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MICHELANGELOS WERKE#

Florenz
Michelangelo,Ill.Zeitung

1925: Auf dem Gebiet der Kunst ist Italien noch immer das Land der Überraschungen. Das Erbe seiner antiken Schätze ist noch lange nicht zur Gänze gehoben und es wird noch viel Arbeit auf die Archäologen zukommen, denn fast täglich findet man einen interessanten Gegenstand. So konnte in jüngster Zeit mit Entdeckungen aus dem künstlerischen Schaffen Michelangelos die Mitwelt überrascht werden.

Erst vor wenigen Tagen war im Ort Palestrina, der Geburtsstätte des berühmten Komponisten, im Palazzo Barberini bewundernd vor dem großen Mosaikfußbodenbild aus Ägypten, das die Wunder des Nils zeigt. Aber viel eher interessiert man sich für den Kapellenraum in diesem Palast, in dem, umrahmt von einem Baldach artigen, barocken Stuckvorhang, eine Marmorgruppe der Pietà steht, beim ersten Anblick als michelangelesk erkennbar und doch erst seit einigen Jahren als ein Originalwerk Michelangelos anerkannt, sein Werk in voller Lebendigkeit entgegentritt, und alle plastischen Versuche der Bildhauer unserer Zeit an Bewegung und Formengewaltigkeit weit übertreffend.

Erst zu Weihnachten 1924 im neu eröffneten Petersmuseum in Rom endlich, das nur von Abbildungen in Kunstbücher bekannten große Holzmodell der Kuppel von St. Peter im Original zu sehen. Dasselbe Modell vor dem Papst Paul IV., stand, dessen Vorgänger, Papst Julius III., und der Nachfolger, Papst Pius IV.

Der Fuß leidende Künstler der damals nur mehr auf einem Maultier zu seiner Bauhütte bei St. Peter reiten konnte. Diese sehenswerten Werke sind nun in jenem Museum zu bewundern, das Benedikt XV., gegründet und unter Pius XI., eröffnet wurde, es befindet sich hinter dem linken Flügel der Kolonnaden Berninis dort hat Michelangelo figurale Modelle hinterlassen, die den ihnen gebührenden Platz im Vordergrund bekamen. Es sind sieben von den acht einst vorhandenen Terrakottamodellen jener sechzehn Propheten, die der Künstler auf den Doppelsäulen der Trommel der Peterskirche aufstellen wollte, die vier großen Propheten Isaias, Jeremias, Daniel und Ezechiel, die er auch malerisch im „Jüngsten Gericht“ vereinigt hat, und die zwölf kleineren. Von ihrem Rücken aus sollte dann der riesige Schwung der Kuppel aufsteigen. Seit einem halben Jahr stehen diese nackten Figuren nur mit wallenden Gewändern drapierten Gestalten in dem Museum, ohne dass sie in ihrer wirklichen Bedeutung aufgefallen und besprochen worden wären, wenn auch ihr Entdecker Museumsdirektor Giuseppe Cascoli sich der Bedeutung seines Fundes bewusst war. Gefunden wurden sie in einem Winkel unter Staub, Holz und Fetzen. Nun werden die gefundenen Figuren bereits im Museumsführer erwähnt.

Bei der gegenwärtigen Forschung zu Michelangelos Leben und Kunst in Rom können wir von einer deutlichen Duplizität der Fülle sprechen, die manchmal so gerne eintritt. So gelingt dem Professor der exotischen Pathologie an der römischen Universität dem Kalabresen Dr. Franz la Cava, nach jahrelangen vergleichenden, geschichtlichen und kritischen Studien in einer Schrift den gelungenen Nachweis zu führen, dass sich Michelangelo, von dem wir sonst kein Selbstporträt besitzen, selbst auf diesem Gemälde konterfeit hat.

Bekanntlich sieht auf diesem Gemälde der Sixtinischen Kapelle zu Füßen des als zürnender Rächer und Richter auftretenden Heiland die nackte, bärtige Figur eines alten Mannes des hl. Bartholomäus, der mit seiner Rechten ein Messer hoch hält und in der Linken einen Balg, eine abgezogene Menschenhaut mit deutlichen Händen und Füßen herabwallen lässt. In diesen Balg hinein ist nun ein verzerrtes, aber lebendig sprechendes, Qual durchfurchtes Antlitz gemalt, an dem Hunderttausende täglich achtlos vorbei gingen, ohne zu ahnen, dass sie hier den Meister vor sich hätten. NationalbiblotheEs ist nicht nur ein Selbstporträt, es ist ein Selbstbekenntnis und eine Abrechnung Michelangelos mit seinen Feinden und Neidern, die ihm gerade damals viel zu leiden gaben, namentlich der böse Spötter Avetino, dessen Züge man nachträglich im Antlitz des Bartholomäus wieder erkennen wollte, ohne La Cavas Zustimmung dafür zu bekommen. Und von der inneren Größe, von der gerechten Selbsteinschätzung des Florentiners Meisters zeigt gerade das kühne Unterfangen, dass er sich in das Gemälde des „Jüngsten Gerichtes“ einstellt, dass er das Urteil über sich dem höchsten Richter am letzten Schiedstag der Welt überlässt. Michelangelo nahm das „Jüngste Gericht“ in der Sixtina zum persönlichen Hintergrund und einen Geschundenen, wie es Bartholomäus war, zum Darsteller seiner Schmerzen.

QUELLE: Grazer Volksblatt, 7. Juli 1925, Österreichische Nationalbibliothek ANNO

https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Historisches_von_Graupp


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-- Lanz Ernst, Montag, 11. September 2023, 16:08