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„Das kann so sicher nicht stehen bleiben“#

Ist „fundamentale Kirchenidentität“ noch durchsetzbar?#


Von

Herbert Kohlmaier

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 19/2011


Nicht direkt die „Weltkirche“, aber Österreichs Bischofskonferenz war bei ihrer Tagung anfangs November mit der unverhohlenen öffentlichen Ankündigung repräsentativer kirchlicher Gruppen konfrontiert, Widerstand gegen geltende Regeln zu leisten. Nach dem „Aufruf zum Ungehorsam“ der Pfarrerinitiative, der weit über die Grenzen des Landes Aufmerksamkeit hervorrief, erklärten unmittelbar vor der Versammlung der Bischöfe in Salzburg die Reformbewegungen der Laien, man werde als Folge des Priestermangels notfalls Eucharistie auch ohne geweihten Amtsträger feiern.

Die nach der Konferenz durch deren Vorsitzenden verlautbarte offizielle Reaktion darauf ist sicher nicht ohne vorherige Abstimmung mit dem Vatikan erfolgt. Der Gegenstand ist zu wichtig und stellt angesichts der in vielen Ländern auftretenden Protestbewegungen wohl einen Präzedenzfall für den Umgang mit derartigen Akten offenen „Ungehorsams“ dar. Was Kardinal Schönborn, der beste persönliche Beziehungen zum Papst hat, zum Gegenstand ausführte, kann sohin als „offizielle“ Reaktion mit ganz prinzipieller Bedeutung verstanden werden.

Die Geschehnisse im Vorfeld#

Man muss sich zunächst die Tatsache in Erinnerung rufen, dass schon seit Längerem neben der Missachtung von kirchlichen Lehrsätzen („Humanae vitae“) zahlreiche Vorschriften der religiösen Praxis nicht mehr befolgt werden. Die Bischöfe wissen das, stehen diesem Umstand aber eher ratlos und mit der Tendenz gegenüber, ihn unter der öffentlichen Wahrnehmungsgrenze zu halten. Das von Priestern in ihrem Aufruf vom 19. Juni 2011 verwendete Wort „Ungehorsam“ rückte aber das Problem in die allgemeine und vor allem mediale Aufmerksamkeit. Ein Schweigen dazu war nicht mehr möglich. Die ersten Reaktionen ließen auf ein Durchgreifen bischöflicher Autorität schließen. Schönborn stellte „mit Zorn und Trauer“ die Frage, ob die Pfarrerinitiative überhaupt noch den Weg mit der Weltkirche gehen wolle. Wenn es zur Gewissensfrage werde, dem Papst und dem Bischof gegenüber ungehorsam zu sein, dann sei „eine neue Stufe erreicht, die zu einer klaren Entscheidung drängt“ (Erklärung v. 7. Juli). Andere Bischöfe schlossen sich der scharfen Rüge an.

Von einer solchen als notwendig bezeichneten Entscheidung war allerdings mit fortschreitender Zeit immer weniger die Rede. Obwohl die Pfarrerinitiative erklärte, von ihren Vorhaben keineswegs abrücken zu wollen, setzte Schönborn auf Zeitgewinn und längerfristig in Aussicht genommene Gespräche. Unterstützt von Erklärungen aus dem Bereich der Geistlichkeit – etwa von Äbten – und der Wissenschaft wurde auf einen deutlich sanfteren Kurs umgestellt. So meinte der Wiener Dogmatiker Tück, von einer Lösung des Konflikts „mit der Brechstange“ sei abzuraten.

