!!!Ein Blick ins Biotop der Gehorsamskatholiken


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Von

__Herbert Kohlmaier__

''Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 16/2011''

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Niemand kann mehr übersehen, dass ein tiefer Riss die Römisch-katholische Kirche in
zwei Lager trennt. Auf der einen Seite drängen Veränderungswillige auf Reformen, auf
der anderen wehren sich Traditionalisten vehement dagegen. Die konservative Richtung
hat den Vatikan schon längst in Besitz genommen und die Bischöfe durch ihre Personalpolitik
gleichgeschaltet.

Bei Betrachten dieser Situation fällt auf, dass zwar beide Arten von Katholiken mit ihrem
Eifer tätig sind, dass aber Animositäten nur in einer Richtung sichtbar werden,
nämlich von den beharrenden Kräften gegen die Reformwilligen. Während diese ihr
Drängen und ihre Argumente gegen eine unbewegliche Kirchenführung richten, nicht
aber gegen die „Papsttreuen“, sind sie als Veränderungswillige oft einem Trommelfeuer
der Kritik ausgesetzt.

Bekanntlich gibt es unter Anderem Internetplattformen – wie „Kath.net“ und
„Kreuz.net“, die nicht nur – was natürlich legitim ist – ihre Linie propagieren, sondern
auch die Reformkräfte attackieren. Gegen diese werden Aktionen durchgeführt, die
Stimmung machen sollen, wie Briefe und E-Mails an die Medien und die Bischöfe. Dahinter
stehen offenbar Organisation und finanzielle Ressourcen.

!Angst schafft Aggressionen

Es ist bekannt, dass Aggression oft von Angst geleitet ist, und das scheint sich auch hier
zu bewahrheiten. Anscheinend befürchten die beharrenden Kräfte, Veränderungen in
der Kirche würden dieser und ihnen persönlich schaden. Es geht aber hier offenbar weniger
um den Verlust von Einfluss oder Vorteilen als um tiefer sitzende Ängste. Der Eifer
bei der Verteidigung des autoritären Papstssystems lässt erkennen, dass man eine
ganze Weltordnung in Gefahr sieht, die man sich aufgebaut hat.

Nun gibt es – allerdings fast nur mehr in der älteren Generation – nicht wenige Menschen,
die eine Art von Unantastbarkeit der kirchlichen Autorität sehen. Hier wirkt
nach, was man vielen Generationen und oft mit Erfolg einreden wollte: Man muss Gott
gehorchen und daher auch seinen Stellvertretern und Repräsentanten in dieser Welt.
Eine so motiviert Ablehnung von Kritik an der Kirchenleitung kann man also verstehen.
Aber dabei handelt es sich um eine Haltung, die immer weniger vorzufinden ist.
Insbesondere bei der jüngeren Generation besteht heute Misstrauen gegenüber allen
Institutionen und deren Macht. Es wird erkannt, wie sehr Gebilde, die das Leben der
Menschen bestimmen wollen, zum Selbstzweck werden können. Sie verlieren ihre zunächst
idealistischen Ziele aus den Augen und verfallen statt dessen dem Egoismus der Selbstgefälligkeit. Im weltlichen Bereich löst dies das Phänomen „Politikverdrossenheit“
aus; man nimmt wahr, was Lord Acton sagte: „Macht verdirbt, absolute Macht verdirbt
absolut.“

Die Berufung auf eine „überirdische“ Legitimation – welcher Art auch immer – wird nur
mehr von einer unkritischen Minderheit akzeptiert. Wer Aufgaben im öffentlichen Leben
erfüllt, muss sich auf den Willen derer berufen können, für die er etwas besorgt. Bei
allen öffentlichen Funktionen müssen handfeste Kriterien der Auswahl, Abwahl und
zeitlichen Begrenzung gelten. Wenn die Hierarchie darauf pocht, sie handle im Namen
Gottes und dies bedürfe daher sonst keiner Begründung, kann das bei Normalmenschen
nur mehr Kopfschütteln auslösen.

Längst hat sich ja das Wissen über Religion und Glauben von Kanzel und Katechismus
gelöst. Die Behauptung, dass der Papst Nachfolger des Apostels Petrus und als solcher
mit unbeschränkter Autorität ausgestattet sei, hat sich als falsch herausgestellt. Das ins
Evangelium mit hoher Wahrscheinlichkeit später eingefügte Wort Jesu vom „Felsen, auf
dem die Kirche gebaut“ werden sollte, hätte sich niemals auf jenes Gebilde beziehen
können, das unter der Schirmherrschaft der römischen Kaisertums entstand und dessen
weltliche Ämter kopierte.

