!!!Von der alten zur neuen Schöpfung


Von

__Heribert Franz Köck__

Aus: ''Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 177/2016''

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Wir haben zuletzt[1] – aufbauend auf Röm 8, 20-21 („Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen,
nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr
Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit
und Herrlichkeit der Kinder Gottes“) – von der zukünftigen Verwandlung der Schöpfung gesprochen.
Wie diese „Verwandlung“ der Schöpfung ursprünglich hätte vor sich gehen sollen, bedarf freilich
noch weiterer Überlegungen, denn ihre „Erlösungsbedürftigkeit“ kann ja nicht von Anfang an zu ihrem
Wesen gehört haben.

Ich unternehme es im Folgenden, an das Problem, was unter der „guten“ im Verhältnis zur „verschlechterten“
Schöpfung zu verstehen ist und was sich daraus für wesentliche Aspekte des hier erörterten
Fragenkomplexes, insbesondere für die Vorstellung von einem „Sündenfall“, von einer „Erbsünde“
und einer „Erlösung“ und vom „Leben der zukünftigen Welt“ ergeben könnte, mit zwei unterschiedlichen
Ansätzen heranzugehen. In beiden Fällen gehe ich einerseits vom heutigen Weltbild aus,
wie es sich nach dem gegenwärtigen Stand die Wissenschaft mit ihren verschiedenen Bereichen ergibt,
andererseits von unserer Erfahrung des Unheilen und Bösen in der Welt und von unserer (ebenfalls
erfahrungsgestützten) Einsicht, dass wir Menschen dieses Unheile und Böse nicht von uns aus dauerhaft
überwinden können, weil wir die Welt nicht vollständig „im Griff“ haben (können), weil diese
Fähigkeit nur dem vollkommenen (und in diesem Sinne auch „allmächtigen“) Gott zukommt.
Der erste Ansatz geht davon aus, dass die Schöpfung so, wie sie heute ist, von Gott geschaffen und
daher „gut“ ist, und dass jede „Verschlechterung“ nur die Folge eines schöpfungswidrigen Verhaltens
sein kann. Da aber im gesamte Bereich der Schöpfung, der nicht über Verstand und freien Willen verfügt,
alles nach den Gesetzen seiner jeweiligen Natur (den „Naturgesetzen“) und damit schöpfungsgemäß verläuft, kann ein schöpfungswidriges Verhalten nur von Wesen gesetzt werden, die – wie der
Mensch – mit Verstand und freiem Willen ausgestattet sind.

Wenn wir aber die von Gott mit seiner Schöpfung gegebenen Naturgesetze als „gut“ ansehen müssen,
dann müssen wir uns von bestimmten naiven Vorstellungen verabschieden, welche die gesamte Welt
den Bewertungsgrundsätzen menschlichen Verhaltens unterwerfen. Im Gegensatz zum Kinderreim
„Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her“ ist der Fuchs im Hühnerstall nämlich kein
Dieb und der Wolf, der in die Schafherde einbricht, kein Räuber, denn beide folgen nur den Antrieben
ihrer Natur; und wenn der Fuchs vom „Jäger mit dem Schießgewehr“ „geholt“, der Wolf vom Hirten
mit einem Knüppel erschlagen wird, dann ist das keine „Strafe“ für ihre „Untat“, sondern der legitime
Versuch des Menschen, seine Hühner (oder Gänse) und seine Schafe zu schützen, bei dem jede moralische
Entrüstung über den „Dieb“ oder „Räuber“ fehl am Platz wäre.

Dass auch die Bibel von solch naiven Vorstellungen nicht frei ist, zeigt die bekannte Jesaja-Stelle
vom Wolf, der mit dem Lamm weidet, und vom Löwen, der mit dem Rind Stroh frisst; dass das
durchaus als moralische Umkehr vom „bösen“ zum „guten“ Wolf oder Löwen zu verstehen ist, zeigt
der Umstand, dass Jes 65, 25, gleich mit der Feststellung fortfährt: „Man tut nichts Böses mehr und
begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht der Herr.“

Wohin ein Moralisieren, das der Natur zuwiderläuft, allerdings führen kann, hat Christian Morgenstern
(1871-1914) in seinem satirischen Gedicht „Der Hecht“ ausgemalt:

