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Pinzgau unterm Hakenkreuz#

Die Salzburger Region war früh von der "Hitlerbewegung" vereinnahmt. Hier eine Chronik der letzten Kriegstage 1945, als eine Reihe von NS-Größen versuchte, dort ihre Raubgüter in Sicherheit zu bringen.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Samstag/Sonntag, 3./4. August 2013)

Von

Rudolf Leo


Ansichtskarte aus 1938 von Zell am See
Dokumente im Bezirksarchiv in Zell am See zeigen, wie die letzten Kriegsstunden in den Bergen Salzburgs verlaufen sind. Hier eine Ansichtskarte aus 1938.
Foto: © Pinzgauer Bezirksarchiv

Am Montag, den 30. April 1945, um 15.30 Uhr, begeht Adolf Hitler in Berlin Selbstmord. Die letzten Tage verlaufen, wie im ganzen Reich, auch im Salzburger Pinzgau turbulent und chaotisch. Einige unverbesserliche NS-Fanatiker wollen sich nicht geschlagen geben; notdürftig errichtete Straßensperren aus Bäumen sollen die anrollenden amerikanischen Panzer aufhalten; Widerstandsgruppen verhindern Kriegshandlungen in den Gemeinden.

Dokumente im Bezirksarchiv in Zell am See zeigen, wie die letzten Stunden in den Bergen Salzburgs verlaufen sind. Prominente NS-Größen wie Hermann Göring, Baldur von Schirach, Heinrich Himmler, Generalfeldmarschall Albert Kesselring und andere SS-Funktionäre sind in diesen Tagen in der Gegend, um ihre Raubgüter in Sicherheit zu bringen. Der US-Soldat Charles A. Lindbergh, er ist in den ersten Maitagen in Zell am See, schreibt in seinem Kriegstagebuch: "Nun, die höchsten Dienstränge der deutschen Armee sind in der Gegend, mehr Generäle, als Sie je an einem Ort gesehen haben."

Die führenden Köpfe des NS-Systems setzen sich bereits Wochen vor dem bevorstehenden Ende ab. Im April 1945 nutzt Hermann Göring die letzte Chance, um das nahezu eingeschlossene Berlin zu verlassen. Die Lage in der Reichshauptstadt ist hoffnungslos. Göring verabschiedet sich mit seinen Kunstschätzen im Wert von 200 Millionen Reichsmark in den Süden. Ein Sonderzug transportiert rund 1000 Gemälde, 80 Skulpturen und 60 Gobelins nach Berchtesgaden. Dort werden sie in einem Stollen auf dem Untersalzberg versteckt. Am Obersalzberg wartet er die kommenden Tage ab. In Berlin laufen die letzten Intrigen. Die Generäle rund um Hitler wollen mit Göring abrechnen. Die SS stellt den Reichsmarschall unter Arrest. Am 25. April 1945 wird der Obersalzberg mit einem Bombenteppich überzogen. Im Chaos der folgenden Stunden wird Göring auf sein Schloss in Mauterndorf gebracht. Dort verbrachte er seine Kindheit, dort trifft er nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich seine Familie. Göring wird im März 1938 zum Ehrenbürger von Mauterndorf ernannt. Aus der Begründung der Stadtväter:

Göring verbringt die letzten Kriegstage mit seiner Familie auf Schloss Mauterndorf. Am 8. Mai 1945 gegen Mittag bricht er zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter in einem Konvoi aus sieben Fahrzeugen in Richtung Altenmarkt auf. Laut Unterlagen des Pinzgauer Bezirksarchivs wird Göring am Ortsende von Altenmarkt, unterhalb des Hirschberghofes, festgenommen. Zwei Zeitzeugen, Sepp Scharfetter sowie der Adjutant Görings, Karl-Heinrich Bodenschatz, schildern die Festnahme des Reichsmarschalls. Die Passstraße ist durch SS-Einheiten verstopft. Eine Straßensperre der US-Armee stoppt Görings Konvoi:

Reichsmarschall Hermann Göring
Reichsmarschall Hermann Göring bei einem Auftritt in Kaprun im Jahr 1938.Foto: © Pinzgauer Bezirksarchiv

". . . Es ist 20.10 Uhr. Der [amerikanischen] Limousine entsteigen ein General und Major Müller. Der Reichsmarschall steigt aus, geht auf den General zu, und es ergibt sich eine Begrüßung, wie sie formvollendeter bei einer Gefangennahme wohl nicht vor sich gehen könnte . . ."

