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JENNY GOLDER#

Revuestar
Jenny Golder,Die Bühne

Die Pariser Theaterwelt, in den großen Restaurants, in den Nachtlokalen, in den Klubs gab es am 13. Juli 1928 nur ein Gespräch, das Entsetzen hervorrief, die arme Jenny Golder, der berühmte Revuestar habe sich gestern in ihrer Wohnung erschossen.

Sie zählte zu den beliebtesten Stars der großen Revuen, sie war schön, jung und amüsant. Wie die meisten Berühmtheiten, stammte auch sie nicht aus Paris, sondern kam aus dem Osten, von welchen Osten war unbekannt.

Sie war auf jeden Fall entzückend und sobald sie die Bühne betrat war das Theater von ihrer Liebenswürdigkeit, ihrer schwebenden Anmut, ihrem Gesang und Tanz erfüllt.

Die Künstlerin zählte bereits 32 Jahre, aber sie hatte eine Ausstrahlung wie eine 25 jährige, und genoss die Ehren eines Stars. Im Vorjahr gastierte sie mit der Revue in Berlin, ihre Partner waren damals Harry Pileer und Spardaro gewesen. Aber Jenny Golder schoss auch in Berlin den Vogel ab, denn sie hatte einen individuell gefärbten Humor, der das Publikum sofort für sie einnahm, sie war sehr elegant und ihre gaminhafte Art zeigte all die Nuancen der neuesten Mode. Sie konnte auch neben Tagesberühmtheiten wie Josephine Baker bestehen, ihrer war man in Paris bereits müde geworden. Jenny befand sich ganz vorne im Treffen. Neben der Raquel Meller und natürlich der unverwüstlichen Mistinguette, der beliebteste Variétéstar von Paris. Die Polaire kam kaum noch in Betracht, war fast schon abserviert.

Erst neulich hatte sie in der Revue „Der Luxus von Paris“ riesigen Erfolg, sie stand im Mittelpunkt des Pariser Lebens, hatte keine Sorgen, war begütert und schien immer fabelhafte Lust am Leben zu haben. Vor einigen Tagen wollte sie einige Tage ins Vesinettal fahren, wo sie sich ein kleines Landgut gekauft hatte. Bevor sie nach dem Modebad Paris-Plage ging, war sie dort gern ein paar Wochen. Dienstag kam nach Paris zurück und man erzählte, sie sei in glänzender Verfassung gewesen. Eine Freundin Mrs. Bruce, die stets ihre treue Begleiterin war, befand sich bei ihr. Noch am Vormittag des Mittwoch machten die beiden Einkäufe in Paris und sahen sich die neuen Kreationen der Modehäuser an. Dann waren sie im Bois und kamen um 7 Uhr abends nach Hause. Bei der Tat war niemand zugegen.

Jenny Golder hatte einen kleinen Revolver genommen, einen Revolver, der mehr einem Spielzeug glich. Mit diesem Revolver schoss sie sich ins Herz.

Mrs. Bruce erzählt: Gegen 8 Uhr war ich in dem kleinen Salon. Die Sekretärin von Jenny war im Nebenzimmer. Plötzlich hörte ich einen Schuss. Ich wollte es nicht glauben, dachte an eine Sinnestäuschung, aber rannte doch in das Zimmer, in dem ich Jenny wusste. Sie lag auf dem Bett ausgestreckt, den kleinen Revolver noch in der Hand, die Brust über und über mit Blut bedeckt, ich begann zu schreien, man holte einen Arzt. Aber es war alles schon zu Ende. Jenny war tot.

Eine Freundin erzählt, dass ihr Jenny Golder vor zwei Tagen am Telefon sagte. „Ich bin krank, mir geht es gar nicht gut“

Seit einiger Zeit will ihre Umgebung bemerkt haben, dass sie zu neurasthenischen Stimmungen neige. Für ihre Tat findet sich kein ausgesprochenes Motiv. Man nimmt an, dass sie in einem Anfall von Verzweiflung zum Revolver gegriffen hat, doch die Ursachen kennt man nicht. Die Golder hat einen mühsamen Weg hinter sich. Sie wurde nicht über Nacht berühmt, sie hat sich ihre Beliebtheit mühsam erkämpft. Die Golder war nicht nur ein außerordentlicher Komiker, sie hatte auch Improvisationstalente und eine reiche Skala der Wirkungen jeglichen Witzes ging von ihr aus.

Die Pariser Zeitungen, die noch immer mit der Loewenstein-Sensation beschäftigt sind, haben jetzt eine neue: den Tod der Jenny Golder.

Allmählich wurde den Zeitungen bewusst, dass der Selbstmord mit dem Loewenstein-Unfall zu tun haben könnte und es fügen sich Erinnerungen an den großen Brüsseler Finanzmann dessen Leiche jetzt gefunden werden konnte.

