wie einige unserer Banken und Versicherungen ist eine in deutscher Hand befindliche, ehemals österreichische Supermarktkette nördlich unserer Grenze stark vertreten. Aber wir nützen das, außer bei internationalen Marken, doch beträchtliche Preisgefälle bei Lebensmitteln kaum (ganz im Unterschied zu Sopron oder von Westösterreich nach Bayern) – vielleicht auch wegen des nicht mehr gegebenen Preisunterschiedes bei Treibstoffen. Inzwischen zahlungskräftig gewordene Tschechen durchqueren Wien auf dem Weg zur Adria oder in unsere Berge, im Sommer zum Bergsteigen und im Winter zum Schifahren. Sicher urlauben mehr Tschechen bei uns als Österreicher dort. Der Fremdenverkehr wird heute zwar allerorten und viel zu oft als Vademecum für wirtschaftlichen Aufschwung gepriesen. Aber vielleicht hilft er hier wirklich, die grenzüberschreitenden Beziehungen zu verbessern – auch wenn wir uns dabei auf Englisch unterhalten werden müssen.

Besonders muß aber noch auf den „Verein Europabrücke Raabs“ hingewiesen werden, der mit einer seit 2009 aktiven und von der EU geförderten “Junge Uni/Mladá univerzita Waldviertel“ des sich hier beschriebenen Beziehungsproblems annimmt: Auf beiden Seiten der Grenze gemeinsame Fragen sind nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Veranstaltungen, sondern und vor allem auch von Sommercamps Jugendlicher aus den Grenzregionen, die solche hier kennenlernen und, in den zwei Sprachen, diskutieren. 2013 findet diese Veranstaltung in Raabs vom 5. Bis 9. August statt und steht unter dem Motto „Reisen“ (Informationen unter: albrecht@europabrueckeraabs.at). Vielleicht die beste Initiative, trägt sie doch dazu bei, daß in der nächsten Generation die „Grenze in den Köpfen“ verschwinden könnte.

Wiener Zeitung, Donnerstag/Freitag, 12./13. Jänner 2012