Hitlers Stellvertreter versucht offensichtlich immer noch, mit den US-Generälen zu verhandeln. Vergebens: US-General Robert Stack bringt Göring, seine Frau und Tochter Edda in einem gepanzerten Automobil der Marke Maybach in die ehemalige Reitschule der SS auf Schloss Fischhorn. Göring verbringt dort eine Nacht, bevor er über Kitzbühel nach Nürnberg überstellt wird.

Himmlers Flucht#

Noch in den letzten Apriltagen des Jahres 1945 treffen rund 4000 deutsche Soldaten aus den unterschiedlichsten Einheiten im Raum Lofer ein, um die Gegend gegen die von Norden anrückenden Amerikaner zu schützen. Dieser letzte Versuch scheitert, nachdem die amerikanischen Truppen von Westen vorrücken. Der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, schlägt mit seinem Stab in Eschenau (Gebiet um Lend) sein Hauptquartier auf. Bei Luftangriffen flüchtet er mit einem Sonderzug in den naheliegenden Tunnel. Der Zug wird schließlich auf einem Abstellgleis in Saalfelden gefunden. Heinrich Himmler schlägt sich mit einem gefälschten Soldbuch unter dem Namen "Heinrich Hitzinger" durch. Als er von britischen Soldaten Mitte Mai 1945 festgenommen wird, begeht er durch einen Biss auf eine Giftkapsel Selbstmord.

Die Nachricht vom Tod Hitlers erreicht Salzburg erst am 2. Mai 1945. Gauleiter Gustav-Adolf Scheel ordnet an, dass alle Dienststellen auf jeden Fall in Salzburg bleiben müssen. "Ich selbst werde mich als Gauleiter dort aufhalten, wo gekämpft wird und wo ich weisungsgemäß meinen Pflichten als Gauleiter nachkommen kann."

Scheel zieht sich in die vermeintlich sicheren Berge hinter den Pass Lueg bei Werfen zurück. Einige NS-Funktionäre hoffen noch auf eine Wende im Krieg. Sie glauben, in den Bergen abwarten zu können, bis die USA und die Sowjetunion einander den Krieg erklären.

SS-Hauptsturmführer Hans-Otto Mayer kommt in den letzten Apriltagen aus Deutschland nach Fischhorn. Bei seiner Einvernahme am 12. Dezember 1945 im Lager bei Nürnberg schildert Mayer die letzten Pläne der NS-Führung im Bezirk Zell am See: ". . . Ich war eigentlich versetzt zur 31. Division, die im Osten kämpfte. Ich habe aber durch den Hauptsturmführer Anton Vandieken den Standartenführer Fegelein [Standartenführer der Waffen-SS Waldemar Fegelein ist der jüngere Bruder von Hermann Fegelein. Dieser ist Kommandeur von SS-Reiterverbänden und maßgeblich an "Säuberungsaktionen" beteiligt, die Tausende Zivilisten das Leben kosten, Anm.] gebeten, dass ich nicht mehr zur 31. Division fahren brauchte. Ich hielt das für zwecklos, denn ich wäre ja sowieso nicht mehr durchgekommen, da die Front immer näher kam. Ich wurde Adjutant der Kampfgruppe, die unter Führung von Standartenführer Fegelein aufgestellt wurde. Die Kampfgruppe bestand aus 500-600 Mann, zum Teil versprengten SS-Leuten und den Angehörigen des SS-Remonteamtes Fischhorn. Die Kampfgruppe sollte die Aufgabe haben, die Alpenpässe zu sperren. Inzwischen kam aber die Kapitulation und es wurde nicht mehr gekämpft. Meine Aufgabe war, mit dem Auto zu den einzelnen Gruppen, die an den Pässen standen, zu fahren, Munition zu beschaffen . . ."

Stunden nach dem Selbstmord Adolf Hitlers versammeln sich SS-Größen im Jagdhaus in Ka-prun, das zu Schloss Fischhorn gehört. Gauleiter Scheel zieht sich am 3. Mai nach Goldegg zurück, wo eine SS-Einheit aus Deutschland lagert. Er wird am 14. Mai 1945 von den Amerikanern in St. Veit verhaftet. Der Historiker Ernst Hanisch beschreibt die Situation in den Salzburger Bergen so:

". . . Dann strömte auch die politische Prominenz in den Gau. Da war die ungarische faschistische Regierung Szálasi mit dem Kronschatz, die in Mattsee Quartier bezog. Die heilige Stephanskrone entdeckten die Amerikaner erst im Sommer 1945. Da war das Berliner diplomatische Korps, das in Gastein Zuflucht suchte. Da waren zahlreiche Wehrmachtsstäbe und zu allem bereite SS-Einheiten, die in den Gebirgstälern ziellos herumfuhren und flüchtende deutsche Soldaten erschossen. Da war die NS Prominenz wie Julius Streicher, Robert Ley, Franz von Epp, Walter Funk, Wilhelm Frick. Auch Himmler fuhr im Frühjahr 1945 mit seinem Sonderzug in Salzburg umher . . ."