Nun ist ihr Grab von Blumen- und Kranzregen bedeckt, die Flamme der Sensation ist im Verlöschen, Nun darf man über das Geheimnis der Schönsten der Revue im stillen Gedenken sprechen.

Weder Pilcers noch Spadarro zählten zu ihren Auserwählten, sie waren für den Star nur reine Freundschaften.

London war Jenny Golders erste Station wo sie als kleine Tanzsoubrette aufgetreten war. Dort wurde sie von dem bekannten Pariser Agenten Sherek entdeckt, der Manager der „Alhambra“ war. Er erkannte sofort was sich ihm hier bot, und nahm den Aufstieg Jennys in die Hand, brachte sie immer in bessere Häuser. Im „Casino de Paris“, noch in einer kleine Revue-Partie, arbeitete sie zum ersten Mal mit Spadarro zusammen. Der brillante italienisch-französische Chansonnier Spadarro wählte sie zur Partnerin, studierte mit ihr Szenen, Duette, Tricks. Von ihm hatte sie ihren Stil, die Technik und die Routine.

Jenny die Künstlerin mit den schwarzen Augen, stand in wenigen Monaten in der ersten Front der Pariser Revuestars. Für den blonden, eleganten viel umworbenen Spandarro mag die Freundschaft zu Jenny bald nur eine Episode gewesen sein, doch blieb weiterhin eine herzliche Kollegialität.

Im Frühjahr 1927 kamen Jenny und Spandarro mit dem Ensemble der Pariser Revue „Vive la femme“ nach Berlin, vom Bankier Hirsch finanziert, brachte ihm trotz Erfolg 150.000 Mark Verlust.

Hier, im Admiralspalast sollte sich Jenny Schicksal erfüllen, denn in der linken Proszeniumloge saß eines Tages ein Hüne von Mann, der kein Auge von Jenny ließ. Er saß auch am nächsten Tag in der Loge, und das wiederholte sich. Nach einem dieser Tage, als die Künstlerin nach ihrem großen Couplet ein Riesenarrangement von Orchideen überreicht wurde, darin fand sie eine Gold umrandete Visitenkarte „Baron de Loewenstein, Bruxelles.

Niemand in Jennys Umgebung ahnte wer dieser Baron war, nur zwei intime Vertraute, wussten wer die großen Aufkäufe von deutscher Kunstseide-Aktien und deren Besitzer der ominöse Besitzer war.

Einige Zeit war von ihm weder etwas zu sehen noch zu hören, bis er plötzlich wieder seinen Platz in der Loge einnahm und seine Bewunderung für die Künstlerin noch in größeren Formen äußerte.

Bankier
Alfred Loewenstein, Die Stunde

So lernten sich Jenny und der Baron fern der Heimat in Berlin kennen.

Loewenstein war ein Mann der an Frauen Ansprüche stellte und Jenny Golder die übrigens sieben Fremdsprachen beherrschte, war ihm geistig gewachsen. Die Bekanntschaft entfaltete sich zur innigsten Freundschaft, die durch die ständigen Trennungen noch intensiver wurde. Jenny ging nach Paris zurück, Loewenstein nach Brüssel. London und Amerika.

Kaum aus Amerika zurück, suchte Loewenstein mindestens jede Woche einmal einige Stunden mit Jenny Golder zu verbringen. Da durfte niemand erfahren wohin Aeroplan von Brüssel aufgestiegen war, und Jenny war weise genug, den Schleier des Geheimnisses, das der große Finanzmann um seine Liebe zu ihr gebracht wissen wollte, nicht zu lüften. Nur die mütterliche Freundin, die immer in ihrer Nähe, wusste etwas davon ohne jedoch zu ahnen, welch große Macht hinter diesem intimsten Freund ihrer Freundin stand...

Bei der tiefen Neigung, die Loewenstein und Jenny Golder, zwei Menschen von Format, verband, muss die Künstlerin, als diese Frage noch offen war, die Gewissheit erlangt haben, dass Loewenstein nicht mehr am Leben war.

Wer war Alfred Loewenstein eigentlich und was war geschehen? Die Nachricht von dem Tod des Bankiers Alfred Loewenstein bildet das Tagesgespräch der Hauptstädte Frankreichs, Englands, Belgiens und Hollands, denn er hatte in den letzten Monaten eine besondere Aktivität in all seinen geschäftlichen und auch gesellschaftlichen Angelegenheiten an den Tag gelegt. Freunde und gute Bekannte haben bemerkt, dass in den letzten acht Tagen einen bedrückten Eindruck vermittelte und man glaubte, dies auf die weniger glücklichen Transaktionen zurückführen zu müssen, die er mit der Banque de Bruxelles und mit seiner Anleihe in Amerika erlebt hatte.

