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Sind Ghettos eine unausweichliche Folge der Immigration?#

Josef Kohlbacher

Das Wort „Ghetto“ bezeichnete ursprünglich ein von den übrigen Vierteln der Stadt durch Mauern abgetrenntes Wohnviertel der jüdischen Bevölkerung, in dem diese zunächst eher freiwillig, später dann gezwungenermaßen lebte.

Dem Ghetto wohnt zu Recht ein negativer Beigeschmack inne. Ghettoisierung mag dort akzeptabel sein, wo sie wirklich freiwillig erfolgt. In der sozialen Realität ist dieses Phänomen in den Städten der Gegenwart aber sehr häufig auf soziale und ökonomische Ausschließungsprozesse zurückzuführen. Migranten leben in Ghettos, weil Wohnraum in „besseren“ Stadtvierteln für sie unerschwinglich ist. Zahlreiche Befragungen unter Zuwanderern haben europaweit den Nachweis erbracht, dass zwar nicht alle, aber viele Migranten lieber nicht in ethnischen Wohnvierteln, sondern mit Einheimischen durchmischt wohnen wollen. Dies vielfach auch um der sozialen Kontrolle zu entgehen, welche die ethnische Community in Ghettos auf den Einzelnen, besonders auf Frauen, ausübt.

Ghettoisierung ist auch aus integrationspolitischen Gründen negativ zu bewerten. Studien haben ergeben, dass viele von den in türkischen Wohnghettos deutscher Städte lebenden Kindern zum Zeitpunkt ihrer Einschulung kaum über deutsche Sprachkenntnisse verfügen – sie leben ja auch in einem rein türkischen Umfeld! Dies schmälert ihren Schulerfolg aber außerordentlich. Diese in Deutschland geborene und häufig bereits die dritte Zuwanderergeneration repräsentierende Gruppe verfügt heute vielfach über weit schlechtere Deutschkenntnisse als türkische Schüler der „Gastarbeiterära“ der 1960er und 1970er Jahre.

Ghettos können aber auch konfessionellen und ideologischen Fundamentalismus fördern, der in abgeschotteten Wohnvierteln lange im Verborgenen gedeihen kann. Auf jeden Fall hemmen sie die Integration in das lokale Bildungssystem sowie in den örtlichen Arbeitsmarkt.

Ghettos haben aber auch positive Effekte. Sie stellen eine Infrastruktur zur Verfügung, die exakt den Bedürfnissen ihrer Bewohner entspricht: Lebensmittelgeschäfte, Videotheken und Textilläden, die genau jene Waren verkaufen, die von einer bestimmten Migrantengruppe nachgefragt werden.

In vielen europäischen Metropolen wird der Versuch unternommen, zu starke Ghettoisierungsprozesse durch wohnungspolitische Maßnahmen zu vermeiden. Dies mit unterschiedlichem Erfolg. Während sich in Berlin- Kreuzberg bereits ein türkisches Ghetto etabliert hat, welches in der Tat die größte türkische Stadt außerhalb der Türkei ist, wird durch eine umsichtige Wohnungsbelegungspolitik in schwedischen und niederländischen Städten eine Verstärkung der Ghettoisierung hintangehalten. In Wien können die Gemeindebauten, die ja über die ganze Stadt verteilt sind und billigen Wohnraum zur Verfügung stellen, als ein wichtiges Instrumentarium gegen Ghettoisierung angesehen werden.

Zuwanderung muss also, dies beweist die Wiener Situation, nicht notwendigerweise mit Ghettobildung einhergehen. Es liegt primär an der urbanen Wohnungspolitik, hier ausgleichende Strategien zu verfolgen.


Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch:

© 2007 by Styria Verlag in der, Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG, Wien
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