An den "Extrazug" von Heinrich Himmler kann sich auch SS-Sturmführer Wilhelm Senne, nach kurzem Nachdenken, bei seiner Einvernahme durch die Amerikaner am 21. Dezember 1945 im Lager Moosbach bei München erinnern. Der SS-Obersturmführer war im Frühjahr 1945 in Fischhorn. Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll:

". . . Wenn Sie mich nach Sachen von Himmler fragen, so kann ich mich nicht erinnern, davon etwas gehört zu haben.

Doch, jetzt fällt mir etwas ein: Etwa am 20. oder 22. April 1945 kam der Obergruppenführer Knobloch nach Fischhorn. Zur gleichen Zeit war die Sekretärin von Himmler - den Namen weiss ich nicht, es war eine ältere große Dame - auch in Fischhorn. Obergruppenführer Knobloch hat mit ihr gesprochen. In der Gegend von Zell am See soll ja ein Extrazug von Himmler gestanden habe (sic!). Ich habe von diesen Dingen nur gesprächsweise gehört. Ich glaube Haufler hat mir erzählt, dass diese Dame die Sekretärin von Himmler sei und dass von Himmler Sachen in Fischhorn lagen. Etwas Näheres darüber kann ich nicht angeben, ich habe weiter nichts davon gehört oder gesehen. (. . .)"

In den letzten Kriegstagen schicken die Nationalsozialisten 24 Waggons mit Raubgold ungarischer Juden in einem "Goldzug" Richtung Westen. Die wahrscheinliche Route führt über Linz, Salzburg, Hallein, Bischofshofen, Zell am See und Saalfelden nach St. Johann in Tirol. Die Saalfeldener Journalistin Sabine Stehrer verfolgt die Stationen des Sonderzuges: "Die Volksdeutsche Mittelstelle des SS-Sonderkommandos Süd gibt dem Goldzug als Ziel "Salzkammergut - Hallein" vor. Die Gegend ist Teil der "Alpenfestung", die das NS-Regime den Alliierten zur Abschreckung als "uneinnehmbares Bollwerk" darstellt. . . " In den einzelnen Stationen des Zuges kommt es im Chaos der letzten Tage zu einem "regelrechten Flohmarktbetrieb". Zahlreiche Raubgüter werden von Einheimischen, SS-Männern, Wehrmachtsoldaten und später auch von US-Soldaten zum Handel für Lebensmittel oder zur Bestechung verwendet. Viele der wertvollen Gegenstände bleiben für immer verschwunden.

Gefechte in Hinterthal#

Über konkrete Pläne für den letzten Widerstand der Nationalsozialisten gegen die anrückenden amerikanischen Truppen berichtet der Zeitzeuge Erich Schandlbauer aus Zell am See. So seien beispielsweise Sprengladungen im Bereich des Kraftwerkes Kaprun vorbereitet gewesen. Auch im Bereich der Eisenbahn und der Straße waren die Schächte für bevorstehende Sprengungen bereits fertig. Teile der Gendarmerie und der Geheimen Staatspolizei haben zu dieser Zeit bereits heimlich die Seite gewechselt.

Zu den letzten schweren Kampfhandlungen zwischen deutschen Soldaten und alliierten Truppen im Raum Pinzgau kommt es am 5. Mai 1945 in Hinterthal. Die Gefechte dauern vier Tage und fordern auf beiden Seiten zahlreiche Opfer. SS-Angehörige und Mitglieder der Hitler-Jugend haben den völlig sinnlosen Auftrag, die amerikanischen Truppen aus dem Hinterhalt anzugreifen.

Am Dienstag, den 8. Mai 1945, übernehmen amerikanische Truppen der Luftlandeeinheit der 101. Division die Bezirkshauptstadt Zell am See. Zur selben Zeit gelangen Truppen der 36. Infanteriedivision aus Tirol über den Pass Thurn über Mittersill in den Pinzgau. Die Bevölkerung leistet keinen Widerstand. Die Lage im Pinzgau ist verworren: Amerikanische Soldaten, Kriegsgefangene, versprengte deutsche Soldaten, letzte Angehörige der Waffen-SS, Verwundete und Flüchtlinge prägen das Bild. Am 28. Mai 1945 verdoppelt sich die Anzahl der Bevölkerung in Zell am See von 4785 auf rund 9000.

