Die Quest: Wir und die Welt#
Kollektive Wissens- und Kulturarbeit#
von Martin KruscheWie wissen wir, wer wir sind? Wir erzählen einander die Welt, über die wir Erfahrungen gesammelt haben. Im Kontrast zu dem, was uns fremd ist, fällt es leichter zu begreifen, was uns ausmacht. Das ist als ein kulturelles Unterfangen eine mögliche Gegenposition zur bewährten Strategie der Selbstdefinition durch Feindmarkierung, welche Feindschaft gebiert.
Wie der Mensch als Säugling in seiner Ablösung von der Mutter die Chance bekommt, eine eigenständige Persönlichkeit zu werden, bleiben wir später darauf angewiesen, uns stets wieder an den anderen zu überprüfen, die dazu vorzugweise eben… möglichst anders sind als wir selbst.
Wir brachen 2016 in dieser Besetzung auf, zwei Künstler und ein Kameramann, um einen Künstler zu besuchen. Die leibhaftige Praxis des Kontrastes.
Das hat sich nun als Prozeß innerhalb eines Prozesses entfaltet. Als eine Quest innerhalb der Quest, Reise und Suche so oder so.
Im Kern Martin Krusche (Künstler), Winfried Lehmann (Künstler) und Helmut Oberbichler (Kameramann), nun ergänzt um den Techniker und Kulturschaffenden Ewald Ulrich.
Was sich im inneren Bereich des Vorhabens als eine Reise und Suche mit hauptsächlich künstlerischen Mitteln entfaltet, hat nach außen Verbindungen zu weiteren Feldern. Dort werden kulturelle Fragen erörtert und verhandelt.
Das erhielt aktuell einen speziellen Klang, da unsere „Kulur“ und „Identität“, jene Europas und jene des Abendlandes schlechthin, angeblich bedroht seien. (Falls ja, von wem und wodurch?)
Da wir uns – unbesehen unserer Seßhaftigkeit – ausschließlich als Reisende sehen, wozu diese prozeßhafte Form einer kollektiven künstlerischen Praxis gehört, hat sich für uns das antiquierte Denkmodell „Zentrum/Provinz“ erledigt, in dem Gebieten jenseits des Landeszentrums keine relevanten kulturellen Leistungen zugetraut werden.
So soll „Die Quest“ im Rahmen des 2016er Kunstsymposions von Kultur.at und Kunst Ost derzeit einen Aufbruch markieren. Wohin uns das führen wird, läßt sich im Moment nicht sagen. Was wir schon wissen, soweit es die Verhältnisse vor Ort betrifft, sei hier skizziert. In Österreich werden derzeit Wahlen gewonnen, nachdem das Fußvolk mehrerer Parteien die Phrasen-Dreschmaschine angeworfen hat. Da erschallt an vielen Ecken und Enden das Lied von Heimat, Volk und Identität. Da wird das Brauchtum hochgelobt und warm empfohlen. Da treibt das Lob der Volkskultur so manche Blüten.
Doch wenn ich Menschen danach frage, wovon diese Hymnen handeln, erfahr ich nichts oder bekomme frische Phrasen aufgetischt. Inzwischen hat sogar das Reden von Gott und Vaterland sein Revival. Es ist ein wahres Wunschkonzert der Gefühlsduselei. Weil ich nicht gern verschaukelt werde, bestehe ich darauf, zu klären, wovon die Rede ist. So manche Patrioten-Perle, die mir heut Österreichs Kultur und die Kultur Europas gülden einfärbt, hab ich noch nie gesehen, wenn in meiner Stadt, in meiner Region, tagsüber oder abends zu kulturellen Veranstaltungen gebeten wurde.
Manche, die sich gerade besonders hervortun, hab ich über 30 Jahre nirgends antreffen können, außer in ihrem Lieblingsbeisel. Ich hab auch in all den Jahren keine Einladungen erhalten, um ihr aktives Tun in Sachen Brauchtum und Kultur genießen zu dürfen.
Was tut das Volk und was liebt das Volk? Das Staatsvolk? Das Kulturvolk? Also wer? Und was? Was mir als Volksmusik angedient wird, ist keine, sondern erweist sich Massenprodukt einer Unterhaltungsindustrie, die unvorstellbare Geldsummen bewegt.
