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Das achtklassige Gymnasium in Österreich#


von Dr. Markus Loew


Im Jahre 1849 brachte der "Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Oesterreich" die Verlängerung des Gymnasiums um zwei Schuljahre und somit die Schaffung des achtklassigen Gymnasiums.

Den entscheidenden Anstoß zu dieser Umstrukturierung gab die Auflassung der für alle Universitätsbesucher bislang verpflichtenden Vorstufe zu weiteren Studien: der beiden philosophischen Jahrgänge. Deren Aufgabe musste nunmehr die Oberstufe des Gymnasiums übernehmen. Bereits am 10. Mai 1848 wurde ihm eine "erste Lyceal-Classe" aufgestockt. Die Neuregelung bedeutete auch einen ersten Schritt zum Fachlehrersystem, das zwar im Philosophiestudium üblich war, aber an den österreichischen Gymnasien nur zwischen 1806 und 1818 bestanden hatte. Damit war ein Anfang für die Neuorganisation des Gymnasiums gemacht worden; die umfassende gesetzliche Regelung stand aber noch aus. [1]

Diese Neuregelung wurde unter der Führung von dem Ministerialrat im Unterrichtsministerium Univ.-Prof. Franz Exner gemeinsam mit dem preußischen Gymnasiallehrer Hermann Bonitz, der 1849 einen Lehrstuhl für klassische Philologie an der Wiener Universität erhalten hatte, ausgearbeitet. Der von diesem Team verfasste "Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Oesterreich" wurde von dem damals gerade bestellten Unterrichtsminister Leo Graf von Thun-Hohenstein nach kurzer Prüfung Kaiser Franz Joseph I. vorgelegt und von diesem bereits am 16. September 1849 genehmigt.[2] Auf Grund dieses sogenannten "Organisationsentwurfes", der 260 Druckseiten umfasst, wurde das Gymnasium – durch Einbeziehung der bisher zur Universitätsausbildung zählenden philosophischen Jahrgänge – zu einer achtklassigen Bildungsanstalt.[3]

Die "Maturitätsprüfung" als Abschluss des Gymnasiums und Berechtigung zum Besuch der Universität wurde ebenfalls 1849 eingeführt; 1908 wurde sie reformiert und in "Reifeprüfung" umbenannt. [4]

Dadurch, dass das Studium der Gymnasiallehrer nunmehr an den Universitäten erfolgen musste, wurden die Universitäten in unmittelbare Beziehung zu den Mittelschulen gesetzt. [5]

Die Realschule sollte nun "so nahe als möglich an die Gymnasien" herangeführt werden, denn es wäre, wie Franz Exner im "Organisationsentwurf" erklärte, "einer der schlimmsten Fehler, wenn man die größere Hälfte der Staatsbürger durch die Organisation der Schulen von einer höheren allgemeinen Bildung ausschließen [...] wollte". [6]

In den Revolutionsjahren 1848/49 war auch der Gedanke aufgekommen, einen gemeinsamen Unterbau für Gymnasium und Realschule zu schaffen. Der "Organisationsentwurf" hatte die Möglichkeit der "Combinirung der Unter-Realschule und des Untergymnasiums" erwähnt.[7] Im Jahre 1862 wurde zum ersten Mal ein solcher Schultyp errichtet, für den die Bezeichnung "Real-Gymnasium" aufkam. Infolge der "Mittelschul-Enquete" von 1908 kam es dann am 8. August 1908 zur Einführung des achtklassigen "Realgymnasiums" als einer dem Gymnasium gleichgestellten Mittelschule. [8]

In der Ersten Republik bekamen die Mittelschulen durch das "Mittelschulgesetz" vom 2. August 1927 ihre Gestalt. Die Mittelschulen wurden einheitlich achtklassig, was für die Realschule eine Verlängerung um eine Schulstufe bedeutete, begannen seither einheitlich nach der 4. Volksschulklasse und boten die Varianten "ymnasium, Realgymnasium und Realschule, für Mädchen auch Frauenoberschulen".[9] Mit Hilfe der 1928 geschaffenen Lehrpläne wurden die Bestimmungen der Schulgesetze von 1927 in die Tat umgesetzt. [10] So hatte der Lehrplan der Hauptschule im Wesen dem Lehrplan von Untermittelschulen zu gleichen, um den geeigneten Schülern einen Übertritt zu ermöglichen. [11]