Die Tage der Anarchie fordern auch im Raum Zell am See noch letzte Opfer: In Lofer werden zwei deutsche Soldaten am 7. Mai 1945 wegen "Fahnenflucht" erschossen, dies obwohl die SS zur selben Zeit selbst "fahnenflüchtig" ist. Am 27. Mai 1945 wird der SS-Offizier Eduard Altacher, Kommandant der Kaserne Saalfelden, getötet. Altacher missachtet die Ausgangssperre der US-Armee und wird von Zwangsarbeitern und US-Soldaten misshandelt und ermordet.

Von Webern als Opfer#

Eines der letzten Opfer im Pinzgau, aufgrund eines tragischen Irrtums eines US-Soldaten der 168. US-Nachrichtenabteilung, ist Anton von Webern. Der österreichische Komponist und Schüler von Arnold Schönberg hält sich in diesen Tagen in Mittersill auf, um vor der russischen Armee im Osten in Sicherheit zu sein. Am 15. September 1945 wird er von den Amerikanern im Zuge ihrer Suche nach einem Schwarzhändler irrtümlich erschossen.

Noch im Mai 1945 werden überall im Pinzgau Gefangenenlager für deutsche Soldaten und NS-Funktionäre eingerichtet. Für die große Zahl an ehemaligen Nationalsozialisten sind die Hafträume zu klein; in Zell am See muss kurzfristig sogar das Feuerwehrhaus als Behelfsgefängnis dienen. Im Lager in Mittersill werden rund 3000 deutsche Soldaten angehalten.

Zeitzeuge Charles A. Lindbergh, er kam mit den US-Soldaten nach Zell am See, schreibt seine Eindrücke bei der Ankunft der amerikanischen Armee in sein Tagebuch, das im Pinzgauer Bezirksarchiv zu finden ist:

"Als wir uns Zell am See am 18. Mai näherten, waren wir in einem Gebiet, wo noch die deutsche Armee das Kommando hatte. Offiziere und Soldaten waren noch bewaffnet und lenkten den geringen Verkehr auf der Straße. Gruppen von Soldaten starrten uns an, als wir vorbeifuhren, machten aber keine Geste. Ich konnte weder Freundschaft, noch Feindschaft erkennen. Wenn wir nach der Richtung fragten, antworteten sie immer höflich. Wir fuhren in einem amerikanischen Jeep durch Divisionen der deutschen Wehrmacht, als ob es keinen Krieg gebe. (. . .)"

Am 6. Juni 1945 erscheint die erste Auflage der "Pinzgauer Nachrichten" nach dem Ende des NS-Systems. Die Überschrift dieser ersten Nummer lautet:

"Wir grüßen Amerika, dessen Söhne unser Land Salzburg befreit und nunmehr seit Wochen auf unseren Bergen Wache bezogen haben."


Rudolf Leo, geboren 1962 in Bramberg (Pinzgau), promovierter Historiker, war Mitarbeiter der Grünen in verschiedenen Funktionen und Landesregierungen, und zuletzt war er Mitarbeiter der Wiener Wilhelminenberg-Kommission.

Buchcover: 'Der Pinzgau unterm Hakenkreuz'
Buchcover: "Der Pinzgau unterm Hakenkreuz"

Information#

Der Text ist ein Vorabdruck aus dem Buch, das dieser Tage im Otto Müller Verlag erscheint (200 Seiten, 18 Euro). Es zeigt, wie früh die "Hitlerbewegung" im Pinzgau Erfolge verzeichnen konnte. Darüber hinaus widmet es sich in besonderem Maße den Opfern des Widerstands und setzt sich mit dem politischen Alltag in der Salzburger Region auseinander.

"Hermann Göring war viele Jahre ein aufrichtiger Freund Mauterndorfs. Er hat der Marktgemeinde beim Bau der Hochwasserleitung durch die Beschaffung der notwendigen Rohre große Dienste erwiesen, wofür ihm am 15. März 1938 mit der Ernennung zum Ehrenbürger gedankt wurde." Göring bleibt dies, nach Auskunft der Gemeinde Mauterndorf - neben elf anderen Ehrenbürgern Mauterndorfs -, bis heute. Diese Ehrenbürgerschaft erregt immer wieder die Gemüter.

Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 3./4. August 2013