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Das kirchliche (Weihe-)Amt #

Neues Sakramentsverständnis oder Dauerkrise der Kirche?#

Von

Theodor Gams

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 117/2014


Die folgenden Überlegungen zum kirchlichen (Weihe-)Amt beziehen sich vorwiegend auf das priesterliche, da dieses im Leben der Kirche vor Ort das wichtigste darstellt. Hingegen dient das Amt des Bischofs vorwiegend der Erhaltung der gesamtkirchlichen Struktur und das des Diakons ist nicht selten durch liturgischen Dienst und Funktionen eines „Ersatzpriesters“ stark geprägt. Das Wort von der Dauerkrise scheint gerechtfertigt angesichts der Feststellung von Walter Kasper, dass schon 1969, bei der Einberufung der gemeinsamen Synode der Bistümer in der BRD, die Kirche in einer schweren Autoritätskrise und einer solchen betreffend das Verständnis des kirchlichen Amtes stand[1].

Eine sazerdotale Funktion des Priesters ist nicht gerechtfertigt#

1. Jesus Christus wird in keinem der Evangelien als Priester bezeichnet, und für den Verfasser des Hebräerbriefes stellt Christus das Ende des jüdischen Priesteramtes und seines Kultes dar. Eine sazerdotale Funktion des Priesters ist daher nicht gerechtfertigt.

2. Wenn sich Kirche als „Ursakrament“, als Mittel zum Heil für das Leben der Menschen in der Nachfolge Jesu versteht, der sein Leben in den Dienst am Menschen stellte, dann muss insbesondere das kirchliche Amt in dieser Nachfolge stehen. Es muss „Sitz im Leben“ der Menschen von heute haben, ebenso im Heute inkarniert sein, wie dies auf Jesu Leben zutraf. Dies aber fordert Kirche heraus, alle Entwicklungen und Veränderungen im Bereich von Natur- und Geisteswissenschaften sowie Sozialstrukturen zu beachten, um ihre Lehre und ihre Struktur an die jeweiligen Bedürfnisse der Menschen unserer Zeit ausrichten zu können.

Wie Gottesdienst ein Dienst am Menschen ist, so hat auch das kirchliche Amt dem Menschen zu dienen. Unterbleibt dies, gerät Kirche in Gefahr, ihre eigenen Strukturen und ihre Lehre dem Heil der Menschen überzuordnen. Will das kirchliche Amt Sakrament, also Mittel zum Heil, sein, so muss es „Sitz im Leben“ der Menschen haben. 3. Die Kirche hat es im Lauf ihrer Geschichte allzu oft verabsäumt, neuen Entwicklungen im Bereich von Natur- und Geisteswissenschaften sowie Sozialstrukturen zeitnah zu entsprechen (kopernikanisches Weltbild, Evolution, Demokratie, Menschenrechte, Arbeiterbewegung etc.). Oft wurde sie dann entweder von „äußeren Umständen“ gezwungen, Adaptionen in Lehre und Struktur vorzunehmen, oder sie hat Veränderungen aktiv betrieben, um eigene Interessen zu verfolgen, wie die Einflussnahme auf den Einzelnen (Sünden, Höllenstrafe, etc.) oder auf den Staat (Kirchenbann, Konkordate etc.). Seit ihrer Frühzeit hat Kirche ihr Amt immer wieder an veränderte Gegebenheiten angepasst, wenn auch oft mit großer zeitlicher Verzögerung und nicht ohne deshalb Schaden genommen zu haben.

Solche Veränderungen führten, ausgehend von den charismatisch verstandenen Aufgaben in den paulinischen Gemeinden (1 Kor 14,1 und 12,4) über die in der Apostelgeschichte erwähnten der „Sieben“, der „Presbyter“, und das in 1 Tim 3,8 genannte Amt des „Diakonos“ zum monarchischen Episkopat, der aus der Hl. Schrift nicht direkt begründbar ist, und schließlich zum absolutistischen Papstamt. Zuletzt änderte die Kirche ihr eigenes Verständnis vom (Weihe-)Amt, als im II. Vatikanum der ständige Diakonat auch für verheiratete Männer wieder eingeführt wurde und andere „niedere Weihen“ abgeschafft wurden. Da das kirchliche Amt im Laufe der Kirchengeschichte Wandlungen unterworfen war, sollte ein Wandel des Amtsverständnisses erfolgen, wenn es das Heil der Christen und der Kirche erfordert.

4. Dem NT ist nicht zu entnehmen, dass die Presbyter (neutestamentlich als Vorsteher, später als Priester verstanden) oder die Episkopen (ntl. als Aufseher, später als Bischöfe verstanden) liturgische Funktionen oder den Vorsitz bei der Eucharistiefeier gehabt hätten.

