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Das missachtete „Gebot Gottes“#


Von

Herbert Kohlmaier

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 178/2016


Die Strenggläubigen in der Katholischen Kirche, allen voran der Präfekt der Glaubenskongregation Gerhard Ludwig Müller, sehen biblische Gebote als unerschütterlich an. Wollte man von diesen abweichen, wäre das keinesfalls hinzunehmen! Ganz besonders pochte man zuletzt auf Jesu Wort von der „Unauflöslichkeit“ der Ehe. Doch schon ein flüchtiger Blick auf die Lehre der Kirche zeigt, dass man es in vielen Belangen mit der Autorität der Schrift keineswegs so ernst gemeint haben kann.

In vielen Fragen sind Lehre und Praxis der Kirche recht elastisch. Oft wird als Beispiel dafür die Mahnung Jesu erwähnt, dass man sich nicht Vater nenne lassen solle. In der Kirche wimmelt es ja geradezu von Patres, also „Vätern“, und auch der Titel des Papstes ist unschwer als Ableitung von „Papa“ zu erkennen. Das ihm sogar zugebilligte „Heiliger Vater“ ist auch Teil des offiziellen kirchlichen Amtsjargons, allerdings ist diese Anrede liturgisch für Gott reserviert, wie der Anfang der Präfation zeigt: „Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott.“

Nun soll keineswegs behauptet werden, dass man immer alles in der Bibel wörtlich nehmen solle, aber wenn das so energisch verlangt wird, muss man dagegen schon etwas schwerere Geschütze auffahren. Man kann nämlich folgerichtig sagen, dass die Kirche sogar eines der „Zehn Gebote“ missachtet! (Dass sie einige andere von diesen recht kühn umformuliert hat, sei hier nur am Rande erwähnt – aus Ehebruch wurde bekanntlich „Unkeuschheit“ und aus dem falschen Aussagen gegen den Nächsten „Lüge“ ganz allgemein).

Es geht hier um das Wort: „Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten…“ (Ex 20,4 und Dtn 5,1-21). Der Sinn dieser Anweisung, die Moses vom Herrn empfing, liegt auf der Hand. Die Geistlichkeit des Judentums führte einen oft vergeblichen Kampf gegen Kulte, in denen Statuen fremder Göttern angebetet wurden, etwa von Baal. Gar während Moses noch auf dem Berg Sinai weilte, stellte das ungehorsame Volk die goldene Statue eines Kalbes her, was bekanntlich Moses erzürnte; seiner folgenden Gewaltaktion sollen 3.000 Menschen zum Opfer gefallen sein.

Bekanntlich halten sich Judentum und Islam an das biblische Bilderverbot, doch ob dieses auch im Christentum gelten sollte, wurde zum Gegenstand zahlreicher und schwerer Konflikte. Der ausufernde Ikonenkult und die notwendige Auseinandersetzung mit dem Islam führten zu einem innerkirchlichen Versuch gegenzusteuern, bei dem zahlreiche Bilder zerstört wurden (Ikonoklasmus), doch dies war nicht durchzuhalten. Es liegt offenbar in der Natur des Menschen, seine Glaubensvorstellungen bildhaft gestützt zu sehen. Dazu kann die Macht der Kunst, die sich des Heilsgeschehens annahm.

Es erwies sich auch als zweckmäßig, einem des Lesens unkundigen Volk das große Glaubensgeschehen in Form der biblia pauperum („Arme-Leute-Bibel“) an Wandbildern der Kirchen eindrucksvoll darzustellen. So wählte man schlussendlich den Weg, den das Konzil von Nikaia 787 vorgab: Nicht die Anbetung, sondern die Verehrung von Ikonen wurde gutgeheißen. Das geschah u.a. auf Druck der (zum Teil wenig gebildeten, aber dafür mitunter auch gewaltbereiten) Mönche und nahm es hin, dass dadurch Missbrauch Tür und Tor geöffnet wurde, der bis in unsere Tage reicht. (Noch Johannes Paul II. hat Reisen unternommen, um da und dort Marienbilder zu krönen…)

Nun ist natürlich der gelegentliche Missbrauch noch kein Grund, eine gute oder für den eigentlichen Glauben „neutrale“ Sache ganz abzulehnen oder gar zu verbieten. Selbst die Reformation, die der Bilderverehrung kritisch gegenüberstand, duldete diese. Die reichliche und vielfache Darstellung von Heiligen und auch Gott und Jesus selbst wurde jedenfalls zum Spezifikum des Katholizismus sowie der Orthodoxie und doch zu einem typischen Element der Frömmigkeit. Man bedenke, wie viele erhabene Kunstwerke sich durch viele Jahrhunderte religiöser Themen annahmen. Wege der Betrachtung wurden eröffnet, die unendliche vielen Menschen den Glauben vermittelten, etwa Michelangelos Pieta im Petersdom.

