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Der tatkräftige Ehemann#

Zum 300. Geburtstag Franz Stephans von Lothringen, der mit der mächtigen Habsburgerin Maria Theresia verheiratet gewesen ist.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 6. Dezember 2008) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

von

Friedrich Weissensteiner


Franz Stephan von Lothringen

Er hat eine ziemlich lebhafte Einbildungskraft, ein gutes Gedächtnis und viel gesunden Menschenverstand. Aber da er von Natur träge ist, weiß er sich mit keiner Sache gründlich zu befassen. Er hasst die Arbeit. Er ist wenig ehrgeizig und kümmert sich so wenig wie möglich um die Regierungsgeschäfte. Er will nur das Leben genießen, es angenehm verbringen und überlässt der Kaiserin gern den Ruhm und die Sorgen der Regierung.“ Dieses doch recht einseitige Urteil über Kaiser Franz I. Stephan stammt aus der Feder des Grafen Christoph Otto Podewils, der von 1746 bis 1751 als preußischer Gesandter am Wiener Kaiserhof war und seinen König Friedrich II. mit Berichten versorgte. Podewils selbst war sich darüber im Klaren, dass seine Charakteristik des Kaisers der Seriosität entbehrte. Er war, als er diese Bemerkung übermittelte, Franz Stephan erst ein Mal begegnet und berichtete seinem Souverän, welcher der habsburgischen Erbfeindin die Provinz Schlesien entrissen hatte, offenbar nur das, was dieser gerne hören wollte. Den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation als eine bloße Drohne darzustellen, als einen sorglosen Bonvivant zu bezeichnen, mag in den Ohren des Flöte spielenden Machiavellisten auf dem preußischen Königsthron möglicherweise Wohlklänge erzeugt haben.

Ein wichtiger Berater#

Franz Stephan war allerdings kein Schwerenöter und schon gar kein Kostverächter. Aber ein träger Tunichtgut, der in den Tag hinein lebte und alle Regierungsarbeit seiner Gemahlin aufbürdete, war er keinesfalls. Besonders in den ersten schweren Herrscherjahren stand er seiner Maria Theresia mit Rat und Tat zur Seite. Er nahm an den Beratungen der Geheimen Konferenz teil, eines um die Person des Herrschers gebildeten Gremiums, das über Angelegenheiten von großer politischer Tragweite entschied; er entwickelte ein außenpolitisches Programm für die Habsburgermonarchie, in dem er für die Beibehaltung der Allianz mit den Seemächten (Großbritannien, Niederlande) plädierte, empfing ausländische Gesandte, hielt Konferenzen ab, gab Anweisungen, unterzeichnete Depeschen und bereinigte Konflikte. Das bestätigt auch der einflussreiche Mentor der Regentin, Graf Sylva-Tarouca, der bei Hof aus- und einging und über den Tagesablauf Franz Stephans bestens informiert war. Die