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Der alte Hund beißt noch immer#

Kellerlokal an der Wiener Wollzeile überstand zwei Weltkriege und machte dutzende Kabarettisten berühmt#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 12. September 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Mathias Ziegler


100 Jahre "Simpl" - Jubiläumsrevue und Neuauflage des "Simpl"-Buches.#

Revue: das Markenzeichen des 'Simpl'
Bis heute ist die Revue das Markenzeichen des "Simpl", hier etwa 1934 mit Karl Farkas (M.) und Fritz Grünbaum (r.): "Robinson Farkas auf der Grünbaum-Insel".
© Archiv

Wien. Friedrich Torberg nannte es "das Burgtheater des Kabaretts", für Karl Farkas war es "ein größenwahnsinnig gewordenes Nudelbrett". Von Egon Dorn am 25. Oktober 1912 als "Bierlokal Simplicissimus" eröffnet, hat der "Simpl" alle Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts mitgemacht, nachzulesen in Julia Sobieszeks neu aufgelegtem Buch "Zum Lachen in den Keller". Mit der Revue "100 Jahre Simpl" (offizielle Premiere diesen Freitag) wird das Jubiläum schon jetzt gefeiert.

Den Namen und das Logo - die rote Bulldogge - hat der "Simplicissimus" von der gleichnamigen Satirezeitschrift. Von Anfang an gibt es bunt gemischte Revuen, zunächst ohne gespielte Szenen, weil Direktor Dorn fürchtet, dass die Leute weniger essen und trinken, wenn sie gebannt einer Handlung folgen (damals herrscht Konsumationszwang). Und schon zu Beginn gibt es einen Conférencier: Der erste ist Richard Hutter. Ihm folgen große Namen wie Fritz Grünbaum und Karl Farkas. Deren legendäre Doppelconférencen ab 1922 sorgen für ein volles Haus, während die Führungsetage öfter wechselt (siehe Grafik). 1932 wird an der Mariahilfer Straße 105 eine Art Zweigstelle eröffnet: die "Rakete" (ohne Konsumationszwang).

Doch das "Simpl" spürt auch die beiden Weltkriege. Kann der Spielbetrieb im Ersten Weltkrieg noch aufrechterhalten werden - der Ausfall männlicher Darsteller sorgt für eine ungewohnt hohe Frauenquote -, ist am 12. März 1938 endgültig Schluss für das jüdische "Simpl" unter Josef Czech und Alexander Goldfarb.

Arisiert und ausgebombt#

Während Farkas noch über Umwege in die USA flüchten kann - er lässt sich von seiner nichtjüdischen Frau scheiden, um sie und den behinderten Sohn zu schützen -, werden etliche Kollegen ins KZ verschleppt. Grünbaum überlebt es nicht. Sobieszek zitiert einen Zeitzeugen: "Er wurde mit dem Rücken auf den Boden gezwungen. Mit einem Kunstgriff wurde ihm die Zunge herausgezogen, und die gesamte Begleitmannschaft ging an ihm vorüber und wischte sich die Stiefelsohle an der Zunge ab, bis diese nur mehr ein unkenntlicher, verschwollener, blutiger Fleischklumpen war." Trotzdem gibt Grünbaum bis zu seinem Tod wie mehrere andere Kabarettisten im Lager geheime Vorstellungen.

Der "Simpl" wird derweil arisiert und sperrt am 28. Jänner unter dem Nazi Felix Bernard wieder auf. Die Zensur ist streng, die meisten Texte sind entsprechend harmlos. Als Wien bombardiert wird, ist der Keller eine Zufluchtstätte samt Suppenküche. Untertags kochen Helly Gassner und Friedl Buchar, abends stehen sie auf der Bühne. In den letzten Kriegstagen werden das Büro und das Archiv zerbombt. Ensemblemitglied Fritz Muliar (er wird 1940 eingezogen) dazu: "Alle guten Texte wurden ohnehin schon davor zerstört." Am 3. April 1945 ist die letzte Vorstellung unter Bernard - er wird von den Russen verschleppt und verschwindet spurlos. Laut Muliar soll er in der Tschechoslowakei auf offener Straße erschlagen worden sein.

