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Prophetische Angst#

Harmlos, naiv, voll des guten Willens: So hat sich das Bild Bertha von Suttners überliefert, die acht Tage vor dem Attentat von Sarajevo starb. Dabei war die Autorin eine aktive Friedenskämpferin und realistische Zeitgenossin.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 26./27. April 2014)

Von

Evelyne Polt-Heinzl


Bertha von Suttner, hier im Jahr 1912
Erhielt 1905 den Friedensnobelpreis: Bertha von Suttner, hier im Jahr 1912.
© akg-images/picturedesk.com

Strotzende Volkskraft und Wehrkraft und Streitkraft . . . Gewohnt, immer nur mit Abstraktionen herumzuwerfen", neigt der pathetische Zeitgenosse "zum Chauvinismus. Ebenso zum Klassizismus. Im Hellenentum schwelgt er", und alles, was die Endsilbe "tum" führt, "ist ihm überhaupt sympathisch".

So heißt es im eingefügten Manifest gegen die "Phrasencharlatane" in Bertha von Suttners 1893 erschienenem Roman "Die Tiefinnersten", der den Kampf gegen die großen Phrasen zum Programm erhebt, denn Worte sind "gefährliche Behälter, die da alle Begriffe, die man zufällig einmal in ihre Form gethan, wie einen Sprengstoff komprimieren, um dann, wo sie als Urteile hinfallen, als sinnverheerende Granaten zu platzen". Die Granaten mussten dann erst in der Realität platzen, bis Rudolf Jeremias Kreutz 1917 seinen Roman "Die große Phrase" schrieb und wenig später Karl Kraus "Die letzten Tage der Menschheit" als Kampf gegen die große Phrase ausrief.

Überparteilicher Verein#

Suttner musste das nicht mehr erleben, sie starb am 21. Juni 1914 in Wien, "acht Tage vor dem Attentat von Sarajevo. Einen Monat später schien schon ihr Lebensgedanke . . . ihr nachgestorben".

So formulierte es Stefan Zweig 1917, mitten im Krieg, in seiner Eröffnungsrede beim Internationalen Kongress für Völkerverständigung in Bern. Bei diesem Anlass wollte er der Friedenskämpferin Bertha von Suttner ein Denkmal setzen, was er mit folgenden Worten tat: "Ich muß mich selbst zu den allzu vielen zählen, die sie nicht genug verehrten . . . Und wie leicht wäre es gewesen . . . Sie lebte nah, mitten in unserer Welt in Wien, sie war zugänglich, ja werbend . . . das Mildgeistige ihres Wesens . . . war hinreißend . . . wirkend glühte sie in der Leidenschaft ihrer prophetischen Angst." Ins Unreine übersetzt bedeutet das: geistig eher minderbemittelt, zudringlich, sekkant und naiv, aber harmlos und voll des guten Willens.

Genau so hat sich das Bild Suttners überliefert, auch weil sie keine "stärkeren" Formen für ihre Friedensarbeit fand als den überparteilichen Verein, wie ihr Carl von Ossietzky vorwarf. Da musste sie tatsächlich passen, allerdings nicht wegen ihrer "Weiberseele", sondern wegen der Gesetzeslage. Frauen hatten weder das aktive noch das passive Wahlrecht, ihnen war auch eine Mitgliedschaft in politischen Parteien verboten. Der überparteiliche Verein war die einzig mögliche Organisationsform, mit der Frauen sich öffentlich, wiewohl ohne Portefeuille, in gesellschaftliche Prozesse einschalten konnten.

Als Suttner 1890/91 in Venedig die Gründung der österreichischen Friedensbewegung vorbereitete, tagte dort gerade die "Interparlamentarische Union" IPU. Suttner traf sich privat mit Abgeordneten - mitarbeiten konnte sie in der IPU jedoch nicht, und ihre Friedensbewegung pflegten die Herren kollektiv zu ignorieren. In ihrem Roman "Vor dem Gewitter" (1894) drückt das einer von ihnen so aus: "Ich bin ja Friedensfreund, gehöre der Interparlamentarischen Union an, aber es verträgt sich nicht mit der Würde eines Politikers, einem Verein beizutreten, bei welchem . . . eine Frau . . . Pardon, Fräulein, ich schätze ja die Frauen sehr hoch."