Das Papstamt, vor dem sich die Traditionalisten bedingungslos beugen, entstand lang
nach dem österlichen Geschehen als Ergebnis von Machtauseinandersetzungen. Das
spricht nicht gegen ein höchstes Amt des Dienstes in der Kirche an sich! Sehr wohl aber
gegen dessen „Heiligkeit“ sowie seine Missachtung aller errungenen Regeln der Zuteilung,
Begrenzung und Kontrolle von Macht. Warum erkennen die Gehorsamskatholiken
nicht, dass die Behauptung einer „Stellvertretung“ Gottes im Grunde nicht nur eine Art
von Größenwahn darstellt, sondern auch blasphemisch ist? Kann man wirklich „glauben“,
Gott habe seine höchste Macht fehlbaren Menschen übergeben? Wie ist das zu erklären?

!Ein bestimmter Menschentyp zeigt sich

Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft mit ihrer Vielfalt hat verschiedene Typen
mit unterschiedlichen Aufgaben und Talenten hervorgebracht. Dazu gehört auch die
Kategorie solcher, die ihre Aufgabe darin sehen, notwendige Anordnungen durchzusetzen.
Sie sind allerdings zu Führungsaufgaben wenig geeignet. Man hat vielmehr das
Bedürfnis, sich unterzuordnen und sehnt sich nach dem „starken Mann“. Meist ist gar
nicht wichtig, wer das mit welchen Qualitäten ist. Die Ergebenheit nach oben kann mit
Rücksichtslosigkeit nach unten gepaart sein. Alle Diktaturen fanden ihre Büttel.
Diese Haltung geht mit Unsicherheit und Mutlosigkeit einher. Eigene Verantwortung
wird gescheut, lieber ordnet man sich Kommandostrukturen unter. Alles, was den von
dort kommenden Regeln widerspricht, wird als Gefährdung einer heilen Welt abgelehnt.
Betrachtet man das alles, zeigt sich, dass dieser Typ von Mitläufern, der auch in der Politik
wohlbekannt ist, unter den Traditionalisten in der Kirche dominiert. Er findet das
große Wohlgefallen der Kirchenleitung und wird systematisch gefördert. Selbständig
Denkende und Handelnde werden hingegen konsequent von Führungsaufgaben ferngehalten.
Das System erstarrt im Wechselspiel von Befehl und Befolgung.

Der Papst hat vor noch gar nicht allzu langer Zeit einen Mann im Eiltempo „heilig“ gesprochen,
der die vom Vatikan gewünschte Haltung der Unterwürfigkeit bis ins Extrem
steigerte. Josemaria Escrivá, der Gründer des konsequent geförderten Opus Dei pries
Frömmigkeit in seinem Hauptwerk „Der Weg“ so: „Du solltest dir die bewährte Kenntnis vor Augen halten, dass der eigene Verstand ein schlechter Ratgeber
und ein schlechter Lotse ist, wenn es darum geht, die Seele durch die Böen und
Stürme und Klippen des inneren Lebens zu steuern.“ Weiters: „Demütige dich:
weißt du nicht, dass du ein Eimer für Abfälle bist? Du bist schmutziger, herab
gefallener Staub. Die geistliche Kindschaft fordert die Unterwerfung des Verstandes.“
Nun kann man keineswegs allen „Papsttreuen“ unterstellen, so zu denken,
aber es muss eigentlich entsetzen, dass so eine Mentalität systematisch gefördert
wird.

So sehr man Unterwerfungssucht als psychische Abartigkeit verstehen kann, ist
aber unbegreiflich, dass sie in einem System gefördert wird, das sich „christlich“
nennt! Ergibt sich doch aus dem Evangelium ganz eindeutig, dass Jesus Herrschaftsstrukturen
ablehnte. Er verwarf Ränge und Würden und verurteilte jene
scharf, die als selbsternannte Autoritäten den Menschen Lasten durch Regeln
auferlegen, die nicht von Gott kommen, sondern nur Menschenwerk sind. Ist das
den „Papsttreuen“ nicht bekannt, oder verdrängen sie es einfach? Warum sprechen
sie einen Menschen als „Heiligen Vater“ an, obwohl dies Jesus ebenso nicht
wollte wie das Ablegen von Gehorsamsgelübden?

!Die Resistenz einer Parallelreligion

Die Antwort ist ebenso einfach wie ernüchternd. Im Laufe der Kirchengeschichte
nach der Konstantinischen Wende wurde eine Kirchenreligion entwickelt, die
sich von Jesus löste und zum Selbstzweck wurde. Die Frohbotschaft geriet in den
Hintergrund. Vorrang hatte das klerikale Gebilde mit seinen konstruierten Regeln
und theologischen Spekulationen.