Der Verdacht eines Selbstmordes verdichtete sich immer mehr, und geht aus den Mitteilungen des Direktors der Fokkerwerke in Amsterdam hervor, der erklärte, dass man in Fachkreisen einen Unfall des bekannten Finanzmannes für vollkommen ausgeschlossen halten muss. Es sei ganz ausgeschlossen, dass Loewenstein während des Fluges über den Ärmelkanal infolge der angeblichen Luftkrankheit die Tür verwechselt habe.

Die Ausgangstüren bei den Fokkerflugzeugen seien so konstruiert, dass es unmöglich sei, eine derartige Tür während des Fluges durch Unachtsamkeit zu öffnen. Nur derjenige könne eine solche Türe öffnen der bewusst die Absicht habe, die Ausgangstüre aufzuschließen. Bei der fraglichen Maschine handelt es sich um einen dreimotorigen Fokkerapparat des bekannten Typs „S VII A“. Loewenstein hatte die Maschine erst vor einigen Wochen gekauft. um sie seinem Flugzeugpark, der aus weiteren vier Maschinen bestand, eingegliedert. Es war bekannt, dass der Bankier all seine Reisen mit dem Flugzeug zurücklegte, andere Beförderungsmittel kamen für ihn nicht in Frage.

Loewenstein wurde bald nach dem Start des Flugzeuges in Croyden von einem Unwohlsein befallen und musste zwei Mal den Waschraum aufsuchen. Es wäre sehr gut möglich, dass er von einem Schwächeanfall befallen und sich an die Ausgangstüre gelehnt und die sich durch sein Gewicht öffnete. All das waren jedoch nur Vermutungen und kein Beweis.

Je mehr man sich mit dessen geheimnisvollen Tod beschäftigte, umso undurchdringlicher schien er ihnen. Ein Mitarbeiter hatte in einem Flugzeug versucht, die Ausgangstüre zu öffnen. Es gelang ihm nur einen kleinen Spalt zu öffnen mehr nicht.

Nun kamen allerlei Gerüchte auf, so wollte er seinen ärgsten Gegner Dr. Dreyfus der British-Celanese Co. Ltd., vernichten wollte, da er durch dessen Dominanz verschiedene Niederlagen erlitten hätte.

Verschiedene Blätter geben ihrem Erstaunen darüber Ausdruck, dass in keinem dieser Länder eine gerichtliche Untersuchung dieser rätselhaften Angelegenheit eingeleitet wurde.

Fest steht, dass Loewenstein in Croydon das Flugzeug bestiegen, aber in Dünkirchen bei der Landung nicht mehr zugegen war.

Für Loewensteins Familie kommt nur eines in Betracht, dass es sich um eine Unfall handeln würde.

Am 20. Juli 1928 verbreitete sich die Nachricht von der Auffindung der Leiche wie ein Lauffeuer in ganz Brüssel.

Der Leichnam Loewensteins ist von der Polizei beschlagnahmt worden und die Untersuchung richtet sich nun darauf, ob ein Unglück oder Mord vorliegt. Dass nun sogar Mord möglich wäre hatte großes Aufsehen hervorgerufen.

Die Identifizierung der Leiche wurde durch die Armbanduhr, ermöglicht. Außerdem trug er am Handgelenk eine Erkennungsmarke mit seinen Namen und Adresse. Die Leiche war nur mit einer Unterhose, seidenen Socken und Schuhen bekleidet. Dieser Umstand ist besonders auffallend, da er bekleidet aus dem Flugzeug gefallen sei.

Die Leiche Loewensteins war grässlich entstellt, das Gesicht nahezu unkenntlich, da es in den 14 Tagen im Meer von Fischen angefressen wurde.

Fischer von Boulogne haben die Leiche auf der Höhe von Cap Grisnez auf dem Wasser treibend entdeckt. Der Zustand desselben flößte ihnen einen solchen Widerstand ein, dass sie den Leichnam nicht ins Boot hoben, sondern ihn an einem Seil befestigten und im Wasser nach schleiften. Sogleich in Calais agnosziert, den Totenschein stellte der Bürgermeister aus. Dann von der Polizei übernommen.

Die weitere Untersuchung der Leiche ergab, tiefe Wunden an der linken Brust und auf den Schultern, der Bauch durch den Fall aufgeplatzt und das Gesicht von Krabben bis auf die Knochen abgefressen. Außerdem fehlte ein Teil des linken Fußes. Die Familie wurde von dem Fund telegrafisch verständigt.

Das Begräbnis fand im engsten Familienkreis statt.

QUELLEN: Die Stunde, 8. Juli 1928, S 3;Bild, 7. Juli 1928, S 3, Bild, 11. Juli 1928, S 5, Bild, 14. Juli 1928, S 4, Prager Tagblatt, 26. Juli 1928, S 3.Die Bühne 1928 H 194,S 5, ANNO Österreichische Nationalbibl

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