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Affentheater im Wurstelprater#

Der Prater feiert 2016 seinen 250. Geburtstag: "Unbekannte Pratergschicht’n" Teil XIII.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 22. April 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Clemens Marschall


Beliebte Ansichtskartenmotive waren die Tiergärten und Affentheater viele Jahre lang
Beliebte Ansichtskartenmotive waren die Tiergärten und Affentheater viele Jahre lang.

Wien. "Die Geschichte der Tierschauen in Wien ist lang", erzählt Robert Kaldy-Karo, der Direktor des Wiener Circus- und Clownmuseums, während er durch das Musum führt. "Schon Ende des 18. Jahrhunderts fand man am Ende der damaligen Jägerzeile - heute Praterstraße - zeitweilig Tierschauen. 1783 gab es bereits ein ‚Tierkabinett‘ direkt im Prater, aber bis in die 1830er Jahre waren diese Schauen noch eher bescheiden."

1829 etwa zeigte Thomas Gulley aus London eine Klapperschlange, eine Anakonda, Harlekin-Korallenschlangen und ein Krokodil. Kaldy-Karo erzählt die Geschichte weiter: "Ab den 1840ern wuchsen die Menagerien im Prater aus dem Boden. Allen voran wurde Heinrich Schreyer zu einem legendären Dompteur und Praterunternehmer." 1845 kaufte Schreyer eine Bretterbude und eröffnete 1847 darin sein Affentheater für die "vierfüßige Künstlerschaft", wie er sie nannte.

Dort konnte man Vorstellungen wie "Die moderne Fahrt in den Prater oder Reiseabenteuer einer Äffin" bestaunen. Bei den Affentheatern wurden, wie auch bei den Menschen, in Programmheften die Namen der Bühnenfiguren angeführt. Beim Stück "Das Festessen der vierfüßigen Künstler" liest sich das auszugsweise so: "Paviano, ein Zweckessen-Arrangeur", "Hudriwudri, ein Gelegenheitdsdichter", "Hackauf, ein Virtuose", "Fresseviele, ein Zweckesser" und "Sattstopfl, ein Festesser". "Man hat sich zwar peu à peu vom blutigen Hetztheater abgehoben, aber der Tierschutz hat sich nur langsam ausgebreitet", so Kaldy-Karo. "Mitbegründer des Wiener Tierschutzvereins war 1846 der bekannte Wiener Schriftsteller Ignaz Franz Castelli, und ab da hat sich das immer weiter entwickelt."

Die erste Aufführung in Schreyers Affentheater fand zwar offiziell schon zum Wohle des "Antiaffenquälvereines" statt, aber eher paradoxerweise, wie Kaldy-Karo meint: "Affen haben selten den Winter überlebt: sie wurden falsch gefüttert und die Objekte waren nicht geheizt. Aber jeder hatte seinen Affen, auch unbekannte Straßenmusikanten. Ein Affe war zirka 12 Gulden wert - das war nicht viel Geld und mag auch der Grund dafür sein, warum sie damals allgegenwärtig waren, wie man auf historischen Stichen sieht."

In Schreyers Aufführungen zu sehen waren nicht nur Affen, sondern auch Pferde und Hunde - großteils Pudel. "Teilweise ritten die Affen auf Pferden, Hunde und Ziegen sind aber auch als ihre Reitpferde verkleidet worden. Die Affen wurden in steirische Volkstrachten gesteckt und tanzten zu steirischer Volksmusik", erzählt Kaldy-Karo anhand von Stichen aus dem Museumsarchiv. "Diese Shows müssen Mordsspektakel gewesen sein, die sicherlich sehr unkontrolliert abgelaufen sind: die Hunde haben die Affen gebissen, die Affen die Hunde, und alle zusammen die Vorführenden. Wahnsinn muss auch gewesen sein, die ganzen Affen in Kostüme zu stecken - also artgerecht kann das nicht zugegangen sein."