Es kam zu weiteren Begegnungen zwischen den Exponenten der Pfarrerinitiative und dem Kardinal, der erklärte, auf die „Brücke des Gesprächs“ zu setzen. Offenbar ging es dabei aber nicht darum, die „rebellierenden“ Priester zu einer (wenigstens teilweisen) Rücknahme ihrer Vorhaben zu bewegen oder das deponierte Paket aufzuschnüren – beides wurde ja von Helmut Schüller namens der Pfarrerinitiative ausgeschlossen. Es wird also offenkundig, dass man eben keine „klare Entscheidung“ herbeiführen will, sondern auf eine andere Art der Krisenbewältigung setzt. Aber auf welche nun nötige? Die Beweggründe für das Setzen auf einen die Situation beruhigenden Zeitgewinn sind an sich unschwer nachzuvollziehen. Die Kirchenleitung stand und steht vor einer ganz schwierigen Alternative. Es ist zu entscheiden, ob ein Exempel statuiert werden soll oder ob man versuchen kann, mit einem an sich unerhörten Vorgang ohne Konsequenzen, aber mit Anstand und ohne „Gesichtsverlust“ sowie Nachahmer irgendwie fertig zu werden. Beide Möglichkeiten haben aber ihre für die Hierarchie fatalen Folgen. Eine Maßregelung Schüllers hätte ganz zweifellos schwerwiegende, wenn nicht katastrophale Auswirkungen. In der Zwischenzeit ergaben Umfragen eindeutig, dass sowohl im Kreis der Geistlichen als auch der Gläubigen das Vorgehen der Pfarrerinitiative weitaus überwiegend Zustimmung und Unterstützung findet. Dazu kommt, dass Schüller als charismatische Persönlichkeit hohes Ansehen in der Öffentlichkeit genießt. Würde man ihn maßregeln, könnte der Unmut explosive Formen annehmen. Zweifellos wären zumindest neuerliche massenhafte Austritte zu erwarten.

Alles, was danach aussieht, man lasse die Ungehorsamen gewähren, ist aber ebenso für die Kirchenleitung höchst gefährlich. Würde doch damit das Gehorsamsprinzip als tragende Säule der Kirchenordnung aufgegeben, was aber auf eine Selbstentmachtung der Hierarchie hinausliefe und das gesamte System zutiefst erschüttern müsste. Man kann das Ganze einer alten Redewendung folgend drastisch so ausdrücken, dass sich Schönborn und der Vatikan zwischen Pest und Cholera entscheiden müssen.

Die geradezu historische Erklärung von Salzburg#

Dem Naturell des Kardinals und dem entsprechend, wie er sich bisher geschmeidig und taktierend verhielt, wurde allerdings versucht, dem Dilemma doch irgendwie zu entgehen. Bei der öffentlichen Verlautbarung des Ergebnisses der von den Bischöfen vorgenommenen und – wie gesagt wurde – „intensiven Befassung“ mit den Initiativen der Reformkräfte zeichnet sich deutlich eine bestimmte Vorgangweise ab.

Schönborn betonte in Salzburg zunächst, dass ein „massives Drängen auf Veränderungen in der Kirche“ vorläge. Die erhobenen Forderungen seien „nicht einlösbar“ und würden einen „offenen Bruch mit zentralen Wahrheiten unseres katholischen Glaubens“ darstellen. Es gehe ja nicht um Angelegenheiten der Strukturen oder Organisation, sondern um „fundamentale Fragen der kirchlichen Identität“.

Schwerwiegende Bedeutung wird also dem Vorgehen der Reformkräfte beigemessen, es rührt nach Auffassung der Bischöfe an der eigentlichen katholischen Substanz. So erhebt sich natürlich die Frage, ob Derartiges nicht die schärfsten zur Verfügung stehenden oder nach dem Kirchenrecht sogar automatisch wirkenden Folgen auslösen müsste. Ein ganzes Register von Sanktionen könnte zur Anwendung kommen. Und vor allem warnend in Aussicht gestellt werden! Doch Schönborn beschränkte sich auf die wiederholte Aussage, dass dies alles „sicher so nicht stehen bleiben könne“.

