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Handpufferl und Raquetten von Stuwer#

Der Prater feiert 2016 seinen 250. Geburtstag: "Unbekannte Praterg’schicht’n" Teil X.#


Von der Wiener Zeitung (Donnerstag, 17. März 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Clemens Marschall


Stuwerviertel
Stuwerviertel
© Archiv Kadotheum Wien

Wien. "Unser Museum befindet sich ja im Stuwerviertel", sagt Robert Kaldy-Karo, der Direktor des Wiener Circus- und Clownmuseums, als er sich durch die akribisch gefüllten Ausstellungsräume bewegt. "Was viele nicht wissen: Namensgeber war eine legendäre Prater-Familie namens Stuwer, die hier ab Ende des 18. Jahrhunderts für spektakuläre Feuerwerksshows sorgte. Ihre Abschussrampe war hier am Ilgplatz, schräg Richtung Stadt."

Die Stuwers sorgten wie niemand sonst für ausgiebige Feuerwerke in Wien, sie waren aber weder die ersten, noch die einzigen Pyrotechniker der Stadt. Peter Paul Girandolini galt als Pionier, der bereites 1771 als "Kunstfeuerwerker" angekündigt worden war, den "Tempel des Gottes Mars" vorstellend. Er hatte eine ganze Palette verschiedener Feuerwerkskörper: Handpufferl, Chinesische Bäume, Raquetten, Mordschläge, Granaten, laufende Brilliantensonnen und doppelte Kontrabrilliantwalzen. Oft spielte allerdings das Wetter nicht mit und es begann zu regnen, wenn eine Feuerwerksvorstellung beginnen sollte. Das brachte Girandolini dazu, dem Donner im Himmel entgegenzubrüllen, woraufhin er von seinen Mitarbeitern als Atheist bezeichnet wurde.

Erstes Feuerwerk 1774#

Johann Georg Stuwer - der Begründer der Feuerwerksdynastie Stuwer - sollte bald zum mächtigen Konkurrenten Girandolinis werden. Sein erstes Wiener Feuerwerk fand am 27. Mai 1774 unter dem Titel "Etwas Besonderes am neuen Platze" statt. Die Feuerwerkssaison dauerte von Mai bis September; Stuwer übernahm die Freitagsschichten, Girandolini die Sonntage. Kaldy-Karo schmunzelt: "Nicht nur bei Girandolini, sondern auch, wenn Stuwer ein Feuerwerk angesagt hat, haben die Wiener mit Schadenfreude Schlechtwetter erwartet."

Und Feuerwerke wurden oft angesagt: In der Wiener Stadt- und Landesbibliothek befinden sich über 400 "Feuerwerkszettel", die detailliert Auskunft über die Spektakel geben. Am 25. Mai 1777 fand das erste Feuerwerk auf der "Feuerwerkswiese" - heute im Bereich der Stuwerstraße - statt, die dann beinahe ein Jahrhundert lang Austragungsort für die Feuerspiele sein sollte.

Viele dieser Feuerwerkshows basierten auf romantischen oder antiken Mythen, und so kamen Titel zustande wie "Der Wunderpalast der Venus", "Orpheus‘ Taten im Reiche der Toten" und "Die Göttin Flora in ihrer Herbstpracht". Wechselnde Jahreszeiten und zeitgenössische Schlachten waren ebenso Inspiration für verschiedene Darbietungen. Stuwer hatte einzelne Kriegsereignisse oft schon wenige Wochen, nachdem sie stattgefunden hatten, in einer Feuerwerksshow verwertet, unter Titeln wie "Eroberung der Dardanellen", "Das siegende Wien" oder "Die von der englischen Flotte bombardierte Stadt Gibraltar".

Der Grazer Josef Mellina war ein weiterer Feuerwerkskünstler, der damals in Erscheinung trat. Er hatte eine Vorliebe für biblische Stoffe, eine seiner Aufführungen trug den Namen "Der durch Judith enthauptete Holofernes". Sein Verhältnis zu Stuwer war, um es milde auszudrücken, mehr von Konkurrenz als von Freundschaft geprägt. Trotzdem genoss Mellina eine nicht leicht zu verdienende Anerkennung beim Praterpublikum, während hingegen Tobias Heim regelrecht fortgejagt wurde.

Im "Taschenbuch des Wiener Theaters" von 1777 steht geschrieben: "Ein gewisser Tobias Heim hatte die Unverschämtheit, das Publikum zu einer Armseligkeit im Prater zu locken, die er für nichts geringeres als für ein in Wien noch nie gesehenes chinesisches Lustfeuerwerk ankündigte; zum Teil hielt er redlich Wort, denn sein Feuerwerk war wenigstes eine in Wien noch nie gesehene Erbärmlichkeit. Er gab nicht mehr als zwey Vorstellungen, davon die zweyte nur von denen besucht ward, die sich für ihr bey der ersten weggeworfenes Einlaßgeld rächen wollten."

Ballonfahrten und Feuerwerke#

Stuwer war tief beeindruckt, als er 1783 die Brüder Montgolfier in Frankreich mit ihrem Ballon aufsteigen sah. Er wollte das noch größer, noch höher und noch imposanter präsentieren, und war auch der erste, dem in Wien ein bemannter Ballonflug glückte: 1784 vor einem zahlenden Publikum von 15.000 Köpfen.

