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Kunst und Klobassi im Varieté#

Der Prater feiert 2016 seinen 250. Geburtstag: "Unbekannte Praterg’schicht’n" Teil VIII.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 4. März 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Clemens Marschall


Circus, Varietè
Circus, Varietè
© Kadotheum Wien

Wien. "Die Praterhütten haben schon früh mit der Schaustellung von Abnormitäten angefangen", sagt Robert Kaldy-Karo, der Direktor des Wiener Circus- und Clownmuseums. "Das Ausstellen alleine war aber nicht genug und zu kurz, also haben sie noch Fakire, Tänzerinnen, Zauberer,... geholt, die kleine Vorstellungen gegeben haben - und aus denen haben sich dann die Varietés entwickelt."

Die Varietés waren eher Auffangbecken für prekäre Lebenskünstler als Starthilfe für hoffnungsvolle Zukunftsträger. In den großen Zirkussen Busch, Carré und Zentral traten die Spitzenartisten ersten Ranges auf; in den Pratervarietés war eher die zweite Garde zu sehen: Leute am Ende ihrer Karriere, die froh waren, doch noch wo auftreten zu dürfen. "Aber das ist nur die eine Seite der Medaille", betont Kaldy-Karo: "Das Varieté Leicht war ja legendär, und beim ‚Papa Leicht‘ waren im Sommer auch sehr berühmte und hoch angesehene Schauspieler und Künstler, die in den heißen Monaten nichts zu tun hatten - und ein bisschen Taschengeld hat es auch gegeben."

Das Varieté Leicht war eine Kleinkunstbühne im Wurstelprater, die ab 1895 von den Gebrüdern Ferdinand und Wilhelm Leicht geführt wurde. Sie waren Söhne eines Schaustellers, der 1882 im Prater gelandet war. Ferdinand Leicht komponierte außerdem Wienerlieder, darunter "Schurl mit der Blechhaubn", "Denn ich bin a Hausherrnsöhnerl" und "I und der Mond", das sogar in Oskar Nedbals Staatsopernaufführung von "Des Teufels Großmutter" aufgenommen wurde. Sein jüngerer Bruder Wilhelm ‚Papa‘ Leicht war als Autodidakt im Burgtheaterensemble tätig und führte das Varieté auch nach dem Tod seines Bruders Ferdinand 1922 weiter. Die Leichts waren also Bindeglieder zwischen sogenannter "ernster" und "unterhaltender" Kunst. Ihnen gelang es, Programme zusammenzustellen, die bis über die Landesgrenzen hinaus bekannt waren.

Paula Wessely und Hans Moser als "Stars" im Varieté#

Zu "ihren" Stars gehörten Georg Maikl, Erik Schmedes, Raoul Aslan, Paula Wessely, Hans Moser, Olga Tschechowa, Alexander Girardi, Louise Kartousch und Max Brod. Das Programm sollte für jeden etwas bieten: Neben leichten Unterhaltungsstücken wurden auch Wedekind, Schiller und Goethe sowie Operetten von Leo Fall und Franz Lehár präsentiert. Das "Kleine Blatt" vom 3. Februar 1962 schreibt: "Und jeden Sonntagabend, wenn es im Leicht-Varieté hoch herging, saßen die Leute auf einfachen Holzbänken wie beim Heurigen dicht gedrängt und vergnügten sich bei einem guten Tropfen und einem leckeren Bissen an dem Gebotenem das durchwegs Klasse war!" Auch die lukullischen Freuden wurden in all dem nicht vernachlässigt. Das "Kleine Blatt" meint weiter: "Dann trat der imposante Wilhelm Leicht auf die Bühne und kündigte mit hochtrabenden Worten und mit seinem mächtig rollenden ‚R‘ einen Hofschauspieler oder eine Kammersängerin an. Im selben Satz aber führte er aus: ‚Meine Herrrrschaften! Ein nicht minderer Genuß als unsere Künstler und in ihrer Art auch klassisch sind meine Klobassi! Diese Klobassi sind mit Saft und Kartoffeln! Es ist direkt schade, daß man so gute Sachen um 50 Groschen hergeben muß!‘" Doch der Zweite Weltkrieg sollte - wie so vieles, nicht nur im Prater - auch diese Institution zerstören.

Zirkus Zentral, Programm
Zirkus Zentral, Programm
© Kadotheum Wien

Was von den Flammen im März 1945 übrig geblieben war, wurde in den Wochen nach dem Brand von Wienern weggetragen: der schlichte Holzzaun, auf dem alle prominenten Künstler ein Autogramm hinterlassen hatten, diente Notleidenden, die noch ein paar Bretter zum Einheizen oder zum Verschließen von Fenstern brauchten. Wilhelm Leicht überlebte sein Varieté nur um wenige Wochen.