Es ist offenkundig, dass man mit dieser Sprachregelung zweierlei erreichen will. Einerseits soll betont werden, dass die Bischöfe ganz zu den Prinzipien der Weltkirche stehen und Abweichungen davon keinesfalls akzeptieren. Andererseits unterblieb der – wenn schon nicht gebotene, aber zumindest naheliegende – Hinweis darauf, dass ein Fall vorläge, wo das Kirchenrecht mit seinen Strafbestimmungen zur Anwendung kommen müsste. Sagte doch der Kardinal, dass die Einheit der Kirche auf dem Spiel stünde. Was muss also noch passieren, dass man endlich durchgreift? Aber es wird nur erklärt, man könne das eben „so nicht stehen lassen“.

Diese verbale Taktik hat natürlich ihre Plausibilität. Sie ist Konsequenz des Umstandes, dass die Kirchenleitung heute den kritischen Kräften nicht mehr mit dem Ingangsetzen von Sanktionen beikommen oder auch nur drohen kann. All dies wäre wirkungslos – oder besser gesagt von Wirkungen in einer unbeabsichtigten Richtung bedroht. Wer sich gegen eine unbeschränkte und kritiklos zu akzeptierende Kirchenobrigkeit stellt, dem ist natürlich auch egal, wenn er von dort gemaßregelt wird.

Ein ganz wesentlicher Bestandteil der von den Reformkräften eingenommenen Haltung ist der Rekurs auf die in den Evangelien überlieferte Botschaft Jesu, die Herrschaftsausübung aller Art ablehnt und allein das Vertrauen auf seinen Glauben als maßgeblich bezeichnete. Bei den heute für eine kirchliche Erneuerung eintretenden Kräften wird davon ausgegangen, dass die Nachfolge Jesu von den kirchlichen Amtsträgern weder strikt und total vorgegeben werden, noch dass man davon durch deren Entscheidungen auch nur im Geringsten ausgeschlossen werden kann.

Dazu kommt ganz Wesentliches: Würde die Hierarchie totale Härte gegenüber aktiv tätiger Kritik an ihren Positionen demonstrieren, wäre der Schaden für die gesamte Kirche sehr groß. Eine christliche Gemeinschaft, die den barmherzigen Gott der Liebe verkündet, kann nicht Menschen disziplinieren, die nach ihrer Überzeugung und ihrem Gewissen handeln. Sie würde damit unglaubwürdig und ihrem schon jetzt stark geschwundenen Ansehen weiteren schweren Schaden zufügen. Die immer schwächer gewordenen Bindungen würden überstrapaziert und an vielen Stellen reißen.

Eine tragische Situation wird offenbar. Man glaubt, in einem Normenkomplex verharren zu müssen, der längst nicht mehr akzeptiert wird und dafür ungeeignet wurde, die Basis einer Glaubensgemeinschaft zu bilden. Die Versäumnisse vieler Jahrzehnte rächen sich. Die Chance wurde verpasst, sich für eine Welt tauglich zu machen, die Selbständigkeit auch in Glaubensfragen will und normiertes Denken als inhuman ablehnt. Wie kann und soll das weitergehen?

Ganz grundsätzlich sei es überlegt: Wie kann die Kirche ihre Autorität wiedergewinnen? Eine solche ist ja unentbehrlich, denn eine Glaubensgemeinschaft ohne gemeinsame Lehre, ohne Regeln und Autoritäten des Dienstes wäre zum Scheitern verurteilt, ja sogar lächerlich. So müsste man sich in der Zentrale Roms die Voraussetzungen vor Augen führen, die in unserer Zeit für jede funktionierende gemeinsame Ordnung gelten:

  1. Normen müssen von einer Instanz vorgegeben werden, die dazu einwandfrei legitimiert ist.
  2. Die erlassenen Regelungen müssen einsichtig, plausibel und verträglich sein.
  3. Sie müssen breite Akzeptanz finden.

Bei allen genannten Voraussetzungen liegen schwere Defizite vor. Jedem nur halbwegs theologisch Informierten ist längst vertraut, dass Jesus keine Kirche menschlicher Vor4 schriften der Machtausübung wollte und dass er weder dem Petrus noch seinen „Nachfolgern“ eine Blankovollmacht erteilte, den Willen Gottes „stellvertretend“ zu interpretieren. Schon gar nicht kann hingenommen werden, dass sich die Kirche als menschliche Institution von den bewährten Regeln heutigen Gemeinschaftslebens unberührt zeigt. Was sie als „Wahrheit“ bezeichnet, ist zu einem großen Teil Produkt lang zurückliegender und nicht mehr akzeptabler Entscheidungen und Konstruktionen.

