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Das Ringen um die Republik#

Als am 12. November 1918 die Republik proklamiert wurde, standen prominente christlichsoziale Politiker den neuen Entwicklungen skeptisch gegenüber. Die Sozialdemokraten begrüßten den Umwandlungsprozess und forderten zugleich einen Anschluss an das Deutsche Reich.#


Der Beitrag wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von DIE FURCHE (Freitag, 7. November 2008)

Von

Ernst Bruckmüller


KZ Mauthausen
Zehntausende Menschen versammelten sich am 12. November 1918 vor dem Parlament, um der Proklamierung der Republik Deutschösterreich beizuwohnen. Rotgardisten lösten mit roten Fahnen Tumulte aus, zwei Tote und vierzig Verletzte waren die Folge.
© Die FURCHE

Die Monarchie lag in den letzten Zügen. Tschechen und Südslawen hatten in den letzten Oktobertagen (28. bzw.29. Oktober) neue Staaten gegründet, am 30. Oktober waren die Deutsch-Österreicher gefolgt.

Die kaiserliche Regierung Lammasch, eingesetzt am 27. Oktober, hatte nur die Aufgabe, das Regierungssystem zu liquidieren. Nun ging es um die Frage, wie sich die Rolle des Kaisers in Zukunft gestalten sollte. Enorm beschleunigend auf diese Entwicklung wirkte sich die Ausrufung der Republik im Deutschen Reich aus (9. November). Jetzt musste auch in Wien eine Entscheidung fallen.

Die republikanischen Tendenzen in der Landbevölkerung verstärkten sich. Schon am 30. Oktober hatte der Tiroler Bauer Niedrist im christlichsozialen geordnetenklub gerufen, 90 Prozent der Bevölkerung kümmerten sich "nicht um Republik oder Monarchie".

Am 11. November verlangten die provisorischen Landesversammlungen von Tirol und Kärnten dezidiert die Ausrufung der Republik. An diesem Tag wurden republikanische Tendenzen auch aus Ober- und Niederösterreich gemeldet. Ebenfalls am selben Tag beriet der Staatsrat über die Staats- und Regierungsform. Renner appellierte an die Christlichsozialen, Österreich müsse den Anschluss an Deutschland beschließen, obwohl der "überwiegende Teil des Deutschen Volkes in Österreich" bisher "zu diesem Entschluss nicht gekommen sei"(!).

Und nach der zu erwartenden Verzichtserklärung des Kaisers gäbe es die große Chance, ohne Bürgerkrieg und innere Kämpfe über die gegenwärtige Situation hinwegzukommen. Von den Christlichsozialen sprachen sich Miklas gegen die Republik und der Wiener Jerzabek gegen den Anschluss an Deutschland aus.

Kein Verzicht auf die Krone#

Etwas später, aber immer noch am selben 11. November, wurde die Verzichtserklärung des Kaisersveröffentlicht, in welcher dieser auf seinen Anteil an den Staatsgeschäften verzichtete (also auf diebisherige dominante Rolle im Hinblick auf Armee und Verwaltung, und auf eine bisherige unerlässliche Mitwirkung an der Gesetzgebung!), nicht aber auf die Krone.

Der Entscheid über die Staatsform sollte durch eine Volksabstimmung fallen, nur wenn sich Deutschösterreich für die Republik entschied, würde der Verzicht zur Abdankung werden. Ignaz Seipel, Professor für Moraltheologie in Salzburg und seit 1917 in Wien, erstmals als Minister für soziale Fürsorge im letzten kaiserlich-österreichischen Ministerium Lammasch auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, soll auf die Formulierung der Verzichtserklärung erheblichen Einfluss genommen haben. Wie manch ndere Leistungen und Stationen im Leben Seipels wurde seine Rolle in diesem Fall unterschiedlich beurteilt.