machtbewusste Habsburgerin spielte jedoch den Einfluss ihres Gemahls auf ihre politischen Entscheidungen herunter und ließ zu diesem Zweck, wie die jüngste Biographin des Lothringers, die österreichische Historikerin Renate Zedinger, in ihrem kürzlich erschienenen, gewichtigen Werk feststellt, wahrscheinlich sogar wichtige Dokumente ihres Mitregenten aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs entfernen, um „der Nachwelt den Mythos der allein auf sich gestellten Herrscherin zu vermitteln“. Franz Stephan wurde also von seiner dominanten Ehegesponsin auf die Nebengeleise der Macht abgeschoben. Der gutmütige Kaiser, der stets die Contenance zu wahren versuchte, nahm dies anfangs nicht widerstandslos hin, fügte sich aber schließlich ins Unvermeidliche. Er zog sich, soweit das seine kaiserliche Stellung zuließ, mehr und mehr vom Hofleben zurück, mied Pomp und Luxus und schuf sich ein Privatimperium, in dem er seine immensen Fähigkeiten und Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Wirtschaft und des Finanzwesens zur Entfaltung brachte. Franz Stephan besaß einen ausgesprochen bürgerlichen Geschäftssinn, der über die Barockzeit hinaus in das Zeitalter des anbrechenden Frühkapitalismus wies. Während Maria Theresia das Geld mit beiden Händen beim Fenster hinauswarf, war Franz Stephan ein Sparmeister. Er wusste, wie man Kapital gewinnträchtig veranlagt. Er legte es in Ländereien, Häusern, Schmuck, Gold und fremden Valuten an und machte Wechsel- und Spekulationsgeschäfte mit den großen Bankhäusern in London, Paris, Venedig und Amsterdam. Bereits acht Jahre nach seiner Heirat mit der habsburgischen Kaisertochter hatte er ein so beträchtliches Vermögen angehäuft, dass er der finanzmaroden Monarchie beinahe eine Million Gulden (gegen entsprechende Pfänder) in Form von Dominikalgütern in Böhmen zur Verfügung stellen konnte. Solcherart wurde er zu einem der wichtigsten Gläubiger des Habsburgerreiches. Wie aber kam der ehemals lothringische Hungerleider zu solch einem gewaltigen Vermögen? Zum Teil durch seine Einkünfte als Generalgouverneur der Niederlande, einem Amt, das er zwar nie antrat, das aber mit beträchtlichen Einnahmen verbunden war. Zum Teil aufgrund verschiedener einträglicher Erbschaften und anderer Quellen. Der Kaiser war einer der größten Grundbesitzer der Donaumonarchie. Zu seinen zahlreichen Besitzungen gehörten die Herrschaften Holics (an der ungarisch-mährischen Grenze) und Sassin (im ungarischen Komitat Neutra), böhmische Kammergüter, Gut Enyed auf der Schüttinsel zwischen Donau und Raab, die ungarischen Besitzungen Bellye und Rackeve, und Schloss Hof (ab 1755), Eßling und Eckartsau (ab 1760), um nur einige zu nennen.