Die Krise des Amtes erfordert ein neues Sakramentsverständnis#

1. Die Krise des Amtes hat viele Ursachen. Mit der konstantinischen Wende übernehmen die Bischöfe weitgehend die Stellung der ursprünglichen und heidnischen Priester, die als Religionsdiener auch für das Wohl des Staates zu sorgen hatten. Einige Bestandteile des jüdischen und heidnischen Priestertums wurden zunächst auf den Bischof, später auch auf den Priester übertragen. Das priesterliche Amt erhielt die „Wandlungsvollmacht“ und wurde immer mehr als Opferpriestertum verstanden.

Dieser Wandel stellt eine machtpolitische und eine theologische Wende dar, die bis in die Gegenwart wirkt und heute zu hinterfragen ist, wenn es um die Glaubwürdigkeit des Weihesakramentes und der Kirche als Ursakrament geht. Es kann doch das kirchliche Amt die ihm zugewiesene Aufgabe der Heilsvermittlung nur dann erfüllen, wenn es den jeweils sich wandelnden theologischen, kirchenpolitischen und soziologischen Gesichtspunkten gerecht wird[2]. Ein Ausweg aus der Krise wäre der Verzicht der Amtsträger auf sozialen und spirituellen Machtanspruch, und zwar auf allen Ebenen der Kirche.

2. Das Konzil von Trient hat erklärt, dass sieben Sakramente, also auch das Weihe-Amt, von Christus eingesetzt worden seien, obwohl es zuvor durchaus unterschiedliche Vorstellungen über deren Zahl gegeben hatte. Mit der tridentinischen Festlegung wurde das dreistufige Amt (Diakon, Priester, Bischof) sakralisiert und in der traditionellen Dogmatik durch ein „Weihesiegel“ mit „unauslöschlichem Charakter“ versehen. Dieses Verständnis wirkt bis heute, obwohl alle Christen Anteil am königlichen, prophetischen und priesterlichen Amt haben und keiner Heilsvermittlung durch Amtsträger bedürfen. Auch spricht schon Art. 32 des Dokumentes Lumen Gentium des II. Vatikanischen Konzils zwar vom Unterschied in den Aufgaben zwischen dem allgemeinen und besonderen Priestertum, sonst aber von einer wahren Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi. Da jeder individuelle Berufs- bzw. Lebensweg eine Berufung darstellt: warum sollte der ins kirchliche Amt eine Sonderstellung zukommen?

Die Vorstellung von einem „unauslöschlichen Charakter“ des (Weihe-)Amtes ist fragwürdig und müsste auch deshalb fallen gelassen werden, weil sie kirchenschädlich ist. Sie führt nämlich zu Absurditäten wie der von „vagabundierenden“ Bischöfen, die zwar angeblich gültig, aber widerrechtlich geweiht sind, oder zu Priestern, die ihren Dienst verließen bzw. verlassen mussten, aber weiterhin „gültige“ aber widerrechtliche Eucharistiefeiern leiten. Dies geschieht – eine weitere Absurdität – gelegentlich sogar mit Wissen der kirchlichen „Obrigkeit“. Ein Ausweg aus der Krise wäre einerseits die Ent-Sakralisierung des Amtes, für welches das Wort „Ordination“ angemessener erscheint als das von der Weihe, und andererseits die Beschränkung des Sakramentscharakters auf die effektive und zeitlich begrenzte Ausübung der Ämter.

3. Die Aufgaben des priesterlichen Amtes sind heute weit umfangreicher als früher. Die Bildung und Leitung von Gemeinde, die Auslegung der Schrift sowie deren Verkündigung und die spirituelle Leitung der Gemeinde können von keiner einzelnen Person voll verantwortlich übernommen werden; ebenso wenig und nicht zuletzt wie die soziale und psychische Sorge um Gesellschaft und Menschen aller Altersgruppen. Und wenn die deutschen Bischöfe schon 1969 feststellten, dass „das Neue Testament … nicht in dem Sinne maßgebend ist, dass es ein für allemal das einzig mögliche Modell des kirchlichen Amtes so konkret lieferte, dass es in der Kirche durch alle Epochen hindurch nur nachgeahmt ... zu werden brauchte“[3], dann ist dies ein Fingerzeig für einen Ausweg aus der bestehenden Krise.

