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Momente am Alltagsrand#

(Ein Abend im Fleisch unserer Möglichkeiten)#


von Martin Krusche

Sein Vater hat in Gleisdorf als Arzt praktiziert, sein Großvater ebenso. Georg Kurtz kannte also das Metier und die dabei vorherrschenden Aufgaben. Daher wußte er in seiner Schulzeit, daß er gewiß kein Arzt werden würde. Es kam anders. Manche Menschen folgen eben ihren Talenten, selbst wenn etwas dagegen sprechen mag. Kurtz erzählt, daß ihm sein Vater empfahl, das Medizinstudium an jeder beliebigen Stelle abzubrechen, falls er zum Schluß käme, daß es doch die falsche Entscheidung gewesen sei.

Eine bemerkenswerte Haltung des Mannes, der den gleichen Namen trägt, wie der furchteinflößende Colonel in Coppolas Verfilmung von Joseph Conrads Roman „Das Herz der Finsternis“, nämlich Walter Kurtz. (Der Film ist als „Apocalypse Now“ bekannt.)

Arzt Georg Kurtz und Malerin Michaela Knittelfelder-Lang. – (Photo: Martin Krusche)
Arzt Georg Kurtz und Malerin Michaela Knittelfelder-Lang. – (Photo: Martin Krusche)

Ich mußte diesen kleinen Umweg nehmen, denn eigentlich geht es gerade um Kunst, um Erzählungen, um die poetischen Codes, mit denen wir einander von der Welt berichten. Eigentlich geht es gerade ums Leben.

Das ist alles eng verflochten, seit wenigstens zehntausend Jahren, seit wir Menschen symbolisches Denken auf breiter Basis erprobt haben. Dabei ist letztlich immer ein Ausufern, ein Überborden. Das immer wieder einzudämmen scheint eigentlich nur nötig, wenn wir unseren Alltag erledigen müssen.

Wie erstaunlich, daß es so vielen Leuten nicht geläufig ist; nämlich dieser Zusammenhang zwischen Leben und Kunst, zwischen Alltagsbewältigung und ästhetischen Erfahrungen, die uns dabei verändern, im besten Fall voranbringen. Es kommt eben daher, daß wir als einzige Spezies Dinge denken können, die es nicht gibt. Wir haben Phantasie erworben, die Kraft, etwas zu kreieren, was nicht naturgegeben ist.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es sein kann, daß diese Möglichkeiten in unserer Gesellschaft letztlich so wenig Wertschätzung erfahren, wenn wir doch die einzige Art sind, der sie offenstehen?

Dabei wollte ich gerade etwas ganz anderes erzählen. Da war eine Finissage in der Ordination von Georg Kurtz, der übrigens in seinem Clan einen prägnanten Maler hat, nämlich Camillo Kurtz. (Man schweift so leicht ab, wenn man sich mit dieser Familie befaßt.) Also die Finissage…

Michaela Knittelfelder-Lang, die in Pöllau nahe Markt Hartmannsdorf lebt, hatte nun einige Zeit lang aktuelle Arbeiten in der Ordination ausgestellt. Flüchtige Striche und wuchernde Farben, so heftig wie unabwendbar, als habe jemand ein Gewitter erfunden, das uns nicht mit Blitzen, sondern mit den Wolken erhellt. Auf diese Art allerhand kleine Erzählungen, Denkanstöße, ja, es wird gerne übersehen: Wir denken schließlich nicht bloß in Worten, sondern auch in Bildern.

Das verlangte nach einem abschließenden Akzent mit entsprechender Geselligkeit. Die Finissage, sozusagen die „Beenderei“, natürlich eine Erfindung aus sozialen Gründen. Die Vernissage war einst ein kleines Fest im Atelier, um beim Firnissen der fertigen Bilder erfreuliche Gesellschaft zu haben. Vernis ist das französische Wort für Firnis. So begannen Ausstellungen.

Im Betrachten von Kunstwerken machen wir Wahrnehmungserfahrungen, die im günstigsten Fall unseren Blick auf die Welt verändern. – (Photo: Martin Krusche)
Im Betrachten von Kunstwerken machen wir Wahrnehmungserfahrungen, die im günstigsten Fall unseren Blick auf die Welt verändern. – (Photo: Martin Krusche)

Ich weiß zu schätzen, daß sie ebenso erfreulich enden können. Keine langen Reden, vorzüglicher Wein, eine komplexe Raumsituation, in der höchst unterschiedliche Gesprächsrunden zusammenfinden konnten. Das illustriert, worum es im regionalen Kulturgeschehen unter anderem geht.

Begegnungen jenseits von Beliebigkeit. Anregende Gespräche. Die vorhin erwähnten ästhetischen Erfahrungen sind… Wahrnehmungserfahrungen. Da danken wir den Kunstschaffenden viel, denn diese Art der Impulse finden wir sonst gar nicht so leicht. Gewöhnlich werden wir mindestens im öffentlichen Raum mit Botschaften geflutet, die uns zum Beispiel Waren und Lebensgefühl andienen, auf daß wir unser Geld locker machen.

Oder wir werden in ein Meer von Wegweisern, Hinweistafeln und Firmenschilder gestoßen, um darin jede Orientierung zu verlieren. Da verschließt sich die Wahrnehmung eher, die Sinne werden taub und blind. So zeigt sich oft städtischer Lebensraum, ergänzt, unterlaufen, behelligt von massenmedialen Ereignissen. Eine erdrückende Infosphäre voller Marktschreierei und billiger Sensationen.