Bei der Familie des Monarchen war er niemals mehr "völlig Persona grata", wie Klemens von Klemperer meinte; andere Autoren unterstellten ihm, damit den Legitimitätsanspruch des Hauses Habsburg gesichert zu haben. Er selbst behauptete, er hätte damit den onservativen Kreisen den Übergangvon der Monarchie zur Republik erleichtern ollen. Vielleicht wird die Rolle Seipels dabei auch überschätzt: Schon am 10. November abends hatten Renner und Seitz den kaiserlichen Ministerrat besucht und dabei nicht die Abdankung des Kaisers, sondern den Verzicht auf die Ausübung seiner Rechte verlangt.

Ziemlich genau so formulierte es ja dann uch die von "Lammasch und Seipel im Konsens mit Renner und Seitz" – so Elisabeth Kovács – formulierte Verzichtserklärung.

Am 12. November wurde im Parlament die Republik ausgerufen. Klubobmann Prälat Johann Nepomuk Hauser hatte zuvor im christlichsozialen Klub aufgefordert, die Republik nicht aufzuhalten, "weil das einen furchtbaren Bürgerkrieg provozieren würde“.

Auch Stöckler sprach für die Republik, selbst Kunschak, der immer für die Monarchie eingetreten war, weil andernfalls die Republik über die Köpfe des Nationalrates hinweg ausgerufen würde. Hauser tonte, er sei nach der Verzichtserklärung des Kaisers bei Kardinal Piffl gewesen, der ihm versicherte, er hätte an seiner Stelle auch nicht anders gehandelt. Die Kirche trug also den Wandel der taatsform durchaus mit. Daher stimmten auch die Christlichsozialen für die Republik.

Keine Begeisterung und Freude#

Aber dieses Abstimmungsverhalten zeigt nicht die ganze Wahrheit. Vor allem unter den Wiener Christlichsozialen wie Mataja, Kienböck, Schmitz oder Funder war die Republik sehr umstritten. Die Trauer um die verlorene Monarchie ging tief. Dies zeigt etwa die Wortmeldung des prominenten Wiener Abgeordneten Dr. Heinrich Mataja in einer Sitzung des erweiterten Parteirates am 16. November 1918.

Mataja erklärte unter anderem,der Umwandlungsprozess sei von den Sozialdemokraten mit Freuden aufgenommen worden, „während ich eine Begeisterung und Freude nicht empfinden kann (Protokollvermerk: Zustimmung). Erstens aus Gründen des Gefühls; ich bincim österreichischen Patriotismus erzogen worden und kann mich von dem österreichischen Gefühl nicht mit einem Schlage losmachen. Aber auch aus Gründen der Vernunft: Ich sehe keine besondere Entwicklung für Europa, wenn sich eine Reihe von Kleinstaaten bildet, die nicht miteinander in Frieden leben werden. (...) Ich sehe auch nicht das Ideal in der Umwandlung in die Republik.“ Aber: „Heute ist es unsere wichtigste Aufgabe, daß der Umwandlungsprozeß in Ruhe und Ordnung, ohne Blutvergießen vor sich gehe. Gegenüber dieser Sorge tritt die Frage: Republik oder Monarchie? in den Hintergrund.“ Eine radikale Strömung, die sich sogar gegen die Sozialdemokratie richte, sei immer stärker geworden, unter diesem Druckwurde das Programm der provisorischen Nationalversammlung Anschluss verkündet. „Die provisorische Nationalversammlung ist also über ihr Programm hinausgegangen“, meinte Mataja. Skeptisch blieb er gegenüber dem von den Sozialdemokraten am 12. November durchgesetzten Beschluss des „Anschlusses“ an das Deutsche Reich, dieser werde „ganz gewiß auf die Friedensbedingungen keinen günstigen Einfluß haben“. Womit er zweifellos recht hatte.