Michelangelos Pietà im Petersdomd
Michelangelos Pietà im Petersdomd.
Foto: Juan M Romero. Aus: Wikicommons, unter CC BY-SA 4.0

Manche Darstellung wie diese „stimmt“ allerdings ganz einfach nicht. Der Leichnam Jesu lag niemals auf dem Schoß seiner Mutter, die zur Zeit seiner Kreuzigung gar nicht in Jerusalem weilte und auch in Zusammenhang mit den Frauen, die das Geschehen von ferne beobachteten, unerwähnt blieb (Mk 15,40). Selbst wenn das Dargestellte zuträfe – Maria war sicher damals nicht mehr eine Frau jugendlicher Anmut, sondern betagt und nicht von jener Schönheit geprägt, die uns der Künstler zeigt. Es geht also hier wie in vielen anderen Fällen einfach um die Darstellung von frommen Vorstellungen sowie Idealen – und diese sind Gegenstand menschlichen Glaubensstrebens von Wert. Ihr Ausdruck ist Sinn der religiösen Kunst.

Manchmal liegt es also doch nahe, sich der Sinnhaftigkeit des biblischen Gebotes bewusst zu werden, denn dem eigentlichen religiösen Gehalt droht sehr wohl, hinter seiner phantasievollen Darstellung zurückzutreten. Die „Vergegenständlichung“ des Glaubens hat zweifellos ihre Probleme. Bei Prozessionen herumgetragene Marienstatuen rufen peinliche Assoziationen in der Richtung dessen hervor, was im Dekalog verworfen wird. Was hat uns wirklich „heilig“ zu sein? Was hätte der Rabbi Jesus dazu gesagt, dass in Altären Reliquien aufbewahrt werden – sich mit Leichen(teilen) abzugeben, war ein Gräuel seines Glaubens!

Also hat die Kirche bei der über Jahrhunderte währenden Entwicklung ihrer Lehre sich entschlossen, manches anders zu sehen, als man es zur Zeit, da die Bibel niedergeschrieben wurde, gesehen hat. Das war in vielen Fällen richtig und gut, in anderen freilich nicht. Gar trefflich kann man über all das diskutieren und es soll auch geschehen. Der Glauben mit all seinen Ausprägungen soll ja mit dem Wissen, Denken und Empfinden der sich wandelnden Zeiten übereinstimmen! Nur eines ist sicher nicht zulässig: Zu behaupten, alles hinge von der strikten Beachtung einer wörtlich zu nehmenden Bibel ab.

Wie immer es sei, es ist eindeutig: Aus Gründen, wie sie hier dargelegt wurden, befolgt die Kirche eines der Gebote Gottes, nämlich das betreffend die religiöse Verwendung von Bildern nicht, obwohl es in seiner Deutlichkeit keinen Zweifel zulässt. Im Zusammenhang mit dem, was eingangs gesagt wurde, bleibt sohin nichts anderes festzustellen, als dass ein Wort der Heiligen Schrift, die für Jesus verbindlich war, und die er nicht ändern sondern vertieft erläutern wollte, einfach missachtet wird.

Wird wieder einmal von einem bischöflichen Stuhl herabgedonnert, ein Satz, der sich in der Bibel befindet, gelte ohne Wenn und Aber, sollte man den guten Mann an die Hand nehmen und in die nächste Kirche führen, falls er nicht ohnedies in einer solchen spricht. Und auf die vielen schönen Bilder mit der Frage zeigen: Wie hältst du es mit den Zehn Geboten, dem Kern der Offenbarung, nämlich in ihrer Vollständigkeit? Aber dann gleich hinzufügen: Ja, wir wissen schon, dass man nicht alles wörtlich nehmen darf, sondern den Sinn klug und verständlich wahrnehmen soll. Aber das eben immer und in jedem Fall, ‚hochwürdigster Herr‘! Und nicht nur dann, wenn es einem in jenen Kram passt, der immer mehr zum Fall überfälliger Entsorgung wird!