Wiederbelebung nach dem Krieg: "Vater Leicht, schau oba"#

Die Post-Leicht-Ära war in punkto Varieté eine düstere: Hatte es um 1930 herum neben dem Ronacher und dem Zirkus Zentral noch fünf weitere Vorstadt-Varietés gegeben, hatte kein einziges bis in die 1960er überlebt. Das "Zentralorgan der Gewerkschaft für Kunst und freie Berufe" schreibt (Nummer 167/Mai 1963): "Im glitzernden Kostüm auf dem Trapez oder in der Manege erntet der Artist Bewunderung. Wenige kennen aber die schweren Sorgen, mit denen er zu kämpfen hat. Damit sind nicht etwa die großen Gefahren gemeint, denen er sich bei seinen Darbietungen so oft aussetzt. Ganz nüchterne wirtschaftliche Probleme sind es, die sich den Artisten in ganz Österreich aufdrängen: Es gibt wenig Engagements." Und weiter heißt es dort: "Ein reiches Arbeitsfeld bot sich früher durch die Varietés, die jedoch immer mehr der Konkurrenz der Kinos erlagen. Die meisten Varietés stellten schon in der Zwischenkriegszeit ihren Betrieb ein und seitdem auch das ‚Ronacher’ 1960 seine Tore schloß, besitzt Österreich kein einziges Voll-Varieté mehr. (...) Wegen dieser unsicheren Lage ergreifen viele Artisten heute einen ‚Nebenberuf’, der die eigentliche Basis für ihre Existenz bildet. So muß der Clown oft hinter dem Schreibtisch Bürostunden absitzen oder der Magier hinter der Drehbank stehen, was natürlich das Training und damit oft auch ihre Entfaltungsmöglichkeit hemmt."

"Das Künstlerhilfswerk hat Anfang der 1960er versucht, die guten, alten Varieté-Zeiten im Restaurant zum stillen Zecher wiederzubeben", so Kaldy-Karo. Ergebnis war das "Neue Sonntags-Pratervarieté", das vom Sozialwerk für österreichische Artisten ins Leben gerufen wurde. Die Devise war "Vater Leicht, schau oba", und die erste Vorstellung fand am 25. Dezember 1961 statt. Dies schloss an das Verschwinden des Leicht-Varietés an und "hilft alten Artisten, die auch in ihrer Glanzzeit nicht genug auf die hohe Kante legen konnten, unterstützt notleidende Künstler oder schickt sie auf Erholungsurlaube und sorgt sich um die Hinterbliebenen verdienter Artisten", wie die "Kronen Zeitung" vom 6. Mai 1962 schreibt. Es gab kaum einen Wiener Künstler, der nicht einmal im Leicht-Varieté aufgetreten war, und diese Tradition wurde im solidarischen Nachfolger beibehalten. Unter den Stargästen waren Heinz Conrads, Fritz Muliar, Horst Winter, Gus Backus, Mitzi Tesar und Jaro Schmied. Ansager war Rudi Kugler, und die dreistündige Vorstellung wurde von der Stimmungskapelle Georg Luksch umrahmt - bis zum Schlussmarsch um 20 Uhr.

"Das Kino auf dem Höhepunkt, Fernsehen hatte begonnen Doch auch diese Wiederbelebungsversuche waren keine, die den Zahn der Zeit aufhalten konnten, resümiert Kaldy-Karo: "Das Kino war auf dem Höhepunkt, Fernsehen hatte begonnen, und der Praterruf war nach dem Weltkrieg eher negativ belegt." 1963 musste das Varieté klein beigeben und aus finanzieller Not schließen. Doch Kaldy-Karo gibt bis heute nicht auf: Er und Michael Swatosch-Doré führten von 2008 bis 2012 im Prater am Riesenradplatz beim Miraculum ein kleines Zaubertheater für Kinder, und derzeit ist das Wiener Circus- und Clownmuseum einer der raren Orte, an dem man vergessene Praterkünste bestaunen kann, so Kaldy-Karo: "Anlässlich des Praterjubiläums präsentiere ich heuer mehrmals im Museum das ‚Prater Varieté‘, so etwa am 16. April, dem Weltzirkustag. Wir zeigen, was man früher in den Praterhütten sehen konnte: Gedankenleser, zaubernde Dame, chinesische Papierreiskünstler, Elektroshows..." Vater Leicht könne sich eins grinsen.

Information#

Die Serie "Unbekannte Praterg’schicht’n" von Clemens Marschall und seinem wissenschaftlichen Berater Robert Kaldy-Karo erscheint zum runden Prater-Jubiläum wöchentlich in der "Wiener Zeitung" und beleuchtet eher obskure Nebenstränge der Geschichte des Praters.

Im Frühjahr erscheint zudem Kaldy-Karos Archivbildband "250 Jahre Prater" im Sutton Verlag.

www.circus-clownmuseum.at

Wiener Zeitung, Freitag, 4. März 2016

Wiener Prater G'schichten!#