Es wurden Kriegsszenen nachgespielt, die Erstürmungen von Festungen etwa. Beim Wiener Publikum war das sehr beliebt, wobei die denkende Schicht schon damals von Tierquälerei gesprochen hat." Das Theater muss gut gegangen sein: Heinrich Schreyer starb am 22. August 1847 schon vier Monate nach der Eröffnung, aber er hinterließ seiner Familie neben dem florierenden Geschäft 30.000 Gulden - und 15 Affen, 13 Hunde, einen Eisbären, eine Gazelle, eine Hyäne, einen Leoparden, einen Tiger, einen Luchs, einen Ameisenbären, eine Riesenschlange, ein Zebra, zwei Pelikane, zwei Strauße und etliche Löwen. In Schreyers Nachlass wurden die 15 Affen auf 180 Gulden, die 13 Hunde auf 65 Gulden, ein Ameisenbär auf 10 Gulden, und die zwei Strauße auf 200 Gulden geschätzt. Johanna Schreyer führte die Menagerie nach dem Tod ihres Mannes weiter, allerdings unter Leitung von Carl Orban, der selber einen "Affencircus" hatte.

Menagerien und Walkadaver#

Die Konkurrenz zu jener Zeit schlief nicht: 1847 besaßen die Herren Nawratil und Wilhelm ebenfalls Menagerien im Prater; das "Niederländische Affentheater" von Broekman gastierte 1862 auf der Circuswiese. Besonders beliebt bei Broekman war die Äffin Pompadour mit einem blauen Mandrill als Diener, berichtet Kaldy-Karo und nimmt einen Original-Programmzettel aus einer Archivmappe: "Pompadour dürfte über die Bühne stolziert sein, wobei sie entweder selbst über die Schleppe ihres Kleides gestolpert oder ihr Diener draufgestiegen ist. Auf dem Programmzettel steht ironischerweise ‚Der noble Spaziergang der Madame Pompadour oder: Fatalitäten eines Schleppkleides‘."

Programmplakat von 1899
Programmplakat von 1899: "Neu angekommen: Ein circa 1 Jahr alter Elefant"

Graf Johann Wilczek gründete 1863 den Tiergarten am Schüttel, wo bald 218 Säugetiere, 929 Vögel und 14 Reptilien hausen sollten. Schon 1866 aber musste der Tiergarten schließen und versteigert werden, weil die Einnahmen zu gering waren. Kaldy-Karo führt aus: "Großer Konkurrent war der kaiserliche Tiergarten Schönbrunn. Der hat ihnen das Wasser abgegraben - auch, weil der frei zugänglich war. Aber was man zu Wilczek noch sagen kann: er war damals einer der schönsten und reichsten Männer der Monarchie, hat die Payer-Weyprecht-Expedition zum Nordpol finanziell unterstützt - und wahrscheinlich ein G‘spusi mit der Schauspielerin Katharina Schratt gehabt."

Die Feuerwerkswiese mauserte sich in den 1860ern zum bevorzugten Ort für Menagerien, die bald mit Kuriosa ergänzt wurden und so auch die Brücke zu "Menschenzoos" schlugen: ab 1871 war dort ein "dickbäuchiger Tiroler" zu sehen, der mit Seehunden und anderen Tieren auftrat.

Karl Ratschka zeigt von 1875 bis 1878 seinen "Klein Schönbrunn" genannten Tiergarten, und in Präuschers Panoptikum und Anatomischen Museum war ab 1880 ein Affentheater untergebracht. 1883 kam F. Kleeberg mit "Europas größter Menagerie" in den Prater, Jean Baese brachte sein "Affen- und Elefantentheater" aufs Pratergelände.

Die Praterlegende Henriette Willardt führte als "Madame Senide" Löwenshows vor, und die Ehlbecksche Menagerie bestand von 1886 bis 1889: Teil davon waren riskante Vorführungen mit Löwen, doch den Tierbändigern wurde schon damals von der Polizei verboten, ihre Köpfe in die Rachen der Wildkatzen zu stecken.