Keine Diktatur#

Über Einladung von Friedrich Funder verfasste nun Ignaz Seipel im November vier Artikel in der Reichspost, in denen er nicht nur den Absolutismus und Bürokratismus des alten Regimes kritisierte,sondern auch seiner Überzeugung Ausdruck gab, dass man den Wiederaufbau nach der Revolution nicht anderen überlassen dürfe.Demokratie bedeute sehr wesentlich moralische und politische Verantwortlichkeit. Im Hinblick auf die Staatsform verwies er auf die kaiserliche Verzichtserklärung: „Der Kaiser hat im voraus die Entscheidung anerkannt, die Deutschösterreich über seine künftige Staatsformtreffen wird. Wir wollen nicht kaiserlicher sein als der Kaiser und unterwerfen uns dem Willen des Volkes wie er. Doch wohlgemerkt: nur dem Willen des Volkes, keiner Diktatur. Die Freiheit über alles!“

In seiner grundlegenden Seipel-Biografie verweist Klemens von Klemperer darauf, dass bei Seipel selbst das Herz für das Kaisertum schlug, während sein Verstand die Demokratie als wünschenswert, ja als allein möglich hinstellte. In dieser Hinsicht, schreibt Klemperer, war Seipel, „der als Führergestalt im politischen Nachkriegskatholizismushervortrat, repräsentativfür die meisten österreichischen Katholiken seiner Generation. Wenn einer vierzig Jahre und mehr unter einer bestimmten Ordnung gelebt und sich mit ihr identifizierthat, wie soll er dann je einer ganzanderen in Treue anhängen?“

Auf Angriffe von monarchistischer Seite antwortete Seipel spätermit der Gegenfrage: „Was wäre geschehen, wenn unsere Partei die republikanische Staatsform nicht anerkannt und nicht gesucht hätte, auf ihrem Boden zu arbeiten? Was wäre geschehen, wenndie einzige konservative Partei Österreichs sich selbst ausgeschaltet hätte? Sie wäre heute darauf angewiesen, sich außerhalb des parlamentarischen Bodens Geltung zuverschaffen. Dann aber hätten wir den Bürgerkrieg.

“Wie auch immer: Seipels Artikelserie in der „Reichspost“ konnte christlichsoziale Anhänger der Monarchie mehr oder weniger mit der Republik versöhnen bzw. wenigstens mental deren aktive Mitgestaltung der jungen Republik erleichtern.Damit war eine wichtigeWeichenstellung für die Republikvollzogen: Die Christlichsozialenwürden nicht nur auf der Ebene derLänder, sondern auch auf der des Staates an der Gestaltung der Republik mitwirken. Das Weitere ist die politische Geschichte der Ersten Republik.


Der Autor ist Ordinarius am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

FURCHE, Freitag, 7. November 2008


Ganz ausgezeichneter Beitrag. Sehr überzeugend wird dargestellt, dass Seipel wie etwa auch der deutsche Historiker Friedrich Meineke und viele andere "Vernunftrepublikaner" geworden ist, aber dabei "Herzensmonarchist" geblieben ist.

Eine wesentliche Rolle bei der "inneren Republikgründung" spielte die etwa 50.000 Mann starke Volkswehr in ihrer Funktion als Republikschutztruppe, da es auch Geheimgesellschaften zum Sturz der Republik gab. Max Ronge, ehemaliger Geheimdienstchef, war eines der prominentesten Mitglieder einer derartigen geheimen Vereinigung.

Die Unruhen bei der Republikgründung wurden durch den kurz zuvor aus der Heeresirrenanstalt Olmütz entwichenen Zugsführer Robert Lindner ausgelöst und sollten daher nicht überbewertet werden. Vgl. dazu den Bericht Schobers über die Vorkommnisse am 12. November 1918, ausgewertet und dargestellt bei Glaubauf,Karl: Die Volkswehr 1918-20 und die Gründung der Republik, Stöhr-Verlag, Wien 1993. und den Essay über die Wiener Volkswehr im Austria-Forum.

--Glaubauf Karl, Mittwoch, 11. August 2010, 08:37


Der exzellente Beitrag enthält noch einige Typos, sodass eine nochmalige Schlussredaktion nicht ungünstig wäre. Schließlich sollte auch die Darstellung dem hohen Reflexionsstand der Ausführungen ensprechen. Danke !

--Glaubauf Karl, Mittwoch, 11. August 2010, 08:45