800.000 Schilling Schulden#

Der neue Chef ist Otto Grünhaus Oegyn, mit Ernst Waldbrunn als Conférencier. Ende 1945 stößt Heinz Conrads dazu, ein Jahr später feiern Pirron & Knapp ihr Debüt, es folgen Maxi Böhm und Gerhard Bronner. Nach und nach kehren auch die Emigrierten, KZ-Überlebenden und Kriegsgefangenen zurück - an eine heruntergewirtschaftete Bühne: Beim Abgang im August 1948 hinterlässt Oegyn 800.000 Schilling Schulden. Der zurückgekehrte Goldfarb klagt Oegyn, der "Simpl" wird aus der Konkursmasse ausgeschieden. Die Suche nach Geldgebern ist schwierig, nach langem Hin und Her übergibt Goldfarb an Karl Schmidt, Inhaber des Royal Verlages. Der neue Chef hat wenig Ahnung, wenig Erfolg und einen hohen Direktorenverschleiß. Erst Farkas’ langersehnte Rückkehr auf die Bühne 1950 wendet das Blatt. Schlagartig ist das Haus wieder voll. Farkas führt die typische Nummernrevue wieder ein und lässt mit Waldbrunn die Doppelconférencen wieder aufleben.

Der glücklose Schmidt übergibt schließlich an Baruch Picker. Der hat sich als 60-Jähriger nach der Rückkehr aus der Emigration aus dem Nichts eine Existenz als Spengler aufgebaut. Legendär ist seine Sparsamkeit, die ihm viele als Geiz auslegen. So ist er auch dagegen, als Farkas 1955 mit "Simpl"-Nummern zum ORF geht - aus Angst um die Umsätze der Bühne. Und Farkas, dessen "Bilanz"-Sendungen Riesenerfolge werden, verscherzt es sich auch mit seinem Sketchschreiber Hugo Wiener, dessen Texte er für das Fernsehen "geklaut" hat.

100 Jahre 'Simpl'

Ein schwieriger Einstand#

Doch ein "Simpl" ohne Farkas? Unvorstellbar. Umso größer ist die Lücke, die sein Krebstod im Mai 1971 reißt. Als dann 1972 Maxi Böhm und Cissy Kraner krank werden und Fred Weis stirbt, wird es Picker zu riskant. Er verkauft 1974 nach zähen Verhandlungen an Martin Flossmann - ohne das Ensemble zu fragen. Während die Schauspieler mit Picker um Abfertigungen streiten, ist die Resonanz auf Flossmann negativ. Doch man rauft sich zusammen. Zunächst wird der dringend sanierungsbedürftige Keller renoviert, was nicht ohne Chaos abläuft. Aus den Tischen in der Mitte werden Sitzreihen, der Konsumationszwang ist nun obsolet. Unter Flossmann wird das Programm politischer, und nach Aufregern wie der erfolgreichen Travestieshow "Les Garçons Terribles" ist der "Simpl" wieder auf Erfolgskurs. Maxi Böhm feiert ein Comeback, und spätere Stars wie Erwin Steinhauer kommen neu dazu. Ab den 1980ern treten auch Solokabarettisten am "Simpl" auf.

1981 macht Flossmanns zweite Frau Elfi (Ossy Kolmanns Tochter) den jungen Kulissenschieber Albert Schmidleitner zum Geschäftsführer. 1993 folgt die erste geordnete Übergabe im "Simpl": Flossmann zieht sich zurück, Schmidleitner wird Besitzer, der erst 25-jährige Michael Niavarani künstlerischer Leiter. Seit 19 Jahren ist dieses Dreamteam nun am Werk. "Wir sind wie ein altes Ehepaar", meint Schmidleitner, der 2008 als zusätzliche Spielstätten das "Palais Nowak" errichtet und das pleitegegangene "Vindobona" zugekauft hat. Sein Erfolgsrezept: "Bei der Schreibarbeit gehen Nia und ich sehr unromantisch miteinander um, wenn eine Nummer ein Schas ist, sagen wir das einander und streichen sie einfach." Und seit Egon Dorn gilt: "Wer im ‚Simpl‘ spielt, muss auf den Lacher gehen. Das Lachen ist bei uns das Wichtigste."

Buchtipp:

Julia Sobieszek: Zum Lachen in den Keller – 100 Jahre Simpl; Amalthea Verlag; 22,95 Euro

--> Kabarett Simpl

Wiener Zeitung, Mittwoch, 12. September 2012