Bereits im Jahre 1934 wurden die Schulgesetze von 1927 wieder aufgehoben. Nur sechs Wochen nach dem Bürgerkrieg vom Februar 1934, am 23. März, hat man mit auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917 gestützten Verordnungen die Schulorganisation stark verändert.[12] Das Ziel dieser Maßnahmen war es vor allem, die Hauptschule und die einzelnen Typen der Mittelschule scharf voneinander zu trennen. [13]

Die 1938 durch den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich einsetzende nationalsozialistische Schulpolitik verursachte einschneidende Veränderungen in den Schulen. Neue Erziehungs- und Bildungsaufgabe wurde es, "den nationalsozialistischen Menschen formen zu helfen".[14] Die Schulorganisation wurde an die deutschen Verhältnisse angeglichen. Die Mittelschulen, für die man nach dem Muster des Deutschen Reiches die Bezeichnung "Höhere Schulen" einführte, wurden in "Oberschulen für Jungen" und "Oberschulen für Mädchen" umgewandelt. Daneben bestand als Sonderform der Höheren Schule für Knaben das Gymnasium weiter.

Nach der Wiedererrichtung der Republik Österreich 1945 stand auch im Schulbereich das Bemühen im Vordergrund, die durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Zerstörungen und durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft angerichteten Schäden zu beseitigen und den Wiederaufbau voranzutreiben. Die wichtigste Aufgabe der Schulpolitik war die Rückführung des Schulwesens auf österreichische Verhältnisse. [15] Der Philosophieunterricht, der an den Oberschulen abgeschafft war, wurde wieder eingeführt; der Religionsunterricht, der während der nationalsozialistischen Zeit nur als Freigegenstand gegolten hatte, wurde wieder Pflichtfach. Bereits am 1. Mai 1945 war durch die Wiedereinführung der Rechtsvorschriften des österreichischen Schulwesens aus der Ersten Republik die Rückführung der Schulorganisation in die Verhältnisse, wie sie vor 1934 bestanden hatten, veranlasst worden. [16] Dabei war von vornherein klar, dass dies nur ein Provisorium sein konnte, dass alle anstehenden Probleme aufgearbeitet werden mussten und die Lehrpläne neu zu gestalten waren. [17]

Die angestrebte grundlegende Neuordnung des Schulwesens brachte schließlich das Schulgesetzwerk 1962 zustande.[18] Das Kernstück dieser Schulgesetze hat das Schulorganisationsgesetz (SchOG) vom 25. Juli 1962 gebildet, das in Modifizierungen auch den Aufbau des heutigen Schulwesens bestimmt.[19] Die Mittelschule wurde in "Allgemeinbildende höhere Schule" (AHS) umbenannt. Sie besteht seitdem in drei Formen: als Gymnasium, als Realgymnasium und als Wirtschaftskundliches Realgymnasium (damals: für Mädchen). Das "Musisch-pädagogische Realgymnasium" – seit 1975 in "Oberstufenrealgymnasium" umbenannt – etablierte sich als selbständige Oberstufenform. Der Unterricht wurde nun an allen, auch an den höheren Schulen, unentgeltlich.

Die vom Gesetz vorgesehene Bestimmung über das 9. Schuljahr an der AHS (insgesamt also 13 Schulstufen bis zur Reifeprüfung) wurde 1969 auf Grund eines Volksbegehrens – noch bevor sie wirksam geworden wäre – sistiert und mittlerweile abgeschafft. [20] Durch die Aufhebung der Aufnahmsprüfung seit dem Schuljahr 1971/72 hat jeder Volksschüler mit einem entsprechenden Zeugnis der 4. Klasse die Möglichkeit, in die AHS einzutreten. [21] Im ersten Schuljahr ohne Aufnahmsprüfung traten um 19,1 Prozent mehr Schüler in die ersten Klassen ein als im Jahr zuvor. [22] Die Oberstufe der AHS hat durch die 11. SchOG-Novelle ihre Reform erhalten, die seit dem Schuljahr 1989/90 wirksam ist. [23] Die einzelnen, voneinander getrennten Oberstufenformen innerhalb der drei Grundtypen Gymnasium, Realgymnasium und Wirtschaftskundliches Realgymnasium, die seit dem Inkrafttreten des SchOG bestanden hatten, wurden abgeschafft und durch das System der Wahlpflichtfächer ersetzt.