Im Kontrast dazu bleibt eine verfeinerte Wahrnehmung, mit der alle Texte und Bilder erst an Lesbarkeit gewinnen, so wesentlich, wenn an einem Ort ein geistiges Klima bestehen möge, das der Rede wert ist. Es mangelt nicht an zahlreichen Versuchen, genau das zu simulieren, uns mit billigen Surrogaten abzuspeisen.

Von links: Karl Bauer (VetArt Kunstforum), Georg Kurtz und Ursula Glaeser (Kulturbüro Stainz). – (Photo: Martin Krusche)
Von links: Karl Bauer (VetArt Kunstforum), Georg Kurtz und Ursula Glaeser (Kulturbüro Stainz). – (Photo: Martin Krusche)

Wer dann allenfalls von der Zukunftsfähigkeit einer Region spricht und es in diesen Dingen nicht ernst meint, ist ein Heuchler, der das lächerliche Rauschen anreichert. Wenn auch die Kunst nichts müssen muß, das sollte sie mir bieten, mich nämlich in all dem lächerlichen Rauschen wieder auf Eindrücke neugierig zu machen.

Wollte man eine Vorstellung erlangen, was Kunst eigentlich sei, muß schnell klar werden: Surrogate können dabei nicht berücksichtigt werden. Darum frage ich gerne: Was ist die Erzählung? Was erzählt sie mir? (Die Surrogate und Simulationen solcher Erzählungen liefern bloß ein Stammeln in hübscher Garderobe, wollen mich besänftigen, mich zum Verstummen bringen.)

Ich muß über diese Dinge so hemdsärmelig nachdenken, weil wir gerade an unserem 2017er Kunstsymposion arbeiten, zu dem ich eine kontrastreiche Gruppe inspirierter Menschen gewinnen konnte, auf daß wir gemeinsam eine Füller erschließen und umsetzen, die andere Mineschen bewegen soll. Ich muß gute Gründe vorweisen können, auf daß sich diese Menschen mit mir einlassen, solche Dinge zu wollen, zu machen.

Die künstlerische Arbeit von einzelnen Persönlichkeiten bietet ferner Gelegenheit, ab und zu über die Vorleistungen anderer, auf denen unser Tun beruht, nachzudenken. An jenem Abend ergab sich diese Möglichkeit durch eine eher kleine, sehr eindrucksvolle Arbeit von Hubert Tuttner, die Kurtz hervorholte, als die Rede darauf kam. Ein interessantes Detail, daß einer nämlich nicht bloß Kunstwerke ausstellt, welche durchs Haus getragen werden, sondern selbst auch welche hat, weil er welche haben muß.

Das erwähnte Tuttner-Bild ist ein Naturmotiv vom Ursprung der Enns. Daran war vor allem auch zu sehen, was eine versierte Hand ausmacht, die aus Talent und langer Praxis geführt wird. Das zeigt ja auch Knittelfelder-Lang, nämlich, wie viele Jahre kontinuierlicher Arbeit es verlangt, um Werke zu schaffen, die zur Veröffentlichung taugen; im Kontrast zu allerhand privat erbaulichen Blättern und Leinwänden, die in letzter Zeit so boomen, vor allem als ein wohlfeiler Vorwand, sich selbst in Szene zu setzen, statt relevante Werke vorzuweisen.

Im Blick auf die Arbeit von Tuttner erinnere ich mich, wie Hannes Schwarz mir einst lapidar auf die Frage antwortete, wodurch sich Meisterschaft zeige: „Im Ergbnis.“ – (Photo: Martin Krusche)
Im Blick auf die Arbeit von Tuttner erinnere ich mich, wie Hannes Schwarz mir einst lapidar auf die Frage antwortete, wodurch sich Meisterschaft zeige: „Im Ergbnis.“ – (Photo: Martin Krusche)

Es bleibt aber bei all der Betriebsamkeit das Werk im Zentrum, und das, was es an anderen Menschen zu bewirken vermag. Unerhebliche Werke führen auf dem Weg in die Öffentlichkeit meist zu unerheblichen Veranstaltungen, bei denen man sich freudlos gegenseitig auf den Füßen steht.

Das ist eine wesentliche Bedeutung künstlerischen Schaffens, diese Wirkung. Darin liegt dann auch etwas, das eventuell länger bleibt, solche Wirkung, während wir Menschen ja nur begrenzte Zeit zur Verfügung haben. (Tja, darüber läßt sich gerade in einer Arztpraxis gut nachdenken.)

Die Oststeiermark hat einige bemerkenswerte Persönlichkeiten, welche sich in der Kunst bewährten. Tuttner war ein Maler von energischer Unerbittlichkeit, im nahen Kötschmanngraben (Ludersorf) zuhause. Kurt Weber wäre zu erwähnen, ebenso Hannes Schwarz. Camillo Kurtz habe ich eingangs schon genannt. Der Elin-Arbeiter Albin Schrey sollte nicht übersehen werden. Es ist wenig bekannt, daß auch der inzwischen neunzigjährige Autor Erwin Klauber ein sehr versierte Zeichner, Maler und Fotograf ist.

So haben schon vor uns etliche Künstler Markierungen gesetzt, die nicht ignoriert werden können, wenn sich heute jemand mit Bildern vor ein Publikum begibt und im kulturellen Leben der Region beachtet werden möchte. Natürlich besteht auch die Freiheit, alles Vorgegebene völlig über den Haufen zu werfen. Man braucht dazu bloß ein hinreichendes Potential und einen eleganten Schritt in die Praxis.