Geboren wurde Bertha von Suttner am 9. Juni 1843 in Prag als Gräfin Kinsky. Der Vater, er stirbt noch vor ihrer Geburt, war von ehrwürdigem Adel, die 46 Jahre jüngere Mutter eine "von Körner" und damit fern jeder Hoffähigkeit. Bertha wächst in einem reichlich skurrilen Haushalt auf. Mutter und Tante tüfteln über Jahre am finalen System für den Roulette-Tisch. Die Sommeraufenthalte in Wiesbaden, Bad Homburg und Baden-Baden enden regelmäßig in finanziellen Desastern. Trotzdem versuchte die Mutter, Bertha "bei Hofe" einzuführen, was radikal scheitert und als nie verheilte Wunde zurückblieb. Es folgen einige missglückte Heiratsprojekte - darunter ein Heiratsschwindler -, die große Liebe nicht.

1873 scheinen alle Chancen auf angemessene Verehelichung ausgereizt und Suttner ergreift die einzig mögliche Berufsoption als Gouvernante bei der Familie Suttner auf Gut Harmannsdorf. Baron Suttner hatte im selben Jahr beim Börsenkrach "empfindliche Verluste erlitten . . . Das hat man erst später erfahren". So dezent umschreibt sie in ihren Memoiren die Tatsache, dass sie später immer wieder für die zerrütteten finanziellen Verhältnisse der Familie einstehen wird müssen.

Zunächst ist sie drei Jahre im Hause Suttner, bis ihre Affäre mit dem sieben Jahre jüngeren Sohn des Hauses, Arthur Gundaccar, auffliegt. Auf eine Annonce hin flieht Bertha nach Paris, als Privatsekretärin von Alfred Nobel. Doch es wird nur ein kurzer Aufenthalt, Arthur ruft und sie kehrt nach Wien zurück. Heimlich wird geheiratet, und damit beginnt die zweite Flucht vor der Familie. Suttner wird es nie aussprechen und mit der Idealisierung ihrer Ehe jeden Verdacht in diese Richtung von sich weisen, doch war es eine strategisch falsche Entscheidung.

Fortsetzungsromane#

In ihren Jugendjahren am Rande der großen Gesellschaft hatte sich Bertha mit einer Fürstin von Mingrelien (heute Georgien) befreundet, und dorthin geht die Reise, aus der eine zehnjährige Verbannung wird. Die Lebensbedingungen vor Ort sind fürchterlich, dazu kommt der Russisch-Türkische Krieg 1877/78, der freilich für Suttners politische Entwicklung von großer zentraler Bedeutung ist. In dieser Zeit beginnt sie Feuilletons zu schreiben, unter Pseudonymen zunächst, etwa "B. Oulot", nach dem Spitznamen "Boulotte", Dickerchen, "der mir im Suttnerschen Hause beigelegt worden war".

Vieles von der Unterhaltungsware, die Suttner im Lauf der Zeit für Romanzeitschriften und Familienblätter verfasste, war vor allem Brotarbeit. Sie ist dabei auf der Höhe der Zeit und bedient sich der Dienste von "Dr. Otto Loewenstein’s Institut für Vermittlung literarischer Geschäfte", der ersten Agentur im deutschen Raum. "Hanna", ihr Debüt als Autorin von Fortsetzungsromanen, erschien in der "Gartenlaube", ab 1883 war die "Neue Illustrirte Zeitung" die treueste Abnehmerin ihrer Romane. Die damaligen Produktionsbedingungen von Literatur und die ersten Organisationsversuche von AutorInnen thematisiert sie 1888 in ihrem "Schriftstellerroman".

Im Jahr darauf erscheint ihr Bestseller "Die Waffen nieder!" - nach langer Verlagssuche, denn vor dem Thema Antimilitarismus waren viele zurückgeschreckt. Ihr Verleger Edgar Pierson wollte das Manuskript einem Politiker zur Durchsicht geben, um anstößige Stellen zu streichen, was Suttner zurückwies. Pierson brachte das Buch dann doch heraus, was sich für ihn durchaus rentierte. Als Zeitdokument ist der Roman auch heute noch bemerkenswert. Gräfin Martha Althaus entwickelt sich trotz ihres militaristischen Herkunftsmilieus allmählich zur Pazifistin. In ihrem zweiten Ehemann findet sie einen Gleichgesinnten; im schwächeren Folgeband "Marthas Kinder" (1902) setzt Sohn Rudolf den Kampf für die Ziele seiner Mutter fort.