''Ein Hecht, vom heiligen Anton\\
bekehrt, beschloss, samt Frau und Sohn,\\
am vegetarischen Gedanken\\
moralisch sich emporzuranken.\\
Er aß seit jenem nur noch dies:\\
Seegras, Seerose und Seegrieß.\\
Doch Grieß, Gras, Rose floss, o Graus,\\
entsetzlich wieder hinten aus.\\
Der ganze Teich ward angesteckt.\\
Fünfhunden Fische sind verreckt.\\
Doch Sankt Anton, gerufen eilig,\\
sprach nichts als: »Heilig! heilig! heilig!«''

Es ist daher auszuschließen, dass der Wolf jemals mit der Lamm geweidet und dass der Löwe jemals
wie das Rind Stroh gefressen hat oder dass beide dies irgendwann in Zukunft tun werden. Es ist vielmehr
„natürlich“ und damit „gut“, dass der Wolf das Schaf reißt und der Löwe das Rind schlägt, wie
es ganz allgemein „gut“ ist, wenn alle Kreatur das tut, was ihrer Natur entspricht, „jede nach ihrer
Art“. Übrigens: diese Einsicht räumt ganz nebenbei auch mit vegetarischen und veganischen Vorstellungen
auf. Der Sündenfall des Menschen kann also auch nicht darin bestanden haben, dass er sich
am Fleisch der Tiere gütlich getan hat...

Auch die Vorstellung, Gott habe den Menschen auf die Probe gestellt und dieser habe sie nicht bestanden,
ist naiv; denn es liegt Gott völlig ferne, den Menschen in Versuchung zu führen. Aber selbst
die Formulierung der Vaterunser-Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“ (Mt 6, 13; Luk 11,4) differenziert noch nicht zwischen Gott als der Erstursache und dem Versucher als der unmittelbaren Ursache
der Versuchung. Dass aber Gott schon damals nicht als der Versucher, sondern als Helfer in der
Versuchung angesehen wurde, zeigt 1 Kor 10, 13. („Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über
eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch in der Versuchung einen Ausweg schaffen, sodass ihr
sie bestehen könnt.“) Aus dieser Diskrepanz kann man klar erkennen, dass selbst die Evangelisten
nicht auf derselben Reflexionsstufe wie Paulus standen. (Die Geschichte vom verbotenen Apfel im
Paradies hat übrigens bis in unsere Zeit als Form der Selbst-Kasteiung nachgewirkt; und immer wieder
kann man von Ordensleute hören oder lesen, die sich einen Apfel auf den Nachttisch legen und ihre
Standhaftigkeit dadurch unter Beweis stellen, dass sie ihn bis zum Morgen nicht anrühren…)
Wenn aber der Sündenfall des Menschen nicht im unerlaubten Verzehr eines Apfels (oder irgendeiner
anderen „Karotte“, die ihm Gott vor die Nase gehalten hat) bestand, dann kann es sich nur um einen
Verstoß gegen die Schöpfungsordnung gehandelt haben. Ihr war und ist der Mensch ja in doppelter
Weise unterworfen. Erstens ist der Mensch durch seinen Leib Teil der materiellen Welt und unterliegt
insoweit auch den für dieselbe geltenden Naturgesetzen; andererseits verpflichten ihn Verstand und
freier Wille, all jene Aufgaben wahrzunehmen, die nur von einem derart begabten Wesen wahrgenommen
werden können. Der Mensch hat also seinen Beitrag zur Entwicklung der Welt zu leisten,
wie dies auch schon der Verfasser der Schöpfungsgeschichte in Gen 1 erkannt und zum Ausdruck
gebracht hat. („Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht
über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land
regen.“)

