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Traismaurer Robinsoninsel in Not!#

Das Wüten des Donau-Eisstoßes anno 1830 hielt ein Dokumentarist fest.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 6. April 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Alfred Schiemer


Flut und Schäden
O.: Schäden durch Eisgang auf der Donau 1830. - U.: Verheerende Flut im Wiener Raum nach Bersten des Eises.
Foto: © Wiener Zeitung

Das Geräusch klingt zuerst wie fernes Donnergrollen, doch schnell wird es ohrenbetäubend, geht durch Mark und Bein. Eine Frau und ein Mann schauen totenblass auf ihren Säugling. Sie wissen: Jeden Moment droht dem kleinen Wurm wie ihnen selbst das Ende.

Wir schreiben den 28. Hornung (Februar) 1830, die drei Menschen sind zu später Stunde in ihrem Häuschen auf einer Donau-Insel nahe Traismauer - und die Eisdecke des Stromes hat zu bersten begonnen. Augenblicke später hören die Verzweifelten das Getöse der andringenden Fluten; bald sickert Wasser durch die Hauswände.

Der Familienvater stürzt trotz Lebensgefahr ins Freie, um nach dem vertäuten Boot zu sehen. Er findet es zum Glück unversehrt, erstarrt aber vor Schreck, als er dessen gewahr wird, dass im Fluss riesige Eisklumpen treiben. Die Eismassen versperren jeden Fluchtweg.

Zurück im Haus, sieht er das Wasser schon hüfthoch stehen. Die Mutter hat sich mit dem Kleinkind auf einen Tisch gerettet.

Die weiter steigende Flut verleiht dem Vater Bärenkräfte. Blitzschnell schlägt er ein großes Loch in den Plafond, klettert auf den Dachboden und zieht Gattin mitsamt Säugling hinauf. Diesen Teil des Hauses erreicht das Hochwasser noch nicht. Bleibt freilich die bange Frage, wie lange der ganze Bau den Naturgewalten trotzen kann.

Immerhin schafft der Mann geistesgewärtig auch Lebensmittel aus der Stube nach oben. Alle Hoffnung der in ihrem Notdomizil Ausharrenden richtet sich jetzt auf ein baldiges Sinken des Donaupegels. Das ist allerdings ein frommer Wunsch, den die Tatsachen Lügen strafen. Die Wellen des Stromes nähern sich mehr und mehr den Bohlen des Dachasyls. Das Ehepaar spürt langsam die Überlebens-Chancen schwinden.

Flut und Schäden
R.: Mutter flieht mit Kind übers Eis zum Boot. - L. (v. ob.): Eigenwilliger, dem "Inselkönig" wohl ähnlicher Mann; Rudern neben Eistürmen; idyllisches Inselhaus im Sommer.
Foto: © Wiener Zeitung

Dennoch bewahrt das Duo Nervenstärke. Vier Tage und fünf Nächte verbringt es mit dem Sprössling auf den Brettern, unter denen die Wogen rauschen.

Die Eingeschlossenen haben keine Nahrung mehr, dürfen nicht auf fremde Hilfe rechnen und müssen den Einsturz ihres Hauses befürchten. Was tun?

Für den ungekrönten Inselkönig, der das Eiland erwarb und bebaute, besteht kein Zweifel: Nur wer wagt, gewinnt! Nach Wetterbesserung setzt die Familie auf schier Unmögliches: Obwohl sich an den Ufern weiter Eis auftürmt, flieht man zum Boot, macht es flott, erreicht einen eisfreien Stromarm und landet dann erschöpft am nördlichen Donauufer in Grafenwörth (auf der Karte r. findet man den heutigen Gemeindeteil St. Johann).

Tausende Menschen bedrohte der gewaltige Eisstoß 1830 im Raum Wien und in benachbarten Gebieten. Tausende - leider nicht alle - konnten sich retten oder gerettet werden, doch von allen Schilderungen der schrecklichen Bedrängnis wirkt kaum eine so berührend wie die von der Insel in der Nähe von Traismauer.

Vielleicht spielt dabei das Dasein der Inselbewohner mit, das dem einer Robinson-Familie ähnelt.

Der Besiedler des Eilands kam übrigens von echtem "Festland", er stammte aus Asperhofen (nahe Neulengbach). Dem offensichtlichen Sturschädel dürfte die Lage der von den Grundherren oft übel traktierten Bauern nicht behagt haben; jedenfalls wurde er eine Art Auswanderer. Auf seiner, sagen wir, Robinsoninsel, redete ihm niemand drein. Er hielt dort auch Vieh. Geld verdiente er sich in erster Linie mit Fährdiensten, wobei ihm die Nähe des Städtchens Traismauer zustatten kam.

Flut und Schäden
Donau mit Inseln bei Traismauer (aus 1832er-Band).
Foto: © Wiener Zeitung

Den Namen des Mannes kennen wir ebensowenig wie den von Gattin und Kind. Als zwei Jahre nach der Naturkatastrophe von 1830 ein Dokumentationsband zum Geschehen außerhalb Wiens erschien, bot man zwar präzise Daten, aber z.T. keine näheren Angaben zu Personen. (N.B. "Wiener Zeitung"-Artikel jener Zeit helfen nicht weiter, weil nur wenige Einzelschicksale Platz fanden. Namen brachte die Redaktion trotzdem zahllose - die von Spendern. Damit sollte gemäß der humanitären Tradition des Blattes zu mehr Hilfe angespornt werden.)

Zum Thema gab es schon 1830 in Buchform einen Teil I, der jedoch nur Kaiserstadt und Vorstädte behandelte. Titel: "Wien’s Tage der Gefahr und die Retter aus der Noth". Der bereits erwähnte, später verlegte Teil II mit "Beschreibung (...) des flachen (...) Landes" basiert v.a. auf "ämtlichen Quellen".

Beide (in Antiquariaten selten angebotene) Bände verfasste Dr. Franz Sartori. Der gebürtige Steirer (Jahrgang 1782; ab 1808 im Wiener Bücherrevisionsamt tätig) war Mediziner sowie Journalist und Autor. Der 1832 gedruckte Abschluss der Dokumentation zur Flut wurde sein letztes Werk: Laut "WZ" vom 4. April 1832 starb er Tage zuvor am 31. März an der Lungeneiterung, also vermutlich an Lungenentzündung.


P.S. Bilder zur Insel fehlen. Zur Illustration dieser Seite wurden Farbdrucke des 19. Jh.s mit passenden Szenen ausgewählt.

Wiener Zeitung, 06. April 2012