Macht über die Menschen auszuüben, war wichtiger als die Nachfolge Jesu. Das
gilt – wie sogleich zu betonen ist – keineswegs für die Kirche als Gesamtheit und
noch immer segensreiche Gemeinschaft der Glaubenden! Sehr wohl trifft es aber
auf ein System zu, das in einer Umwelt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
die letzte Diktatur der zivilisierten Welt blieb. Es hat sich abseits von Gott seine
eigenen Objekte des anzubetenden Heiligen geschaffen, nicht nur einen so bezeichneten
„Vater“.

Kirchliche Lehre hat sich eigene Gottheiten zurechtgelegt, die andere sind, als
der Vater Jesu im Himmel. Eine stets wachsende Zahl von allerlei Heiligen und
Seligen lenkt den frommen Blick auf erfundene überirdische Instanzen. Den Jesus,
über den der Papst Bücher schreibt, hat es so nie gegeben, er ist eine theologische
Konstruktion. Und keineswegs die Einzige. Bei allem Respekt vor der katholischen
Marienfrömmigkeit – auch die Mutter Jesu war nicht die, welche man
dann als Königin und Fürsprecherin leiblich in den Himmel beförderte. Wollte
sie doch ihren Sohn gemeinsam mit seinen Brüdern von seiner Predigertätigkeit
nach Hause holen (s. Markus 3,20-35).

Man weicht also jenem Gott aus, dessen Wort unter uns lebte. Das ermöglicht,
sich den Glauben so zurechtzulegen, wie man es für richtig hält, um sich vor der
bösen Welt zu schützen. Er wird von „Radio Maria“ verkündet. Jesus glaubt man
ja ohnedies gleichsam nebenbei im Besitz zu haben und meint, über ihn verfügen zu können. Nicht nur in der Hostie und im Tabernakel, sondern auch durch die Entscheidung darüber, wo er hingehen und anwesend sein darf. Eine Parallelreligion
ist entstanden, die sich von der ursprünglichen Frohbotschaft weit entfernt
hat.

!Wie mit Exoten umgehen?

So verstehen wir die Angst der Gehorsamskatholiken vor einer Glaubenserneuerung.
Sie spüren, dass die Rückkehr von den trüben Mäandern der Kirchenreligion
zu den Quellen des Glaubens ihnen Vertrautes rauben würde. Sie sind auf
eine Art von Abgöttern eingestellt, vor denen sie sich niederwerfen. Sie beten die
Vorschriften und Konstrukte einer Frömmigkeit an, die nicht Suche und Sehnen
nach einem unbegreiflichen Gott ist, sondern die „Wahrheit“ im Besitz hat. Hinter
dem Rücken (um kein anderes Wort zu verwenden) eines Amtspriesters will
man sich vor einem weit fernen Gott verbergen, an dessen Stelle ein lateinisch
und unverständlich murmelndes Gehorsamsregime trat.

Das Opfer wird verherrlicht, auch das des eigenen Verstandes. Ein unmenschliches
Gebilde tritt uns entgegen. Es hat sich gegen jedes Dreinreden oder gar
Mitwirken abgesichert, es braucht seine „heilige“ Unanfechtbarkeit, sonst kann
es nicht standhalten. Seine Existenz beruht auf der Distanz zum Volk und auf
der Nähe zu seinen Ergebenen. Und denen kann man nicht einmal einen Vorwurf
machen. Sie sind ja ganz Ausgelieferte geworden, angewiesen darauf, dass
jene Scheinwelt des Glaubens, die man ihnen zurechtgelegt hat, nicht gefährdet
wird.

Soll man mit den Gehorsamskatholiken streiten oder gar versuchen, sie zu überzeugen?
Nichts wäre sinnloser. Man kann von exotischen und prächtig gefärbten
Zierfischen, die in einem gläsernen Aquarium gepflegt und gefüttert werden,
nicht erwarten, dass sie in freie Gewässer ausgesetzt werden wollen. Sie bleiben
ein Kunstprodukt, das wir mit plattgedrückter kindlicher Nase bewundern und
meinen sollen, Gott habe die Fische eben so gewollt. Schön anzusehen, aber untauglich
für die fließenden Gewässer in der freien Natur.

Das Pochen an der trennenden Wand hilft nichts, auch wenn es zum Hämmern
wird. Es macht keinen Eindruck auf die drinnen. Aber ein noch so schön angelegtes
Aquarium ist nicht die Welt. Die außerhalb dreht sich nicht um die domestizierten
Schauobjekte des vatikanischen Zoos. In ihr spielt sich das eigentliche
und ein ganz anderes Leben ab, auch des Glaubens. So hat nur Sinn, den Blick
wieder ganz dorthin zu richten, wo nicht Gezüchtetes, sondern wundervoll von
Gott Geschaffenes existiert. Und uns selbst zur unverfälschten und unmittelbaren
Nachfolge Jesu herausfordert.



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