Dass der Mensch zur Entwicklung der Welt berufen ist, erlaubt uns, gleich noch mit einer weiteren
naiven Vorstellung aufzuräumen, die sich bis heute in bestimmten, von einer nicht selten ebenso naiven
kirchlichen Verkündigung mitzuverantwortenden religiösen Auffassungen über das Verhältnis
von Mensch und Welt gehalten haben. Wir haben schon weiter oben darauf hingewiesen, dass „die
Welt“ als Teil der Schöpfung und, was man sich klarmachen muss, damit die Schöpfung als solche,
nicht ernst genommen wird, wenn man sie bloß als ein Versuchsfeld betrachtet, auf welchem der
Mensch seine moralische Reifeprüfung ablegen muss, bevor er zur unmittelbaren Anschauung Gottes
zugelassen wird. Das erinnert an verschiedene, meist schon in der Antike aufgetretene Heilslehren,
wonach der Mensch als Geistwesen zu seinem Unglück in die Materie „hineingebannt“ ist und sich
von deren geistwidrigen Tendenzen und Neigungen (insbesondere durch Formen der Askese) wieder
frei machen muss, um in die Welt des Geistes zurückkehren zu können. Die in der Kirche weit verbreitete
Leibfeindlichkeit und die Qualifikation der Welt als bloßes „Jammertal“ haben in solchen (z.B.
manichäischen) Vorstellungen ihren Ursprung; und auch die Gnosis, die das Heil allein in einer „höheren“
Erkenntnis findet, hat zu dieser Weltabgewandtheit beigetragen. Auch wenn diese Auffassungen
schon damals kirchlich verurteilt wurden, haben sie doch vielfach die religiöse Haltung geprägt. (Auch
das schon seit dem vierten Jahrhundert die Kirche vielfach überwuchernde Mönchswesen, das sich
immer als der „vollkommenste“ christliche Stand nicht nur von den Laien, sondern auch vom „Weltklerus“
abgegrenzt hat, hat von diesen gezielt weltfernen Traditionen Anstöße erfahren und angenommen.)
Im Gegensatz zu dieser „weltfremden“ Auffassung ist gerade nicht die Flucht aus der Welt, sondern
deren Gestaltung die dem Menschen von Gott übertragene Aufgabe, mit der er gleichsam zur Mitwirkung
am göttlichen Schöpfungswerk berufen ist. Ihm kommt es zu, die Welt nach Gottes Schöpfungsplan
zu gestalten, nicht als ihr Ausbeuter, sondern als ihr Heger und Pfleger. Ziel muss daher die Herstellung
einer völligen Harmonie zwischen dem Menschen und der Welt sein, eine Harmonie, welche
nicht nur die Welt ganz und gar lebenswert macht, sondern auch dem Menschen die volle Entfaltung
seiner körperlichen und geistigen Kräfte und damit die umfassende Erfüllung des biblischen Doppelgebotes der Gottes- und Nächstenliebe erlaubt. Der Mensch ist daher nicht nur in die Evolution der Welt hineingenommen, sondern soll auch auf dieselbe gestaltend einwirken, um die Welt und mit ihr auch sich selbst einer ganzheitliche Entwicklung zuzuführen. Indem er so die Welt immer „menschlicher“ macht, erfüllt der Mensch auch seinen eigenen letzten Zweck, nämlich (wie es Thomas von Aquin formuliert hat) Gott immer ähnlicher zu werden (ultimus finis est Deo assimilari).

Die „Verwandlung“ des Menschen und der Schöpfung, der „neue Himmel“ und die „neue Erde“, welche
die biblischen Autoren am Ende dieses Äons, d.h. unserer Zeit, erwarten, wäre dann nur das Siegel,
das Gott seiner ans Ende ihrer Evolution gelangten, in umfassender Weise vollkommen gewordenen
Schöpfung aufdrückt, indem er Mensch und Welt in sein göttliches Leben hineinnimmt und an
ihnen vollendet, was er mit Jesu Auferweckung begonnen hat. Aus diesem Grund ist für Pierre Teilhard
de Chardin (1881-1955) Jesus, in dem der Schöpfungsplan (der „Logos“) Gottes Mensch geworden
ist, der Omega-Punkt der Evolution, das Ziel, auf das die ganze Weltgeschichte von Anfang an
ausgerichtet ist. (Nach Off 22, 13: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der
Anfang und das Ende.“) Der „Motor der Evolution“ ist für Teilhard de Chardin die Liebe, durch welche
alles Seiende mit sich und mit Gott in einer organischen Einheit zusammenfügt wird, wie es in
Jesu Leben, Sterben und Auferweckung prototypisch zum Ausdruck gekommen ist.