Was mir als „wahre“ Volksmusik angedient wird, kann großteils keine sein, wo sie in Volksmusikschulen gelehrt wird, wahlweise von erklärt traditionsbewußtem Bildungsbürgertum okkupiert und vom Schweißgeruch der harten Arbeit befreit wurde.
Was mir als Volkskultur angedient wird, ist hauptsächlich kommerzielle Freizeitkultur und Gastronomie, ist oft viel zu groß und viel zu laut angelegt und in den meisten mir bekannten Fällen natürlich nicht mehr in einen traditionellen Jahreslauf eingebunden. Was nach meiner Einschätzung gelebte Volkskultur ist, wird teilweise von den Hütern der Volkskultur nicht einbezogen, ignoriert, abgetan.
Dann ist es auch schon egal, daß mir heute endlose Laufmeter an eher billigen Stoffen als Trachten vorgeführt werden, die mit Trachten in diesem oder jenem ursprünglicheren Sinn absolut nichts zu tun haben. Vielleicht ist Volkskultur ohnehin nur das, was Menschen kulturell aus eigenem Antrieb tun, wenn sie endlich von der Arbeit und von Alltagserledigungen frei sind, auch von den Zurufen aus sozial höher gelegenen Etagen.
Ich kenne allerhand, was so und so derartigen Zugriffen und peinlichen Verfälschungen entzogen ist, weil es ein volkstümliches Schaffen gibt, das gegen wirtschaftliche und politische Vereinnahmung eher immun ist; ganz einfach, weil die primär handelnden Personen auf Wirtschaft und Politik pfeifen, wenn sie ihren kulturellen Neigungen nachgehen.
Ich kann mir also die Pose der Traditionsschützerei ruhig schenken, denn was an der Basis der Gesellschaft offenbar immer wieder an bemerkenswerten Strömungen entsteht, muß nicht geschützt werden. Es geschieht einfach.
Wo es dereinst kommerzialisiert wird, hört es auf, kulturell besonders interessant zu sein. Wer da nicht mitgehen mag, wendet sich eben ab, muß nicht beschützt werden. Es entstehen dann eben neue oder nächste kulturelle Phänomene. Was ich an Volkskultur kennengelernt habe, die ich attraktiv finde, hat keine Marktschreier. Es hat engagierte Personen, die sich einer Sache um ihrer selbst willen zuwenden.
Was aber in Politik, Verwaltung und Wirtschaft sich aufrafft, die Bilder und Motive, die Begriffe und Zuschreibungen zu klauen, um damit ganz andere Interessen zu bedienen, finde ich unannehmbar.
Solche Art halbseidener Geschäftemacherei mit Kategorien wie Heimat, Volk, Identität und Kultur verlangt gelegentlich Einwände. Sonst glauben diese Schnösel und Goldgräber womöglich beizeiten, sie seien relevante kulturelle Kräfte, deren Worten man trauen könnte.
Gerade weil derzeit auffallend viel politisches Personal auf diese Genres setzt, sie vor sich herbetet, ist Aufmerksamkeit geboten.
Die letzten 200 Jahre haben uns gelehrt, daß oft sehr plötzlich furchtbare Dinge möglich werden, wenn die Politik sich um derlei Art der „Volkstümlichkeit“ bemüht. Die Wirtschaft war noch nie zimperlich, in solche Geschäftszweige einzusteigen.
Nein, ich sehe keinen „Schutzbedarf“. Aber wo die öffentlichen Diskurse sich über Massenmedien vollziehen, haben wir Kulturschaffende Interessen, die dargelegt werden sollen. Zu diesen Interessen gehört es, der auffindbaren Falschmünzerei etwas gegenüberzustellen.
Wenn wir keine Begriffe haben, wenn Worte völlig beliebig mit Inhalten belegt werden, wissen wir nicht, worüber wir reden.
Beim Projekt „Die Quest“ sind derzeit mehrere höchst unterschiedliche Menschen damit befaßt, ihre Reisen durch die jeweils eigene Lebenszeit über ein kulturelles Vorhaben stellenweise zu verbinden.
Darin verständigen wir uns. Sich verständigen, das bedeutet auch, sich zu vergewissern, daß man eine gemeinsame Sprache finden kann, ohne die jeweils anderen Leute in das eigene Lager zerren zu müssen.
Ein Beispiel für regionale Wissens- und Kulturarbeit, in der Kunst, Wirtschaft und Wisssenschaft Wechselwirkungen eingehen. Siehe zum Status Quo Oktober 2016 auch: "Die Konferenz auf dem Hügel"!