Mustergültige Arbeit#

Holics, eine dreiflügelige, neunzig Zimmer umfassende und mit sanitären Einrichtungen ausgestattete Schlossanlage, erwarb er 1749. Sie gehörte zu den Lieblingssitzen der kaiserlichen Familie. Sie war aber nicht nur Erholungsort, sondern auch ein durch gezielte Verbesserungsmaßnahmen in Schwung gebrachter, gut geführter landwirtschaftlicher Musterbetrieb, der beträchtlichen Gewinn abwarf, wie aus den erhalten gebliebenen, penibel geführten Geschäftsbüchern hervorgeht. In Holics ließ der geschäftstüchtige Lothringer auch eine Merino-Schafzucht führen, welche die in einem Nebengebäude der Klosteranlage Sassin eingerichtete Weberei und die Schwechater Baumwollfabrik mit Rohstoff versorgte. Dreißigtausend Menschen fanden dort Arbeit. Reichen Ertrag warf auch die in Holics gegründete Majolikafabrik ab. Verwaltungszentrum und Schaltzentrale des lothringischen Wirtschaftsimperiums war das unweit der Hofburg gelegene, ehemalige Palais Lamberg in der Wallnerstraße 3, das Franz Stephan 1740 erwarb und den Namen „Kaiserhaus“ erhielt. Von diesem Palais aus wurden unter anderem das Großherzogtum Toskana, das ihm 1737 nach dem Tod des letzten Medici zugefallen war, das Herzogtum Teschen und die Grafschaft Falkenstein in der heutigen Rheinpfalz verwaltet. Hier liefen alle Fäden der lothringischen Besitztümer zusammen. Franz Stephan stützte sich hiebei auf die außerordentlichen finanztechnischen Fähigkeiten und den unternehmerischen Spürsinn von Männern wie Karl Pfütschner und Franz Joseph Toussaint, denen er voll vertraute und mit denen er sich eng verbunden fühlte. Maria Theresia, die über das Vermögen und die Finanztransaktionen ihres Gemahls im Detail wohl nicht informiert war, betraute Franz Stephan nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges (1763) mit der Aufgabe, die zerrütteten Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Und dem Kaiser gelang es tatsächlich, die Währung zu stabilisieren. Das beträchtliche Privatvermögen aus Bargeld, Realitäten und Aktien, das der vielfache Millionär im Laufe der Zeit anhäufte, belief sich bei seinem Tod im Jahr 1765 auf rund 18 Millionen Gulden, die Franz Stephan seiner Gattin hinterließ. Maria Theresia und ihr Mitregent, der spätere Kaiser Joseph II., trennten den Nachlass in zwei Teile. Mit etwa 12 Millionen Gulden wurden die maroden Staatsfinanzen saniert. Mit dem restlichen Geld errichteten sie den sogenannten habsburgischen Familienversorgungsfonds, der „zur besseren Versorgung und standesgemäßigen Unterhalt“ der Mitglieder des Erzhauses verwendet werden sollte. Dieser Fonds, der 1739 ein neues Statut erhielt, wurde vom jeweiligen Familienoberhaupt verwaltet. Der von seinen Zeitgenossen und lange Zeit auch von der historischen Forschung gering geschätzte Kaiser hatte ausgeprägte naturwissenschaftliche Interessen und war eine umsichtige Sammlernatur. Franz Stephan, der mit den Ideen der Freimaurer sympathisierte, kaufte die etwa 30.000 Objekte umfassende Naturaliensammlung des Chevalier Jean Baillou, die von Florenz auf Maultieren nach Innsbruck und von dort auf dem Wasserweg nach Wien transportiert wurde. Mit seinem Hof-Naturalienkabinett legte der Kaiser den Grundstein für das Naturhistorische Museum. Eine andere von ihm begründete Sammlung war das Münz- und Medaillenkabinett, das bei seinem Tod etwa 50.000 Einzelstücke zählte. Schloss Schönbrunn verdankt Franz Stephan die Anlage der Menagerie und des Botanischen Gartens, für deren Bestückung mit Tieren und Pflanzen er die finanziellen Mittel zur Verfügung stellte. Mit seinem großzügigen Mäzenatentum hat der Gemahl Maria Theresias in Wien viele Spuren hinterlassen. Der ein wenig behäbige Herzogssohn aus Lothringen, den man in Wien lange Zeit als Fremdling betrachtete, besaß große Menschenkenntnis und hatte eine geschickte Hand bei der Auswahl seiner Mitarbeiter. Er führte ein beinahe bürgerliches Familienleben und hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Kindern. Seine Ehe war – gemessen an den Usancen des 18. Jahrhunderts – etwa im Vergleich zum französischen Königshof vorbildlich. Obwohl ihn Maria Theresia in politischer Hinsicht regelrecht beherrschte, war sie ihm als Gattin völlig ergeben. „Ihr wisst“, schrieb sie einmal einer ihrer Töchter, „dass wir uns unseren Ehemännern unterzuordnen haben“. Daran hielt sie sich auch selbst. Sie liebte ihren „Franzl“ aus ganzem Herzen, auch wenn er ihr dann und wann Gelegenheit zur Eifersucht gab. Als Franz Stephan am 18. August 1765 in Innsbruck, wo sich der Hof aufhielt, plötzlich starb, stürzte für Maria Theresia, die damals 48 Jahre alt war, eine Welt ein. Ihr Schmerz war groß, ihre Trauer tief.

Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher.

Literatur#

Renate Zedinger: Franz Stephan von Lohringen (1708–1765) – Mensch Manager Mäzen.

Böhlau Verlag, Wien 2008, 375 Seiten, 29,90 Euro.

Wiener Zeitung, Samstag, 6. Dezember 2008