!!!Vom Salamucci zur Praterikone

!!250 Jahre Wiener Wurstl-Prater: Sebastian von Schwanenfeld war der Erste, der ein Spukhaus hatte. (Teil II)

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''Von der [Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at] (Sonntag, 24. Jänner 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.''

Von

__Clemens Marschall__ 

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[{Image src='Spukhaus-Wurstel-Prater.jpg' class='image_right' caption='Basilio Calafati war der Assistent Schwanenfelds.\\Quelle: Wiener Zeitung' alt='Basilio Calafati war der Assistent Schwanenfelds.' width='300' height='662'}]

Wien. "Schwanenfeld war zwar kein geborener Wiener, aber er galt im Prater schnell als Urwiener und Original", erzählt Robert Kaldy-Karo, der Direktor des Circus- und Clownmuseums Wien. "Die Wiener haben ihn ehrfurchtsvoll den ,Zauberer vom Prater‘ genannt - und das war er auch. Zumindest eine Zeit lang." Der 1778 in Bayern geborene Sebastian von Schwanenfeld kam 1795 mit seiner französischen Gattin Friederike und einem Wachsfigurenkabinett nach Wien. Das Ehepaar kaufte 1799 im Prater die Hütte Nr. 65, wo Schwanenfeld seine ersten Vorstellungen gab. Schwanenfeld mietete sich außerdem im Tanzsaal des Praterlokals Zum Eisernen Mann ein und zeigte dort Wachsfiguren. Nicht nur, weil der Eintritt recht günstig war, wurde das Lokal regelrecht gestürmt. Mit den Einnahmen kaufte Schwanenfeld 1809 die Stätte und ließ eine kleine Bühne für Zauber- und Gespenstervorführungen einbauen. Seine "Geistererscheinungen" produzierte er mit der Laterna Magica, einem trickreichen Projektionsgerät, das versteckt im Nebenraum aufgestellt wurde. "Man kann durchaus sagen, dass Schwanenfeld der Erste im Prater war, der eine Art Spukhaus hatte", so Kaldy-Karo. Schwanenfeld vergrößerte sein Praterimperium zusehends und kaufte 1812 zusätzlich die Praterhütte Zur goldenen Rose. "Schwanenfeld war ein legendärer Prater-Typ, der immer mit seinem Zauberstab vor einem seiner Lokale stand. Auf seinen Schultern, seiner Hand und seinem Kopf saßen dabei abgerichtete Kanarienvögel." Aufsehen und großes Interesse erregte Schwanenfeld nicht nur durch sein auffälliges Auftreten, sondern auch als Taschenspieler und Wahrsager. Dazu verwendete er laut historischen Ankündigungen den Automaten "Der egyptische Magier", was Kaldy-Karo zum Schmunzeln bringt: "Das war natürlich kein echter Automat, sondern ein Gerät, das von Schwanenfeld oder einem seiner Helfer betätigt wurde." Egal, ob man das als Schwindel oder als Interpretationsraum eines Zauberkünstlers sehen will: Schwanenfeld war mit seinen Vorstellungen überaus erfolgreich und tourte damit vom Prater aus durch Deutschland (1822/25), nach Prag (1825/26) und Pressburg (1824/30). Während seiner Reisen sorgte der kundige Unternehmer dafür, dass seine mechanischen und physikalischen Künste auch in seiner Abwesenheit in den Praterhütten bewundert werden konnten: Sie wurden von verschiedenen "Physikern" vorgestellt. Einer davon war Basilio Calafati.