Altenberg im Aschanti-Dorf#

Wie so oft im Prater kam es auch bei den Tierschauen zu bizarren Ausformungen, und so wurde 1889 ein toter Wal auf der Feuerwerkswiese ausgestellt. Der Kadaver begann - in der Junihitze - rasch einen solchen Gestank zu verbreiten, dass die Gastgärten in der Umgebung leer blieben. Das Magistrat verfügte die Entfernung des Riesen: Der Wal wurde in zwei Stücke zersägt und mit zwei Wagen von jeweils 18 Pferden weggezogen.

Erst im Jahr 1894 wurde der ehemalige Tiergarten Schüttel nach seiner Schließung 1866 wiedereröffnet, doch ab da waren dort vor allem pseudo-ethnographische Schaustellungen zu sehen, die damals in ganz Europa üblich waren. In den Völkerschauen gezeigt wurden Zulukaffern und Matabele (1895), Aschanti (1896/897), indische Fakire und Senegambier (1898), Siamesen, Japaner und Kabylen (1899), Derwische, Beduinen und Burden (1900).

Das "Aschanti-Dorf" bestand aus rund 90 Menschen aus Afrika und wurde von Carl Hagenbeck organisiert. Sein Impresario vor Ort war Victor Bamberger. Kaldy-Karo: "Die Aschanti sind scheinbar über den Winter in Wien geblieben. Kaffeehausliterat Peter Altenberg schrieb ihnen Pressetexte und Werbung, dafür durfte er sich im Dorf aufhalten und es sich gut gehen lassen. Er war ein Gesundheitsapostel: Im Sommer wie auch im Winter ist er immer mit Schlapfen ohne Socken herumgerannt, und so ist er auch im Aschanti-Dorf gesessen. Das hat ihm die Eingebung gegeben, das Buch ‚Ashantée: Afrika um Wien um 1900‘ zu schreiben. Er hat das einerseits sehr kritisch gesehen, andererseits aber auch einen Drang und Trieb zu den exotischen Mädchen aus dem Dorf gehabt. Altenberg war immer wieder mit zwei von ihnen zu Gast bei Bällen und anderen Festen."

"Wilde müssen wir vorstellen, Herr, ganz närrisch ist es"#

In Altenbergs Buch wird einer jener ausgestellten "Aschanti" zitiert: "Wir dürfen nichts anziehen, Herr, keine Schuhe, nichts, sogar ein Kopftuch müssen wir ablegen. (...) Wilde müssen wir vorstellen, Herr, Afrikaner. Ganz närrisch ist es. In Afrika könnten wir so nicht sein. Alle würden lachen. Wie ‚men of the bush‘, ja, diese. In solchen Hütten wohnt niemand."

Sensibilität im Showgeschäft und "Political Correctness" sind keine immanenten Bestandteile der Geschichte, sondern unterliegen ständigen Entwicklungsprozessen, fährt Kaldy-Karo fort: "In der Wiener Tagespresse sind damals auch zahlreiche Karikaturen erschienen, die die schwülstigen Phantasien dieser Zeit angeregt haben, wie sich die Wiener Damen zu den Aschanti-Herren hingezogen gefühlt haben. Und nach diesen Schaustellungen ist damals das sogenannte ‚Negerbrot‘ entstanden, das noch bis vor wenigen Jahren im Handel war."

Die Tierschauen wurden parallel zu den Völkerschauen weitergeführt und forderten teilweise ebenso ihre Opfer: 1900 etwa wurde der Wärter Karl Rodofsky von einem Löwen zerfleischt. Im Jahr darauf schloss der Tiergarten am Schüttel endgültig seine Pforten und wurde versteigert, doch "bis in die 1990er sind im Stadtpark noch Teile davon als Verwaltungsgebäude gestanden", erzählt Kaldy-Karo aus dem Nähkästchen. Bald sollten Menagerien nur mehr als Teile von Zirkussen oder im Miniformat stattfinden. Ihre große Zeit war um die Jahrhundertwende vorbei - doch nicht alle Betreiber schienen das akzeptieren zu wollen.

Affen auf den Dächern von Wien#

Erst lange nach dem Ersten Weltkrieg, 1929, eröffnete im Prater das "Affenparadies", in dem sich Affen, Ameisenbären und zahlreiche andere Tiere tummelten. Sie konnten sich relativ frei bewegen, uns so schafften es einige Rhesusaffen, aus dem Gelände auszureißen. Es gelang vorerst nicht, sie wieder einzufangen, und die Affen machten es sich auf Bäumen im Prater gemütlich.