Jenen Angehörigen der Kirche, die nicht bereit sind, den Gehorsams gegenüber einem solchen System über ihr Gewissen und ihr Glaubensverständnis zu stellen, stehen mehrere Auswege zur Verfügung. Sie sollten von vatikanischer Seite endlich einmal klar gesehen und bedacht werden. Der eine führt weg von der Kirche – sei es in eine innere Emigration des Glaubens oder durch den Austritt. Ein weiterer ist der Versuch, die Kirchenleitung zu drängen, eine zukunftsträchtige Richtung einzuschlagen. Er hat sich als aussichtslos erwiesen. Der dritte ist, der Kirche treu zu bleiben, aber sich von deren Autorität dort zu lösen, wo dies aus Gewissensgründen geboten erscheint.

Die Hierarchie sieht sich also nun Menschen gegenüber, die offen bekunden, diesen Weg gehen zu wollen. Es bleibt ihnen ja nichts anderes über! Sie sollte unbedingt wahrnehmen, dass sie es hier mit Kräften des Glaubens zu tun hat, die ihre Treue zur Kirche wahren, diese aber von Altlasten befreien wollen. Es wäre in höchstem Maße ungerechtfertigt und unklug, das nicht anzuerkennen und zu würdigen. Auf keinen Fall dürfte da von „Spaltung“ geredet werden, denn eine solche bedeutet Ausschluss oder Abwendung.

Die Reformkräfte bekunden hingegen mit ihren Schritten – auch denen des Widerstands! – ihre Zuwendung zur Kirche. Sie wollen weder weggehen noch sich hinausdrängen lassen. Es würde das ja auch einen lebensbedrohenden Aderlass für die Glaubensgemeinschaft bedeuten.

Die Worte, das könne „so nicht stehen bleiben“, sind also nun recht zu deuten. Sie sind in ihrer vagen Zurückhaltung sicher kein Freibrief. Einen solchen wollen die Initiativen der Fortschrittlichen auch keineswegs, denn sie erkennen die Notwendigkeit einer erträglichen und vernünftigen Ordnung in der Kirche. Sie registrieren nun die der Hierarchie abhanden gekommene Möglichkeit, Eigenständigkeit wie in früheren Zeiten zu verdammen und zu bestrafen. Es ist das ein Zeichen der Schwäche. Aber es wäre in höchstem Maße unchristlich, diese auszunützen oder darüber zu frohlocken.

Die wohlüberlegten Schritte des Ungehorsams werden ganz gewiss „stehen bleiben“! Damit tritt eine Situation ein, die niemand wünschen kann, aber unvermeidlich wurde und im üblichen Gemeinschaftsleben der Menschen gang und gäbe ist. Wo man von „Einheit“ redet, ist sie nur eine Illusion. Es gibt überall verschiedene und subjektiv redlich begründbare Standpunkte, die nicht im Einklang miteinander stehen. Diesen Widerspruch zu bewältigen, ja ihn nutzbar zu machen, ist uns immer und überall aufgetragen. Er bestand schon beim so genannten „Ersten Apostelkonzil“.

Mit dem Pochen auf Befehlsgewalt geht heute nichts mehr. Die Kirchenleitung wird dem immer mehr Rechnung tragen müssen. Sie wird damit leben müssen, das es in der „katholischen“ – also allumfassenden – Kirche so etwas wie eine Fraktion, Abteilung oder Zweigrichtung gibt, die Jesusnachfolge ernst und anders nimmt als sie. Es kann das nur zum Heil der Kirche sein, denn als Gebilde angeordneter aber brüchiger Einheit kann sie nicht überleben. Sehr wohl aber im Ringen um einen erneuerten Glauben.