Selbst wenn ein Teil der zuvor genannten Aufgaben nicht „geweihten“ Amtsträgern übertragen wird, ist nicht begründbar, warum der Leiter der Eucharistiefeier als „geweihte" Letztinstanz für alle Aufgaben verantwortlich sein sollte. So müssten z. B. in der Praxis bewährte Christen, die als Psychotherapeuten tätig sind, zum Beistand bei der personalen Buße berufen werden. In der Leitung von Mitarbeitern und in administrativen Belangen erfahrene Christen sollten für die Gemeindeleitung herangezogen werden, bestens ausgebildete Theologen mit Menschenkenntnis zur Auslegung und Verkündigung von Schrift und Lehre.

Geschulte Sozialarbeiter wären mit dem caritativen Dienst und spirituell begabte und ausgebildete Christen mit spirituellen und liturgischen Aufgaben zu betrauen. Diesen allen aber müsste ihre jeweilige Berufung „von unten“, also durch die Gemeinde, und „von oben“ durch die nächst größere kirchliche Gemeinschaft bestätigt werden. Derartigen Beauftragungen käme sakramentaler Charakter zu, weil Heilszusage nur im Konsens und nicht magisch erfolgt!

Ebenso wie die Entwicklung der Medizin im Verlauf von Jahrhunderten zu neuen Aufgabenstellungen und neuen Berufen führte, - der mittelalterliche Bader hat längst seine Daseinsberechtigung verloren, - so erfordert die moderne wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eine kritische Prüfung, ob das frühchristlich entstandene, später auf eine sakrale Ebene gehobene, Einfluss und Ansehen verleihende kirchliche Amt heute noch dem Wohl der Menschen dient. Ebenso, ob nicht das gegenwärtige Amtsverständnis der Glaubwürdigkeit von Kirche Schaden zufügt; denn wenn Charisma und Aufgabenstellung der Bewerber nicht deckungsgleich sind, so führt dies zu einer weiteren Verschärfung der anhaltenden Krisensituation.

Ein Ausweg aus der Krise wäre es, das kirchliche Amt an die vielfältigen Anforderungen der modernen Gesellschaft anzupassen, also durch eine Diversifizierung des Amtes und die offizielle Zusage des sakramentalen Charakters für neu geschaffene Dienste, zum Heil für die Menschen in der christlichen Gemeinde.

4. Wenn auch die Bedeutung der gesellschaftlichen Stellung des Priesters in der Gemeinde seit der Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich abgenommen hat, so ist das Ansehen des Priesters für nicht wenige Bewerber ein noch immer erstrebenswertes Ziel. Die Gefahr aber, dass die Vielzahl der Anforderungen an den Priester diesen überfordert, ist nicht zu unterschätzen! Darüber hinaus führen die an Kandidaten immer noch gestellten Forderungen nach Gehorsam gegenüber der kirchlichen Obrigkeit und nach sexueller Enthaltsamkeit dazu, dass die Bewerberzahl so gering geworden ist, weswegen auch solche Männer ins Amt berufen werden, die zwar bereit sind, diesen Forderungen zu entsprechen, aber weniger geeignet, die zu leistenden Aufgaben im kirchlichen Amt zu übernehmen. Ein Ausweg aus der Krise wäre, die Gehorsamsforderung zu begrenzen, die Ehelosigkeit in die Freiwilligkeit zu stellen, die Berufung ins Amt von den Charismen der Bewerber und neben der Zustimmung durch die Kirche auch von der Berufung durch die Gemeinde abhängig zu machen.

Zusammenfassend sei festgestellt, dass das kirchliche Weihe-Amt heute weitgehend dazu dient, traditionelle Strukturen zu erhalten. Soll es ein glaubwürdiges Sakrament (Mittel zum Heil der Menschen) sein, so erscheinen angesichts der seit langem anhaltenden Krise radikale Veränderungen im Amtsverständnis höchst dringlich. Die Vorstellung von einem immerwährenden Siegel wäre aufzugeben und das Amt in neuer Vielfalt zu entfalten. Es wäre an die effektive Ausübung der verschiedenen Aufgaben befristet zu binden und darüber hinaus zu demokratisieren, also auch an die Zustimmung des Volkes Gottes, der Gemeinde, zu binden.

Dipl. Ing. Theodor Gams, Gießhübl bei Wien, ist Unternehmer auf dem Gebiet der Biotechnologie, seit 1983 Diakon (der Erzdiözese München-Freising) und als solcher jetzt im selbst gewählten Ruhestand.

Fußnoten#

[1] Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Offizielle Gesamtausgabe I, Herder 1976.

[2] Theologie im Fernkurs, Domschule Würzburg, Aufbaukurs, Lehrbrief 16

[3] Schreiben der deutschen Bischöfe über das priesterliche Amt, Sekretariat der Bischofskonferenz, Trier 1969, S.7