„Vergangenheitsbewältigung“ – ein internationales Anliegen?#
Otmar Höll
Das zwanzigste Jahrhundert war nicht nur das Jahrhundert der Durchsetzung der rechtlich verpflichtenden Achtung der Menschenrechte, es war auch das Jahrhundert historisch einzigartiger Gewaltkonflikte und Genozide zwischen Staaten, unterschiedlichen Stämmen und Ethnien sowie zwischen verschiedenen Religionen.
Ein kurzer Blick auf die Geschichte dieser Konflikte zeigt, dass nur in jenen Fällen, in denen eine Aussöhnung zwischen den Konfliktparteien tatsächlich gelungen ist, der Ausbruch weiterer Gewaltkonflikte auf Dauer verhindert werden konnte.
Der Umgang mit einer belasteten nationalen Vergangenheit weist in verschiedenen Fällen ein breites Spektrum auf, das von kollektiver Verdrängung bis zur symbolischen, manchmal auch zur offiziellen Entschuldigung durch Vertreter von historisch verantwortlichen Regierungen reicht.
Positive Beispiele finden sich schon in der näheren Umgebung Österreichs: Deutschland, das allein im letzten Jahrhundert zweimal für den Ausbruch von Weltkriegen verantwortlich war und das in Form des Naziregimes für den millionenfachen Genozid an Juden, Roma, Sinti und anderen unerwünschten Minderheiten und Personen verantwortlichwar, hat durch bewusste, von den USA auch eingeforderte „Re-Education“- Programme gesellschaftliche Aufarbeitung in Form von politischer Bildung, breiter öffentlicher Diskussion und im Rahmen der Schulerziehung die nötige gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen. Diese Grundlage erst hat es dem sozialdemokratischen Regierungschef Willy Brandt gegen Ende der 1960er Jahre ermöglicht, die „neue Ostpolitik“ einzuleiten, die in seinem Aufsehen erregenden Kniefall vor dem Mahnmal des 1943er Aufstandes im jüdischen Warschauer Ghetto am 7. Dezember 1970 gipfelte.
Positiv als Beispiele der Bewältigung sind die Einrichtungen von Wahrheitskommissionen in Südafrika und in einigen lateinamerikanischen Staaten wie El Salvador und anderen zu nennen. Ziel von Wahrheitskommissionen ist es, dass Täter und Opfer bzw. deren Angehörige in öffentlichen Verfahren miteinander sprechen und die Täter ihre Tat einbekennen müssen und sich entschuldigen. In der Regel können sie dadurch einer Verurteilung im eigenen Land entgehen.
In einigen Fällen, in denen es nach Bürgerkriegen, Genoziden oder sonstigen Gewalttaten im Land selbst nicht möglich war, die Vergangenheit positiv aufzuarbeiten, wurden von der Staatengemeinschaft oder den Vereinten Nationen internationale Tribunale eingerichtet, wie etwa jenes für Jugoslawien in Den Haag oder für Ruanda nach den Gewalttaten im Jahr 1994 in Arusha/ Tanzania. Des Völkermords oder sonstiger Verbrechen gegen die Menschlichkeit Beschuldigte werden wie in nationalen Strafverfahren einem internationalen Gerichtsverfahren unterworfen.
Mit der Schaffung des internationalen Strafgerichtshofes (IStGH – „Statut“ von Rom aus dem Jahr 1998, das 2002 in Kraft trat und dem die USA bislang nicht beigetreten sind) hat die Staatengemeinschaft einen weiteren bedeutsamen Schritt getan, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die imnationalen Rahmen nicht geahndet werden (können), systematisch der internationalen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und abzuurteilen. Der IStGHist eine unabhängige internationale Organisation, die ihren permanenten Sitz in der holländischen Hauptstadt Den Haag hat.
In vielen anderen weiter zurückliegenden Fällen, wie etwa Japans Kriege gegen China 1894/95 und 1937–1945, japanische Greueltaten während der Kolonialzeit in Korea 1910–1945, Massaker an den Armeniern in der Türkei 1915–1917 und 1919–1921, blieb der „Umgang“ mit einer Vergangenheit der massiven Gewaltakte der historischen „Verdrängung“ anheim gestellt. Ähnliches gilt auch in der jüngeren Vergangenheit für Staaten wie Kambodscha, in dem die Roten Khmer ihres Führers Pol Pot für Millionen Tote in den 1970er und 1980er Jahren verantwortlich waren, die im Wesentlichen ungesühnt blieben.
Österreich liegt imÜbrigen in seiner Vergangenheitsbewältigung der Zeit des Nationalsozialismus im Mittelfeld positiver und negativer Beispiele. Hier hat erst die „Affäre Waldheim“ 1986 zu einem sehr späten gesellschaftlichen Reflexionsprozess geführt, aber eine große Zahl von Verbrechern kam durch Versäumnisse der Politik und der Justiz in der Zweiten Republik ohne Sühne davon.
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: