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Die Zensur im Nacken#

Wie die Medien im Ersten Weltkrieg vereinnahmt wurden, zeigt erstmals eine Ausstellung im Palais Porcia in Wien.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Mittwoch, 4. Juni 2014)

Von

Ina Weber


Roda Roda bei Schießübungen.
Roda Roda bei Schießübungen.
© Staatsarchiv

Wien. Der erste Knall lässt die Besucher noch zusammenfahren, beim zweiten realisiert man die Absicht. Der Innenhof des Palais Porcia in der Herrengasse besitzt zurzeit nicht nur einen echten Schützengraben und einen Soldatenfriedhof, auch die Geräuschkulisse soll an jenen Krieg erinnern, der laut Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, so viele Opfer wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte gefordert hat - der Erste Weltkrieg.

"Soldat, Soldat", singt die Chorvereinigung "Gegenstimmen" ein Lied von Wolf Biermann, als die Ausstellung "Extraausgabee! Die Medien und der Krieg 1914 bis 1918" am Montagabend eröffnet wird. Noch nie publizierte Dokumente, ein im zweiten Innenhof aufgebautes Feldkino und die Namen und Kurzbiografien von gefallenen Soldaten, über die man noch zu Beginn des Krieges Buch führte, sind Besonderheiten dieser Ausstellung. Im Mittelpunkt steht das sogenannte Kriegspressequartier (KPQ) der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, welches zu Kriegsbeginn gegründet und am 15. Dezember 1918 wieder aufgelöst wurde.

Kriegsberichterstattung durch Pazifisten#

Stefan Zweig in Uniform.
Stefan Zweig in Uniform.
© Staatsarchiv

"Das Kriegspressequartier versammelte die großen Intellektuellen der Zeit", sagt Maderthaner. Ein kurioser Umstand, der zugleich die Ambivalenz offenbart, von der die Medien-Maschinerie zumindest noch im Ersten Weltkrieg geprägt war. Denn die Schriftsteller Franz Werfel, Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig oder der Maler Oskar Kokoschka und viele namhafte Fotografen und Filmemacher mussten über den Krieg berichten, ihn in Szene setzen. Sie mussten Kriegspropaganda machen, waren gleichzeitig aber auch Pazifisten. So deuten zahlreiche Dokumente und Zitate auf die Zerrissenheit der Medien hin. Diese wurden zwar zensuriert, allerdings erschienen diese Stellen in den Zeitungen als "weiße Flecken" - somit konnte man die Zensur noch nachvollziehen. "Denn oft knirscht es 1914 bis 1918 noch, gibt es Störungen und entwickeln die Botschaften ein Eigenleben, dass sich gegen den Strich lesen und ansehen lässt. Bei aller Wirkung, die Propaganda und kriegerische Medienpolitik erzielen können, funktioniert es niemals 1:1 so, wie Organisationen und Führungsebenen dies gerne darstellen", ist im Ausstellungskatalog zu lesen. Chefredakteur der "Arbeiter-Zeitung", Friedrich Austerlitz schrieb Artikel im Blatt, "die zu weißen Flecken führen mussten".

Die anfängliche Kriegseuphorie ließ Künstler aus allen Bereichen zum Kriegspressequartier kommen. Bis zum Jahr 1918 waren die Mitarbeiter auf 890 angewachsen. Für viele war es auch ein Ausweg, dem Kriegsdienst zu entkommen. Doch die Zusammenarbeit von Politik und Medien war noch nicht geschult oder perfektioniert wie im Zweiten Weltkrieg. So entstanden viele Aufnahmen und Texte, die jenseits von Propaganda die Realität einfingen, die in der Ausstellung zu sehen sind. "Das Wort hatte damals noch Gewalt (. . .) Das moralische Weltgewissen war noch nicht so übermüdet und ausgelaugt wie heute", schrieb Stefan Zweig 1941, kurz vor seinem Freitod im Exil in Brasilien, in "Die Welt von Gestern".

Die Inszenierung lief dennoch auf Hochtouren. "Wien im Krieg", pries ein Plakat die Kriegskomödie im Jahr 1916 an, der Besuch der Kriegsausstellung im Wiener Prater mit Schützengraben gehörte für viele zur Unterhaltung in der Freizeit dazu. "So wie man dem Firmling eine Uhr schenkte, ging man mit ihm auch in den Schützengraben", steht dort auf einem Schild zu lesen.

Die Kriegsberichterstatter wurden stets überwacht
Die Kriegsberichterstatter, wie Filmemacher oder Schriftsteller, wurden stets überwacht.
© Staatsarchiv

"Tausende Arbeitsstunden" bis zur Schau#

"Tausende Arbeitsstunden stecken in dieser Ausstellung", sagt Manfred Matzka, Präsidialchef des Bundeskanzleramtes, zu Beginn. "Sie würden nicht glauben, was Beamte für Ideen haben", fügt er hinzu. Ein Raum widmet sich der Malerei: Etwa "Die Kirche Selo während der Beschießung" aus dem Jahr 1916 von Maler Oskar Kokoschka hängt dort. Kanonenschüsse, Stimmen, Maschinengeratter ist in einem anderen Raum zu hören. Interessante Fotografien, wie Publizist Alexander Roda Roda bei der Schießübung oder Schriftsteller Stefan Zweig in Uniform werden in der Schau präsentiert.

Stimmengewirr über Lautsprecher, gekreuzte Holzstäbe, ein dunkler Raum. Die Bühnenbildnerin Stefanie Muther hat die Bild- und Toninstallation "Letzte Landschaft" für die Schau "Extraausgabee!" entworfen. Zu hören sind verschiedene Tonaufnahmen des Werks "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus. Muther will die Masse an Zeitstimmen einfangen. "Es ist die absurde Situation des Krieges, wenn die Menschen nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen", so die Bühnenbildnerin zur "Wiener Zeitung".

Die "Wiener Zeitung" hat vor 100 Jahren, am 28. Juli 1914, die Kriegserklärung an Serbien verlautbart. Die anderen Zeitungen folgten mit ihren Extraausgaben noch am selben Tag: "Nun ist Krieg!" "Es geht nicht nur um eine Rückschau, es geht darum, die richtigen Lehren daraus zu ziehen", sagt Verteidigungsminister Gerald Klug im Rahmen der Eröffnung. Dieser wurde von Präsidialchef Matzka sogleich in Friedensminister umbenannt. 100 Jahre lang sei der Erste Weltkrieg kaum thematisiert worden, sagt Staatsarchiv-Direktor Maderthaner, der Zweite Weltkrieg stand im Zentrum. Die Ausstellung zieht einen in diese Zeit hinein, und das nicht nur mit einem lauten Knall.

--> Informationen zur Ausstellung

Wiener Zeitung, Mittwoch, 4. Juni 2014