Bleibende Aufgabe des Gymnasiums ist es, "„den Schülern eine umfassende und vertiefte Allgemeinbildung zu vermitteln und sie zugleich zur Universitätsreife zu führen". [24]

Quellen und Literatur:#

[1] Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs, Bd. 4 (Wien 1986), S. 147.
[2] Kaiserliche Verordnung vom 16. September 1849. RGBl. Jg. 1849, Nr. 393.
[3] Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Bd. 4, S. 147.
[4] Vgl.: Markus Loew, Die Achter-Jahre des 20. Jahrhunderts in der österreichischen Schulgeschichte. In: Jahres-bericht 1987/88 des Bundesgymnasiums und Realgymnasiums Wien XII., Rosasgasse 1-3 (Wien 1988), S. 30-36, hier: S. 30.
[5] Hans Kutschera, Zur Entwicklung des höheren Bildungswesens in Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. In: Jahresbericht 1979/80 des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums 1100 Wien, Ettenreichgasse 41-43 (Wien 1980), S. 7-22, hier: S. 15.
[6] Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Oesterreich. Vom Ministerium des Cultus und Unterrichts (Wien 1849), S. 222.
[7] Ebd., S. 225.
[8] Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 8. August 1908. MVBl. Jg. 1908, Nr. 47.
[9] Mittelschulgesetz. Bundesgesetz vom 2. August 1927. BGBl. Jg. 1927, Nr. 244.
[10] Lehrpläne für die Mittelschulen, festgesetzt durch Verordnung vom 1. Juni 1928. BGBl. Jg. 1928, Nr. 138.
[11] Vgl.: Markus Loew, Die Lehrpläne für die Schulen der Zehn- bis Vierzehnjährigen in Österreich im 20. Jahrhundert. Vergleichende Darstellung vom Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie bis zur Gegenwart (geisteswiss. Diss. Wien 1998).
[12] Verordnung der Bundesregierung vom 23. März 1934, betreffend die Mittelschulen. BGBl. Jg. 1934, I. Teil, Nr. 198.
[13] Richard Olechowski, Schulpolitik. In: Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik, ed. Erika Weinzierl, Kurt Skalnik, Bd. 2 (Graz/Wien/Köln 1983), S. 589-607, hier: S. 603
[14] Erlaß vom 29. März 1938, Z. 10 208-II/7. MVBl. Jg. 1938, Nr. 8.
[15] Max Neugebauer, Schulwesen. In: Österreich. Die Zweite Republik, ed. Erika Weinzierl, Kurt Skalnik, Bd. 2 (Graz/Wien/Köln 1972), S. 323-345. Richard Olechowski, Schul- und Bildungspolitik. In: Das neue Österreich. Geschichte der Zweiten Republik, ed. Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Graz/Wien/Köln 1975), S. 225-240.
[16] Verfassungs-Überleitungsgesetz vom 1. Mai 1945. StGBl. Jg. 1945, Nr. 4.
[17] Richard Olechowski, Schul- und Bildungspolitik während der Ersten und der Zweiten Republik. In: Österreichs Erste und Zweite Republik. Kontinuität und Wandel ihrer Strukturen und Probleme, ed. Erich Zöllner (= Schriften des Institutes für Österreichkunde 47, Wien 1985), S. 99-120, hier: S. 113.
[18] Vgl.: Markus Loew, 30 Jahre Schulorganisationsgesetz. In: Jahresberícht 1991/92 der HBLA Wien XIII., Bergheidengasse 5-19 (Wien 1992), S. 34-44. Ders., 40 Jahre Schulorganisationsgesetz. In: Festschrift 100 Jahre Gymnasium, Realgymnasium 10 Ettenreichgasse 1902-2002 (Wien 2002), S. 36-41.
[19] Schulorganisationsgesetz (= SchOG). Bundesgesetz vom 25. Juli 1962. BGBl. Jg. 1962, Nr. 242.
[20] Sistierung: 3. SchOG-Novelle. Bundesgesetz vom 10. Juli 1969. BGBl. Jg. 1969, Nr. 289, Art. I. Abschaffung: 7. SchOG-Novelle. Bundesgesetz vom 30. Juni 1982. BGBl. Jg. 1982, Nr. 365, Art. I.
[21] Sistierung: 4. SchOG-Novelle. Bundesgesetz vom 8. Juni 1971. BGBl. Jg. 1971, Nr. 234, Art. I. Abschaffung: 7. SchOG-Novelle, Art. I.
[22] Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Bd. 5 (Wien 1988), S. 502.
[23] 11. SchOG-Novelle. Bundesgesetz vom 9. Juni 1988. BGBl. Jg. 1988, Nr. 327, Art. I.
[24] SchOG, § 34.

Redaktion: Dr. Markus Loew