"Die Waffen nieder!" mag sprachlich mitunter eine gewisse Nähe zur Gartenlaube-Literatur haben, doch der Roman enthält starke Passagen, etwa Marthas Schilderung von der Front, wo sie als Sanitäterin kläglich scheitert. Ihre Wandlung von der wenig reflektierten Generalstochter zur aktiven Kämpferin für den Frieden vollzieht sich nicht bruchlos und impliziert zwangsweise Fragen der gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten für Frauen. Ein Streitgespräch Marthas mit dem Vater, der seinen Enkel mit Kriegsspielzeug versorgt, provozierte 1889 wohl nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen des selbstbewussten Widerspruchs der jungen Frau.

Dass Martha mit ihrem Vater eine Figur aus dem Zentrum des militärischen Lagers gegenübersteht, ermöglicht es Suttner, durchaus elaborierte Debatten zum Thema Pazifismus einzuflechten; zentral ist dabei auch hier der Kampf gegen die Phrase - der Generäle, der Zeitungen und auch der Ehefrauen im Mi- lieu der Militärs.

Groß war die Zahl der Zustimmungen - besonders stolz war Suttner auf ein Lob Tolstois -, auch wenn höhnische Kommentare nicht ausblieben, sogar Rilke meldete sich mit einem Aufruf an die "edlen Männer aller Zeiten" ziemlich unrühmlich zu Wort. Die Debatten kurbelten auch die Karikaturenproduktion zur "Friedensbertha" an. Suttner wusste den Effekt richtig einzuschätzen: "Das gefährlichste Stadium - das Totschweigestadium - hat die Friedensbewegung schon hinter sich."

Tatsächlich wird das Buch zu einer Art Manifest der 1891 gegründeten Österreichischen Friedensgesellschaft, und beim dritten Friedenskongress in Rom im selben Jahr hat Suttner ihren ersten internationalen Auftritt.

Später Nobelpreis#

1889 veröffentlichte Suttner auch das aus utopischer Perspektive geschriebene Buch "Das Maschinenzeitalter" unter dem Pseudonym "Jemand". Die Zeitgenossen vermuteten dahinter verschiedene Universitätsprofessoren, am häufigsten aber Max Nordau, und rühmten es als "wissenschaftliche Tat", sein Autor sei einer der "kühnsten, geistreichsten und überlegensten Vorwärtsdenker" der Zeit. Kein einziger Rezensent, so Suttner, kam "nur auf die Idee, dass Jemand dem schwachsinnigen Geschlechte angehören könnte".

Ab 1892 kommentierte sie das politische Zeitgeschehen regelmäßig in der von ihr und Alfred Hermann Fried herausgegebenen Zeitschrift "Die Waffen nieder! Monatsschrift zur Förderung der Friedensbewegung", und sie reiste unermüdlich als Rednerin durch die Länder - inklusive zweier Amerika-Tourneen. Der "sieghafte Optimismus" ihrer Reden, der ihr als Naivität ausgelegt wurde (und wird), war Teil ihrer "Kampftaktik". In Notizen und Briefen sind ihre Einschätzungen der weltpolitischen Lage absolut realistisch. Dass ihr selbst die bösartigsten Berichte Redetalent bescheinigen, zeigt die erstaunliche Entwicklung, die Suttner durchgemacht hat, war doch in jungen Jahren eine Karriere als Sängerin vor allem an ihrem unüberwindlichen Lampenfieber gescheitert.

Mit Alfred Nobel blieb Suttner bis zu seinem Tod 1896 in Kontakt, und auf ihre langen gemeinsamen Gespräche geht seine Stiftung des Friedensnobelpreises zurück. Dass er Bertha von Suttner nicht im ersten Jahr der Vergabe 1901 zuerkannt wurde, sondern erst 1905, ist eine der Zurückweisungen, die für die Geringschätzung ihrer Person und ihres Engagements symptomatisch sind.

Evelyne Polt-Heinzl, geboren 1960, ist Literaturwissenschafterin und -kritikerin. Zuletzt hat sie, gemeinsam mit Erich Hackl, das Buch "Im Kältefieber. Februargeschichten 1934" (Picus Verlag) herausgegeben.

Wiener Zeitung, Sa./So., 26./27. April 2014

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