!Schwanenfeld an Calafati

Basilio Calafati war griechischer Abstammung und kam 1800 in Triest zur Welt. "Seine Mutter Florentina wurde in Wien eine bekannte Erscheinung", so Kaldy-Karo. "Sie hat immer weite türkische Pluderhosen getragen und eine langstielige Pfeife geraucht, gerne auch in der Öffentlichkeit. Und wenn Basilio wieder einmal unartig gewesen ist, hat sie den Stiel zur Züchtigung verwendet." Trotz Schelte begann Calafati, sich im Prater zu betätigen: Er zog ab 1820 als "Salamucci" durch das Gelände, versuchte sich als Taschenspieler und begann 1822 für Schwanenfeld zu arbeiten. Nachdem er jahrelang als dessen Aushilfe tätig gewesen war, wurde er schließlich 1830 als fixer Assistent eingestellt. Schwanenfeld - der Calafati wie einen Sohn sah und ihn unterstützte, wo er nur konnte - besaß auch die Praterhütte 81. Die verkaufte er 1834 um 1200 Gulden an Calafati, der sich dort als Taschenspieler produzierte, gleichzeitig aber mit dem Umbau der Hütte begann, damit er dort auch Geistererscheinungen mit der Laterna Magica vorführen konnte. In dem absolut verdunkelten Raum projizierte er Bilder von Geistern, Skeletten und anderen schauerlichen Figuren. Die visuellen Darstellungen standen in Dialog mit Rauch- und Blitzerscheinungen und wurden in eine adäquate Geräuschkulisse eingebettet. Die Vorstellungen erfreuten sich beim Wiener Publikum großer Beliebtheit, und Calafati konnte sich damit ein kleines Vermögen verdienen.

!Der große Chineser

1840 erhielt Calafati die Konzession für ein Ringelspiel mit Holzpferden, die er dann - im Zuge technischer Neuerungen und der Entwicklung dampfbetriebener Eisenbahnen - 1844 durch Lokomotiven ersetzte. Sein väterlicher Freund Schwanenfeld starb 1845 im 78. Lebensjahr in seiner Praterhütte: an "Entkräftung", wie das Totenprotokoll preisgibt. Calafati, der nimmermüde Unternehmer, der dem Publikum stets Neues bieten wollte, folgte seinem Tatendrang weiter und eröffnete 1846 ein Restaurant, dem er später einen Billardsalon hinzufügen sollte. Weiters ließ er das Obergeschoß seines einst zweistöckigen "Ersten Eisenbahnkarussells" abtragen, wodurch ein 9 Meter hoher Mast zum Vorschein kam. Diesen stilisierte er 1854 als asiatischen Amtsträger mit stolzem Blick. Der offizielle Name dieser Attraktion war zwar "Zum schwarzen Rössl", doch im Wiener Volksmund etablierte sich die Bezeichnung "Großer Chineser". Besonders Kindern flößte diese exotische Figur Ehrfurcht ein, war doch der Roßhaarzopf 8 Meter lang und 17 Kilogramm schwer.

!Calafattiplatz

Calafati blieb erfolgreicher Geschäftsmann, zog sich aber in seinen letzten Jahren immer mehr zurück und überschrieb seinem Sohn Theodor die Familienbetriebe. Basilio Calafati starb 1878. Er wurde auf seinen Wunsch im schwarzen Hochzeitsanzug auf dem St. Marxer Friedhof bestattet. Sein Sohn Theodor führte die Unternehmen für die Familie weiter, doch nach dessen Zeit sollten die Besitzer wechseln. 1922 konnte ein geplanter Abriss vom "Chineser" noch vom Denkmalamt verhindert werden, doch den Zweiten Weltkrieg sollte das berühmte Wahrzeichen nicht überleben: Es brannte, wie der Großteil des Praters, im April 1945 ab. Eine posthume Ehrung erhielt dessen Urheber dennoch: 1963 wurde im Prater der "Calafattiplatz" - in falscher Schreibweise - nach Basilio Calafati benannt. Die Bildhauerin Ilse Pompe-Niederführ zeigte 1967 ihre Nachbildung des "Großen Chinesers" im Prater, und heute steht eine überlebensgroße Bronzestatue von Calafati auf dem neu gestalteten Riesenradplatz. Er hatte es geschafft, sich vom "Salamucci" zum Zauberkünstler hochzuarbeiten - und letztlich als Ikone im bunten Pratertreiben weiterzuleben.


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[Wiener Zeitung|http://wienerzeitung.at], Sonntag, 24. Jänner 2016
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