Die Wiener nahmen’s mit Humor und fütterten die Tiere durch den Sommer. Doch im Herbst griffen die Affentheaterunternehmer zu einer List: sie fütterten die Affen mit morphiumdurchsetzten Bananen und "pflückten" sie dann einfach von den Bäumen. Nur einer war bereits auf den Dächern Ecke Ausstellungsstraße/Wohlmutstraße zu Hause und drang sogar in dortige Wohnungen ein. Man erwischte ihn zwar schließlich auch, doch das "Affenparadies" wurde wenig später, 1932, für immer geschlossen.

Der Hamburger Zirkus Hagenbeck war seit Beginn des Zweiten Weltkriegs im Renz Gebäude untergebracht und zeigte sogar während der Kriegsjahre eine reichhaltige Tierschau in der Prater Hauptallee. Sein Gelände umfasste etwa 7500 Quadratmeter, auf denen man von Papageien begrüßt wurde, eine Riesenschildkröte traf, die zwei ausgewachsene Männer auf ihrem Panzer tragen konnte, Tiger, Kamele, eine Affenkolonie und einem Elefanten, der eine Art Thron auf dem Rücken trug, auf den man Kinder setzen konnte.

"Menschenzoos" waren noch bis Mitte der 1930er Jahre Bestandteil unterschiedlichster Schauen, oft in einer Mischung aus Sensationslust und pädagogischem Vorwand. In der Nazizeit wurden die auch schon vorher bedenklichen Schaustellungen aber endgültig politisch missbraucht und daraufhin disqualifiziert.

Der Tierfreund und -züchter Max Weberitsch war lange Zeit mit seiner privaten Tierschau herumgereist und hatte sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg mit 40 Tieren dem Zirkus Rebernigg angeschlossen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs fiel eine Bombe auf den damals am Matzleinsdorfer Platz stehenden Zirkus. 1947 eröffnete der Zirkus Rebernigg gemeinsam mit dem Praterunternehmer Adalbert Feigl jun. im Prater eine Tierschau. Ausgestellt war unter anderem der Elefantenbulle Bubi, der allerdings 1949 wegen "Bösartigkeit" erschossen wurde. Im hungernden Nachkriegswien wurde das Fleisch von einem Wirt verkocht - das "Elefantengulyas" fand reißenden Absatz.

"Ähnliche Fälle passierten nach dem Zweiten Weltkrieg mehrmals", nickt Kaldy-Karo. "In Schönbrunn haben sie angeblich auch einen Elefanten gegessen: es wird erzählt, sie hätten bei ein paar Wirten in der Gegend Elefantengulasch verkauft." Weberitsch starb 1960, und daraufhin führte Feigl das Geschäft ohne ihn weiter. 1979 wurde schließlich auch diese Tierschau geschlossen. "Affen zum Streicheln, die nicht gut gehalten werden - das wollte niemand mehr sehen. Aber vorher muss das wirklich Wahnsinn gewesen sein. Ein Tier hatte damals noch weniger Rechte als Frau und Kind - und das heißt was."

Information#

Die Serie "Unbekannte Praterg’schicht’n" von Clemens Marschall und seinem wissenschaftlichen Berater Robert Kaldy-Karo erscheint zum runden Prater-Jubiläum wöchentlich in der Wiener Zeitung und beleuchtet eher obskure Nebenstränge der Geschichte des Praters. Gerade erschienen ist außerdem Kaldy-Karos Archivbildband "250 Jahre Prater" im Sutton Verlag. Wer darüber hinaus in die Materie eintauchen möchte, dem sei ein Besuch der Sonderausstellung "250 Jahre Wiener Prater" im Circus- und Clownmuseum Wien (Ilgpl. 7, 1020 Wien) empfohlen, die seit 31. März zu sehen ist.

Wiener Zeitung, Freitag, 22. April 2016

Wiener Prater G'schichten!#