Die Ursünde des Menschen und damit der Anfang des Bösen und Unheilen in der Welt hätten dann
wohl in der Weigerung des Menschen bestanden, seinen besonderen Status als eines Wesens, das
durch seinen Leib Teil der Welt ist, diese aber durch seinen Geist transzendiert, zu bejahen und sich
der ihm von Gott zugedachten Aufgabe der Mitgestaltung der Schöpfung zu unterziehen. Hätte der
Mensch auf diese Weise gegen die Liebe zu Gott verstoßen, so hätte dies wohl auch Verstöße gegen
die Nächstenliebe zur Folge gehabt, indem das Gebot der Unterwerfung der Welt durch die Praxis der
Unterjochung des Menschen durch den Menschen und seine Degradierung zum Objekt der Befriedigung
der Bedürfnisse des letzteren pervertiert worden wäre. (Der heute noch bei primitiven Völkern
gepflogene Kannibalismus gleicht das Opfer dem erlegten oder geschlachteten Tier an; und die Sklaverei,
die den Menschen als bloße Sache betrachtet, ist zwar heute eine offiziell verbotene, wenn auch
da und dort noch traditionell gepflogene Einrichtung, hat aber bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts
auch in Teilen der zivilisierten Welt – so in den USA bis 1865, in Brasilien bis 1888 – bestanden.)
Das Unheile und Böse in der Welt ist daher die Bedrohung des Menschen durch den Menschen,
wie sie heute in der Gefahr von Krieg und Terrorismus ebenso manifest ist wie im rücksichtslosen
Umgang mit der Umwelt, in der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ohne Rücksicht auf
Nachhaltigkeit und in der Zerstörung unserer eigenen Lebensgrundlagen wie jener der künftigen Generationen.
Sollte auf diese Weise die Schöpfung durch den Menschen so korrumpiert sein, dass eine evolutive
Entwicklung hin auf ihr ursprüngliches Ziel nicht mehr möglich ist, dann bleibt ein machtvolles Eingreifen
Gottes, der Himmel und Erde „neu macht“ (Off 21, 5), als letzte Hoffnung für den Menschen
und die Welt.

Der gerade vorgetragene Ansatz ist sowohl mit dem derzeitigen Stand der Wissenschaft, wonach sich
die ganze Schöpfung (also Mensch und Welt) in einem Prozess der Evolution befindet/n, als auch mit
unserer eigenen Erfahrung vereinbar, dass wir hier in der Welt bedroht sind – und die Welt mit uns. Er
demonstriert auch die „Erlösungsbedürftigkeit“ der Schöpfung und damit die Notwendigkeit eines
Eingreifen Gottes. Die Geschichte von Jesus, dem Christus, ist daher die konkrete Antwort der Liebe
Gottes auf des Menschen lauten und der Welt stummen Schrei nach „Erlösung.“ („Denn Gott hat die
Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab […], damit die Welt durch ihn gerettet
wird.“ Joh 16 und 17.) Wüssten wir von der Jesus-Geschichte noch nichts (sei es, weil wir auf Erden „hinter dem letzten Berg“, sei es weil wir „auf einem anderen Stern“ wohnten), so müssten wir doch
das „erlösende“ Eingreifen Gottes als vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges konkretes Ereignis
erwarten, weil es ein sich aus dem unheilen Zustand der Schöpfung ergebendes Postulat ist. Dies
könnte nur jemand leugnen, der das Unheile und Böse noch nie an sich erfahren hat.

Unsere Erfahrung deckt sich aber auch mit der biblischen Auffassung, dass wir in Jesus nur das Unterpfand
künftiger Herrlichkeit empfange haben, die Fülle der Erlösung aber noch aussteht. („Denn wir
wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber
auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf,
dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden.“ Röm 8, 22-23.) Hingegen
wissen wir nicht, ob der Mensch durch das Vorbild Jesu, der gehorsam war bis zum Tod (Phil 2, 8),
auch seinerseits ausreichend Gehorsam gegenüber seinem ursprünglichen Auftrag, an der Schöpfung
gestaltend mitzuwirken, gelernt hat, und ob daher alles wieder auf die Evolutionsschiene in Richtung
Punkt Omega gebracht worden ist, falls es je aus dieser ganz herausgesprungen sein sollte. Wir können
aber so oder so darauf vertrauen, dass wir, und mit uns die Welt, einstmals verwandelt sein werden,
sobald wir unser Ziel, die volle Gemeinschaft mit Gott, erreicht haben, und dass uns die Liebe
Gottes auf die eine oder andere Weise dorthin führen wird, wenn wir uns nicht weigern, seine (nie
zurückgezogene, sondern stets angebotene) Hand zu ergreifen.



[1|#1] Siehe die Nr. 176 der Gedanken zu Glaube und Zeit vom 26. März 2016.


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