Anschließend gab er noch das Feuerwerk "Denkmal der Ehre auf die Erfindung der Herren Montgolfier". Stuwers Abenteuerlust sorgte dafür, dass sein Laboratorium zweimal abbrannte, doch gewisse Aufführungen waren selbst ihm zu absurd, so Kaldy-Karo: "Der Ballonfahrer Jean-Pierre Blanchard z.B. hat Tiere aus dem Heißluftballon geworfen: Hasen, Hamster, die er mit selbstgebauten Fallschirmen ausgestattet hat. Die meisten sind zerschellt, die Wiener haben sich amüsiert. Aber irgendwann wurde es doch nicht mehr gutgeheißen."

Johann Georg Stuwer hatte all seine Konkurrenten überlebt, kündigte aber 1799 sein Abschiedsfeuerwerk "Tag der Dankbarkeit" an: "Eine Reihe von sechs und zwanzig Jahren ist nun vorüber, während welcher ich mich unablässig bestrebte, die Unterhaltung Wiens durch Lust- und Kunstfeuerwerke alle Art zu vervielfältigen." Er starb 1802 im Alter von 70 Jahren an Lungeneiterung. Sein Sohn Kaspar Stuwer (1759-1819) erbte das Laboratorium. Er wohnte lange im Prater und führte die Familientradition fort, bis er im Alter von 60 Jahren an Schwindsucht starb. Daraufhin übernahm dessen 1804 geborener Sohn Anton das Geschäft, der 1858 auf mysteriöse Weise ums Leben kam.

Am 8. Jänner 1858 war im Abendblatt der "Wiener Zeitung" zu lesen: "Der bekannte Feuerwerker Herr Anton Stuwer hat sich gestern morgens um sechs Uhr in einem Anfall von Geistesverwirrung in seiner Wohnung im Prater erschossen." Seine Familie dementierte aufkommende Selbstmordgerüchte und es hieß, er habe sich durch einen blöden Unfall mit einer Schrotflinte den Kopf weggeschossen. Im Totenprotokoll der Stadt Wien steht als Todesursache "Zertrümmerung des Schädels".

Auf Anton Stuwer folge sein gleichnamiger Sohn, der die Familientradition im Prater bis 1876 weiterführen sollte. Zuvor hatte er Feuerwerke in der Türkei und in Ägypten veranstaltet. Seine erste Wien-Show 1858 trug den Titel "Erstürmung der Akropolis", und dafür komponierte Josef Strauß - ein Bruder von Johann Strauß‘ Sohn - den Walzer "Liebesgrüße".

Bis zu 30.000 zahlende Gäste sollen in damaligen Zeiten bei Feuerwerksshows gestaunt haben, so Kaldy-Karo: "Warum so viele Leute Eintritt gezahlt haben, wurde noch nirgends beleuchtet. Man kann ein Feuerwerk ja auch aus der Ferne sehen, und das Krachen hört man genauso. Wahrscheinlich wegen Musik oder erklärender Worte, oder einfach, dass man dabei war. Aber die armen Wiener standen auf den Basteien und haben das aus der Ferne beobachtet."

Im Zuge der Regulierungen und der "Verschönerungswut" für die Weltausstellung 1873 verdrängte man Stuwer von seinem Platz auf der Feuerwerkswiese, obwohl er erst kürzlich viel Geld in eine neue Tribüne investiert hatte. Kaldy-Karo erzählt: "Bis 1873 hat jene Straße, die heute als Ausstellungsstraße bekannt ist, Feuerwerksallee geheißen. Für die damalige Zeit war das wahnsinnig beeindruckend: Wenn eine Feuerwerksshow vorbei war, sind Richtung Praterstern Fackeln gestanden, die Stuwers Helfer aufgestellt haben, damit sich die Zuschauer zurechtfinden."

Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Der Forscher und Autor Hans Pemmer schreibt: "Die Glanzzeit der Praterfeuerwerke hat rund hundert Jahre gedauert Der äußere Anlass zum Erlöschen war die Weltausstellung gewesen, der innere Grund aber die Abkehr der barocken Freude an illusionistischen Effekten." Zu besonderen Anlässen führte Stuwer später dennoch das eine oder andere Feuerwerk durch, etwa zum 50. Geburtstag des Kaisers Franz Josef I. Anton Stuwer Jr. starb 1905 - und mit ihm war die goldene Zeit der Feuerwerke vorbei, schließt Kaldy-Karo ab: "Das hat auch wieder mit technischen Entwicklungen zu tun. Heute gehören die Beleuchtung im privaten und im öffentlichen Raum, Straßenlaternen und Leuchtreklamen, ja zum Alltag. Damals war das noch pure Magie, als die Nacht zum Tag verzaubert wurde."

Die Serie "Unbekannte Pratergschicht’n" von Clemens Marschall und seinem wissenschaftlichen Berater Robert Kaldy-Karo erscheint zum runden Prater-Jubiläum wöchentlich in der Wiener Zeitung und beleuchtet eher obskure Nebenstränge der Geschichte des Praters. Am 16. März ist zudem Kaldy-Karos Archivbildband "250 Jahre Prater" im Sutton Verlag erschienen. Wer darüber hinaus in die Materie eintauchen möchte, dem sei ein Besuch der Sonderausstellung "250 Jahre Wiener Prater" im Circus- und Clownmuseum Wien (Ilgpl. 7, 1020 Wien) empfohlen, die ab 31. März zu sehen ist.

Wiener Zeitung, Donnerstag, 17. März 2016

Wiener Prater G'schichten!#